"Die Stimmung ist ganz unten"

Nach dem qualvollen Tod eines zweijährigen Jungen aus Schleiden bewerten die Kreisfraktions-Chefs die Rolle des Jugendamtes.

Euskirchen. Die Betroffenheit bei den Politikern ist groß. Auch sie stellen sich die Frage, ob der qualvolle Tod des kleinen Jungen aus Schleiden hätte verhindert werden können. Wie berichtet, hatte das Kreisjugendamt eine umfangreiche Akte über den 41-jährigen Tatverdächtigen. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft Aachen vor, das Kind gequält und getötet zu haben.Die Mitarbeiter des Kreises, die einem Hinweis der Großmutter des Kindes nachgegangen waren, wussten von der umfangreichen Aktenlage indes nichts, als sie zweieinhalb Wochen vor dem Tod in der Wohnung des 41-Jährigen waren. Für die Augenwunde des Kindes hatte die 21-jährige Mutter eine plausible Erklärung: Das Kind sei aus dem Bett gefallen."Die Stimmung im Kreisjugendamt ist ganz unten", erklärte Landrat Günter Rosenke. Vor allem die beiden Mitarbeiter, die vor Ort gewesen waren, seien zutiefst erschüttert. Rosenke nahm sie in Schutz: "Sie hatten den Auftrag, nachzuschauen, ob das Kind da ist. Sie haben auftragsgemäß gehandelt." Der Junge sei schließlich vor Ort gewesen. Auch für die fast verheilte kleine Wunde des Kindes sei eine glaubhafte Erklärung geliefert worden. "Die Mitarbeiter haben das Kinderbett unter die Lupe genommen und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass dort ein Kind herausfallen kann." Für eine Umstrukturierung des Kreisjugendamtes sieht Rosenke keinen Handlungsbedarf. "Dieser schlimme Fall hat uns allen gezeigt, wie sensibel man sein muss, mögliche Misshandlungsfälle zu erkennen."SPD-Fraktionschef Uwe Schmitz fordert hingegen eine Neuausrichtung des Kreisjugendamtes. Er schlägt das "Dormagener Modell" vor. Der dortige Bürgermeister Heinz Hilgers - er ist zudem Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes - habe ein beispielhaftes Frühwarnsystem eingeführt.Schmitz: "Mitarbeiter des Sozialen Dienstes suchen in Dormagen sofort mit einem Begrüßungsgeschenk Familien mit einem Neugeborenen auf. Sie bekommen so unmittelbar einen ersten Eindruck über die Lebensverhältnisse." Von 100 Familien würde nur eine den Besuch ablehnen. Klar, dass die dann im Fokus stehe. "Wir müssen auch im Kreis Euskirchen einen Fuß in die Tür bei den Neugeborenen bekommen", setzt Schmitz auf Prävention."Mir bleibt die Spucke weg"

CDU-Fraktionschef Josef Reidt sprach von einer "furchtbaren Tragödie". Er geht allerdings davon aus, dass beim Jugendamt niemand "sehenden Auges Fehler gemacht hat". Aber: "Die Leute waren schließlich vor Ort und hätten überprüfen müssen, ob gegen den Wohnungsinhaber bereits etwas vorliegt."So sieht es auch Uwe Schmitz (SPD): "Wenn die Mitarbeiter bei dieser Aktenlage nur einmal in die Wohnung gehen, bleibt mir die Spucke weg." Er spricht von "Fehlverhalten". Der Informationsfluss im Jugendamt und der Austausch mit der Polizei habe nicht funktioniert. UWV-Chef Franz Troschke: "Die Mitarbeiter des Kreisjugendamtes müssen keine Super-Nannys sein." Es könne aber nicht angehen, dass unzureichend qualifizierte Mitarbeiter in die Familien geschickt würden. Zudem habe das Jugendamt zu wenig Personal.Jörg Grutke (Grüne) war irritiert: "Da sind Mitarbeiter in der Wohnung, und nichts passiert. Die hätten sich doch vorher sachkundig machen müssen." Er hat aber auch Verständnis für die Situation des Jugendamtes: "Es passiert häufig, dass Anrufer mitteilen, in einer Familie stimmt etwas nicht." Da sei es schwierig, zu differenzieren.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort