Der Prümer Multi-Mann

Prüm · Er holte die Special Olympics nach Deutschland, gründete integrative Schulen und Kindertagesstätten und auch die Westeifel-Werkstätten. Jetzt hat Karl-Heinz Thommes seine Autobiografie geschrieben.

 Und jetzt auch noch Buchautor – wann macht der Mann das alles nur? Der Prümer Sonderpädagoge Karl-Heinz Thommes. TV-Foto: Frank Auffenberg

Und jetzt auch noch Buchautor – wann macht der Mann das alles nur? Der Prümer Sonderpädagoge Karl-Heinz Thommes. TV-Foto: Frank Auffenberg

Foto: Frank Auffenberg (aff) ("TV-Upload Auffenberg"
Der Prümer Multi-Mann
Foto: Frank Auffenberg (aff) ("TV-Upload Auffenberg"

Prüm Die Frage, wann verflixt noch mal eine einzelne Person soviel Zeit findet, um derart viel Gutes anzustoßen, darf angesichts der Lebensleistung des Prümer Sonderpädagogen Karl-Heinz Thommes berechtigt gestellt werden. Die Liste seiner Engagements reicht aus, um gleich mehrere Lebensläufe zu füllen. Dass hinter soviel Einsatz keine Zauberei steckt, sondern vielmehr ein wacher und tatkräftiger, gerechtigkeitsbewusster und anpackender Geist, zeigt Thommes nun in seiner jüngst veröffentlichten Autobiografie.
Mit 78 Jahren brachte der amtierende kommunale Behindertenbeauftragte des Eifelkreises seine Lebenserinnerungen heraus. Doch warum eigentlich, fragt sich Thommes im Vorwort selber. Weil die Lebensdaten für die Nachwelt erhalten bleiben sollen? Oder aus Gründen der Selbstdarstellung oder Rechtfertigung des eigenen Denkens und Handelns? Oder nur für den schnöden Mammon?
"Weder das Eine noch das Andere", schreibt er. Die Erinnerungen "sollen lediglich dazu dienen, mein Leben mit vielen Höhen und Tiefen, mit viel Licht und Schatten, mit echter Freude und auch tiefem Leid, mit Gesundheit und Krankheit an mir … vorüberziehen zu lassen." Und zwar so, dass er noch selbst die Hintergründe seines Handelns aufzeichnen, abwägen und beurteilen könne.
Keine Eitelkeit also, keine Profitgier sondern Selbstanalyse führten zum Buch, und das gerät von den ersten Zeilen an auch zum Zeitpanorama einer ganzen Region.
Die 150 Seiten sind nämlich nicht nur gefüllt mit Lebenserinnerungen, sie sind auch das Porträt eines Landstrichs im Wandel: der Eifel - vom erzkatholischen "Hinterland" zur modernen, aufstrebenden Wirtschaftsregion.
Thommes verzichtet dabei auf Detailversessenheit und schlägt einen angenehm lakonischen Ton an. Besonders die kleinen und großen Anekdoten aus der Schulzeit, die er unter anderem im Prümer Konvikt und am Regino-Gymnasium verbrachte, werden nicht nur ältere Leser schmunzeln und auflachen lassen - brennende Aborte und sprachlose Lehrer amüsieren jede Generation. Doch auch wenn Thommes ernster wird und über seine Berufung für die Sonderpädagogik berichtet, meidet er theoretisierende Erläuterungen.
So unterstreicht er die Notwendigkeit eines Schulsystems, das alle Schüler nach besten Möglichkeiten fördert, indem er zunächst nüchtern auf den Umgang mit behinderten Kindern in der Eifel der 1960er Jahre blickt.
Behinderungen seien in der tief gläubigen Gegend auch noch in den 60ern als Strafe Gottes für schwerwiegende Sünden angesehen worden. Nach der Geburt seines Sohnes Stefan, das Kind kam 1966 mit dem sogenannten Down-Syndrom zur Welt, habe beispielsweise der damalige Pfarrer aus Lasel ab sofort verweigert, die Wohnung der jungen Familie noch einmal zu betreten. Behinderte Kinder seien weggeschlossen und versteckt worden - die Strafe Gottes sollte nicht zu offensichtlich sein. Nicht selten hätten Nachbarn nichts davon gewusst, wenn nebenan ein Kind mit Behinderungen lebte. Und auch das Erbe der Nationalsozialisten tat sein Übriges, indem es auch Jahrzehnte nach seinem Ende in den Köpfen herumspukte. "Nicht verwunderlich, denn es waren ja gerade etwas mehr als 20 Jahre vorbei, als dieses Leben als ‚unwertes Leben' ermordet und vernichtet wurde."
Geprägt vom eigenen Schicksalsschlag, wandte sich der junge Lehrer 1968 schließlich der Sonderpädagogik zu - und das wieder mit vollem Einsatz. Im Folgenden erfährt man, dass erstmal Klinkenputzen gefragt war, als er die Leitung der Schule für geistig Behinderte in Wascheid übernahm. Auch vom Schulneubau in Prüm wird berichtet, von der aufwendigen Überzeugungsarbeit, die zur Gründung der Lebenshilfe Prüm und später der Special Olympics Rheinland-Pfalz führte - und vom Aufbau der Westeifelwerke.
Ein Engel sei er übrigens nicht gewesen, betont Thommes im Nachwort. Er habe den Versuch gemacht, fast achtzig Jahre eines bewegten Lebens zu zeigen: "Man könnte hin und wieder auf den Gedanken kommen, dass es hauptsächlich nur Höhepunkte gegeben hätte. Dem ist nicht so. Aber was nützt es, die Tiefpunkte unnötig darzulegen?", resümiert er.
Seinen Lesern gefällt dieser Ansatz offensichtlich - sie melden sich seit Veröffentlichung der Autobiografie zuhauf im Hause Thommes. "Ich habe nicht mit so vielen Reaktionen gerechnet", sagt er beim TV-Fototermin. "Mir schrieben sogar Leute, dass sie das Buch regelrecht verschlungen haben."
Angesichts der unzähligen Ehrungen, die Thommes in den vergangenen Jahrzehnten erhielt, bleibt aber die Frage: "Wie kann das einer allein schaffen?" Der Autor liefert kurzerhand eine eigene Antwort: "Diese Frage ist durchaus berechtigt, denn keiner allein kann dies bewirken."
Hinter allen Verdiensten stünden viele Freunde, Helfer und Wegbegleiter, "die die Ideen mitgetragen und mir für ihre Umsetzung geholfen haben." Und auch all diese guten Geister lernt man kennen - ein kleines Buch, ein wichtiges Zeitdokument.
"Ein Mann für alle Fälle" ist zum Preis von 10 Euro in der Buchhandlung Hildesheim sowie in der Lotto-Annahmestelle Robiller im Rewe-Center Prüm erhältlich.

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