Eine Geschichte, die unter die Haut geht

Prüm · Der Autor Reiner Engelmann hat angehenden Erziehern der Berufsbildenden Schule Prüm sein jüngstes Buch "Der Fotograf von Auschwitz" vorstellt. Schwere Kost, doch die jungen Zuhörer waren bewegt.

 Reiner Engelmann stellt den angehenden Erziehern der BBS Prüm sein jüngstes Buch vor. TV-Foto: Frank Auffenberg

Reiner Engelmann stellt den angehenden Erziehern der BBS Prüm sein jüngstes Buch vor. TV-Foto: Frank Auffenberg

Foto: Frank Auffenberg (aff), Frank Auffenberg ("TV-Upload Auffenberg"

Prüm Fröhlich schnatternd betreten etwa 100 angehende Erzieher der Berufsbildenden Schule (BBS) Prüm ihre Aula. Man sucht sich ein Plätzchen, plaudert noch etwas und dann geht es endlich los. Reiner Engelmann, Pädagoge und Autor, beginnt über sein jüngstes Buch zu sprechen. Die Zuhörer kleben förmlich an seinen Lippen. Eine Stunde vergeht wie im Flug, doch nach der Vorstellung von "Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse" ist von der ausgelassenen Fröhlichkeit allerdings kaum etwas übriggeblieben (siehe Hintergrund).
"Es war wirklich sehr interessant und bewegend. Es ist etwas ganz anderes, sich mit einem Zeitzeugenbericht wie diesen auseinanderzusetzen oder eine wissenschaftliche Arbeit zu lesen", sagt Amar Leigh de Vries (20). Sie habe der Besuch Engelmanns und sehr bewegt. Ermöglicht wurde die Veranstaltung im Rahmen der "Tage des Lesens" des Literaturbüros Mainz.
Schulleiter Manfred Stumps: "Die Geschichte Wilhelm Brasses geht unter die Haut und das ist auch gut so. Das Grauen, das damals umging, darf niemals in Vergessenheit geraten." Und genau dagegen schreibt Engelmann auch an (siehe Info). "Ich begann in den 1990er Jahren mit dem Schreiben von Büchern. Die meisten befassen sich mit ähnlichen Themen wie dem, das ich heute vorstelle", sagt der ehemalige Lehrer der Bad Kreuznacher Förderschule. Lange habe er sich bereits mit dem Konzentrationslager Auschwitz und dem Schicksal der dort inhaftierten und getöteten Menschen befasst. "Unter anderem berate ich Schulklassen bei der Planung von Studienreisen, nicht nur inhaltlich sondern auch in Sachen Fördermitteln." Einige Gruppen habe er bereits bei ihren Fahrten begleitet. Genau bei solch einer Gruppenfahrt habe er vor sechs Jahren Wilhelm Brasse zufällig kennengelernt. Er habe die damalige Gruppe als Zeitzeuge begleitet.
"Ich war direkt bewegt von seinen Erzählungen und fand, dass man sie unbedingt für die kommenden Generationen festhalten muss. "Zwar gab es bereits ein Buch über Brasse, es richtet sich aber an eine ganz andere Zielgruppe. Ich stellte mir eher ein Buch vor, dass die Thematik einem jüngeren Publikum näher bringt und weniger wissenschaftlich an die Sache herangeht."
Kurzerhand habe er ihn gefragt, ob er sich ein längeres Interview vorstellen könnte. Brasse konnte es. Zwei Tage lang sprach Engelmann mit ihm. "Anhand der damals gemachten Tonaufnahmen schrieb ich dann seine Geschichte auf." Entstanden ist ein Werk, das nicht schnell vergessen werden kann.
Dabei verzichtet Engelmann bei seinem Besuch in Prüm auf eine Lesung im eigentlichen Sinne. Nur zweimal greift er in den anderthalb Stunden zum Buch. "Ich berichte lieber frei und erzähle von Brasses Erinnerungen", sagt der Autor. Eine ungewöhnliche, aber auch gute Entscheidung, macht der freie Vortrag die Lebensgeschichte Brasses und das Grauen, das er im Konzentrationslager erleben musste, doch umso greifbarer.
Ruhig und gemächlich geht es im Vortrag mit Brasses Jugendjahren und der Ausbildung zum Fotografen los. Dann kommt Engelmann schnell zum Eingemachten. Brasse weigert sich die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen und erzürnt damit erstmals die Besatzer. Beim Versuch, das Bieszczady-Gebirge an der ungarischen Grenze zu überqueren, um sich danach weiter nach Frankreich durchzuschlagen und sich dort dem Widerstand anzuschließen, wird Brasse verhaftet. Schon die Schilderungen der ersten Haft-Wochen sind in ihrer Grausamkeit erschreckend, was dann folgt, kann kaum in Worte gefasst werden.
Einfühlsam berichtet Engelmann von Brasses ersten Monaten im Konzentrations- und Vernichtungslager, von der Kaltblütigkeit und dem Sadismus der Wärter und dem Leid der Inhaftierten. Er arbeitet beim Leichenträgerkommando und in der Kartoffelküche und wird schließlich zum Lager-Fotografen berufen. "Brasse schätzte, dass er 70 000 Häftlinge fotografierte - die meisten wurden kurz nach der Ablichtung getötet", sagt Engelmann. Auch medizinische Experimente des berüchtigten Lagerarztes Josef Mengele muss er im Bild festhalten. Das viele seiner Aufnahmen erhalten blieben, ist Brasse selbst zu verdanken. Den Befehl alles zu vernichten wiedersetzte er sich, als beim Anrücken der russischen Armee "seine Vorgesetzten" flohen.
Das Buch "Der Fotograf von Auschwitz: Das Leben des Wilhelm Brasse" von Reiner Engelmann erschien 2015. Es hat 192 Seiten und kann unter der ISBN 978-3570159194 im Buchhandel für 14,99 Euro bestellt werden.
Extra: UNFREIER DOKUMENTAR DER UNMENSCHLICHKEIT


Wilhelm Brasse wurde 1917 im damaligen Saybusch (Zywiec), Österreich-Ungarn geboren. Er starb 2012 in seinem Geburtsort. Brasse war ausgebildeter Fotograf und Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz. Als Häftling arbeitete er vier Jahre lang im Auftrag der Gestapo als Lagerfotograf. Sein Auftrag: Porträts von ankommenden Häftlingen für die Lagerkartei. 1942 trafen die ersten jüdischen Gefangenen im KZ Auschwitz ein. Ärzte wie Josef Mengele begannen ihre menschenverachtenden Experimente, die Brasse ebenfalls dokumentieren musste. Negative von 38 969 Häftlingsporträts bleiben in einem Schrank in Auschwitz erhalten und überdauerten so den Krieg. Brasse wollte nach Kriegsende zunächst wieder als Fotograf arbeiten, war aber so stark traumatisiert, dass er sich weigerte, jemals wieder durch einen Kamerasucher zu sehen.Extra: PÄGADOGE, PUBLIZIST UND MENSCHENRECHTLER


Reiner Engelmann wurde 1952 im Hunsrück in Völkenroth geboren. Nach dem Studium der Sozialpädagogik ging er 1977 in den Schuldienst und begann sich in der Lehrerfortbildung zu engagieren. Seine Schwerpunkte sind Leseförderung, Gewalt, Menschenrechte. Seit den 1990er Jahren ist er Autor und Herausgeber von Anthologien zu Brennpunktthemen. 1969 gehörte er zu den Gründern der ersten Amnesty-international-Gruppe im Hunsrück.

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