Geschäftsordnung für die Revolution - Lothar de Maizière beim "Brennpunkt Geschichte" in Prüm

Prüm · Als letzter und erster demokratisch gewählter Ministerpräsident der DDR hat Lothar de Maizière die Wiedervereinigung vor 25 Jahren mitgestaltet. Im Prümer Konvikt berichtete er von seinen Erlebnissen, Eindrücken und Erfahrungen.

 Mit persönlichen Erinnerungen an die Wende begeistert Lothar de Maizière, letzter und erster demokratisch gewählter Ministerpräsident der DDR, das Publikum. TV-Foto: Frank Auffenberg

Mit persönlichen Erinnerungen an die Wende begeistert Lothar de Maizière, letzter und erster demokratisch gewählter Ministerpräsident der DDR, das Publikum. TV-Foto: Frank Auffenberg

Prüm. Etwas Schüchternes liegt in Lothar de Maizières Blick. Der einzige demokratisch gewählte und auch letzte Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik schaut in die mit 120 Gästen gefüllte Kapelle des Konvikts. Nach seinem Vortrag über die deutsch-deutsche Wiedervereinigung will der Applaus nicht abreißen.
Ein erster Gast steht klatschend auf, dann ein zweiter - schließlich erheben sich alle Besucher und zollen de Maizière mit stehenden Ovationen Respekt. "Ich darf feststellen, dass es so was bisher bei keiner unserer Veranstaltungen gegeben hat", merkt Volker Blindert, Vorsitzender des einladenden Geschichtsvereins Prümer Land, an.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Brennpunkt Geschichte" warf de Maizière einen persönlichen Blick auf die Ereignisse der Wendejahre 1989 bis 1990. "Ich mag die Formulierung ,Fall der Mauer\' nicht", eröffnete er seine Ausführungen. Die Mauer sei nicht einfach gefallen, sondern von Menschen eingerissen worden, betonte er. Was folgte, waren bewegende anderthalb Stunden voller humorvoller Anekdoten und scharfsinniger Geschichtsbewertungen. "Lothar de Maiziére war mittendrin statt nur dabei. Als unmittelbar gestaltender Zeitzeuge gibt er einen Blick hinter die Kulissen", sagte Blindert.
Und diesen intimen Blick blieb Lothar de Maizière nicht schuldig: "Beim ersten Runden Tisch ging es drunter und drüber. Alle schrien und redeten durcheinander. Ich setzte mich dann erstmal zur Seite und formulierte eine Geschäftsordnung", erzählte er. Noch heute würden seine Töchter darüber frotzeln und sagen: "Die ganze Republik macht Revolution, und was macht unser Vater? Er schreibt dafür eine Geschäftsordnung."
Genau diese Art von Disziplin habe aber im Grunde die ganze Stimmung geprägt: "Es blieb wohl nur gewaltfrei, weil alle so diszipliniert waren. Morgens ging man arbeiten, nach Feierabend machte man Revolution."
So sei es auch am Tag der Grenzöffnung gewesen: "Man schaute sich den Ku\'damm an und ging zuhause ins Bett." Das Lehrräumen von Turnhallen für Flüchtlinge im Westen sei umsonst gewesen. Besonders sein Fazit bewegte die Prümer Gäste.
Während in verschiedenen Ecken Europas Separatisten wie in Katalonien oder Schottland Teilungen anstreben, werde so etwas in Deutschland nirgends diskutiert: "Es ist einfach kein Thema - die Deutsche Einheit wird hier nicht infrage gestellt."Extra

Lothar de Maizière wurde 1940 in Nordhausen geboren. Nach einem Musikstudium von 1959 bis 1965 an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin war er bis 1975 als Bratschist an mehreren Orchestern tätig. Wegen einer Nervenentzündung am linken Arm, die ihn bei seiner Berufsausübung behinderte, studierte er von 1969 bis 1975 im Fernstudium Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität Berlin und arbeitet bis heute als Rechtsanwalt. 1956 trat er in die CDU der DDR ein. Obwohl er vorher kein Amt bekleidete, war er von November 1989 bis 1990 Vorsitzender. Vom 12. April bis 2. Oktober 1990 war er der erste demokratisch gewählte und zugleich letzte Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik. aff

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