Eine authentische Geschichte

PRÜM. Die Zukunftsprognosen für die zehnjährige Kathrin sind niederschmetternd. Tetra-spastisch gelähmt und unfähig zu sprechen, ist sie an den Rollstuhl gefesselt. Zehn Jahre später hat das schwer behinderte, hochintelligente Mädchen echte Lebensfreude. Die Lesung mit Kinder- und Jugendbuchautor Stefan Gemmel beim 51. Prümer Gundschulforum wurde zu der menschlich ergreifendsten Veranstaltung in dieser seit 1988 bestehenden Reihe.

 Kinder- und Jugendbuchautor Stefan Gemmel (Mitte) mit Rektor Klaus Hack (rechts) und Schulelternsprecher Klaus Holz (links). TV-Foto: Elmar Kanz

Kinder- und Jugendbuchautor Stefan Gemmel (Mitte) mit Rektor Klaus Hack (rechts) und Schulelternsprecher Klaus Holz (links). TV-Foto: Elmar Kanz

In der Aula der Betrada-Grundschule hieß Rektor Klaus Hack - auch im Namen der katholischen Erwachsenenbildung, Fachstelle Prüm - Autor und Auditorium willkommen. Derweil bezeichnet sich der in Lehmen /Mosel lebende Stefan Gemmel als Spätberufener in Sachen Literatur. Bücher habe er als Kind nicht gelesen. Im Elternhaus habe es sie nicht gegeben, und wenn, seien sie in der Ecke gelandet. Nicht, dass sein Vater etwas gegen Bücher gehabt hätte, aber als Handwerker waren sie ihm suspekt. So wurde Sohn Stefan zunächst Elektriker und später Heilerziehungspfleger. "Zum Lesen bin ich durch Oma Rosas wunderbare Geschichten, von denen ich nicht genug bekommen konnte, und meine spätere Deutschlehrerin gekommen", erinnert sich der 37-jährige Autor. Mit dem Schreiben habe er als Heilerziehungspfleger begonnen. Das ursprüngliche Hobby sei schnell zur Vollbeschäftigung avanciert. Inzwischen zählt Stefan Gemmel im Bereich Kinder- und Jugendbuch zur ersten deutschsprachigen Schriftstellergarnitur. In 14 Sprachen wird er übersetzt. Rekord, zumindest für Rheinland-Pfalz. Rekordverdächtig ist auch die Zahl seiner Einzelreferate, über 250 allein im vergangenen Jahr. Mit fünf verschiedenen Verlagen arbeitet er. Sieben Neuerscheinungen, darunter sechs Kinder- und Jugendbücher, bringt er in diesem Jahr auf den Markt. Eine authentische Geschichte

Die Geschichte der gelähmten Kathrin, Buchtitel "Kathrin spricht mit den Augen", ist authentisch. Gemmel hat sie aktiv miterlebt, dabei unermüdlich und mit viel Einfühlungsvermögen dem völlig gelähmten, geistig indes hellwachen Kind, mit dem keiner spielen wollte, geholfen. Psychisch und physisch. Kathrin lernte schreiben, nicht mit der Hand. Auf einer Buchstabentafel, mittlerweile auf dem Computer, macht sie sich per Curser und Blickrichtung der Augen verständlich. Gegen zunächst großen Widerstand schaffte sie die Realschule und ein integratives Gymnasium, immer mit den besten Noten. Längst stehen alle hinter ihr, Lehrer und Mitschüler. Jetzt macht sie ihr Abitur. Sie weiß, dass ihre Fähigkeiten im Kopf liegen. Für den Kinder- und Jugendbuchautor Gemmel ist Kathrins Geschichte symptomatisch. Steht doch für ihn, auch in seinen fiktiven Erzählungen, die kindliche Seele im Vordergrund. Inspiriert wird er durch die enge Verbundenheit mit den eigenen Kindern Hannah und Franziska. Tief bewegt hat Stefan Gemmel, was die gelähmte Kathrin einmal sagte: "Meine Behinderung heißt nicht Spastik, sondern Einsamkeit."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort