Kritik an "Ernährungs-Hysterie"

Prüm · Gespräche und Erfahrungsaustausch statt trockener Zahlen und Statistiken haben die Jahresversammlung des Kreisbauernverbandes Bitburg-Prüm in der Karolingerhalle in Prüm bestimmt. Das Motto an dem Abend lautete: "Aufeinander zugehen - Miteinander reden - Einander verstehen".

Jahresempfang der Kreisbauern in der Karolingerhalle in Prüm: Unter den 300 Gästen sind auch Johannes Billen, Landrat Joachim Streit und Ministerin Ulrike Höfken (von links). TV-Foto: Vladi Nowakowski

Jahresempfang der Kreisbauern in der Karolingerhalle in Prüm: Unter den 300 Gästen sind auch Johannes Billen, Landrat Joachim Streit und Ministerin Ulrike Höfken (von links). TV-Foto: Vladi Nowakowski

Prüm. Selbst die Möblierung der Karolingerhalle am Freitagabend scheint auf den Slogan des Bauernverbandes zugeschnitten. Das kleine Rednerpult steht nicht auf, sondern seitlich vor der Bühne. Nur wenige Stuhlreihen, dafür jedoch viele Stehtische, sind aufgebaut. Solch eine Einladung zum offenen Gespräch nehmen die rund 300 Gäste gerne wahr. Bevor die ersten Grußworte erklingen, stehen Landwirte, Funktionäre, Vertreter der Wirtschaft und der Politik in großen Gruppen zusammen und debattieren.
Gesprächsstoff ist reichlich vorhanden: Die kommende EU-Düngeverordnung, die derzeit endende "Grüne Woche" in Berlin, bei der ausgerechnet Rheinland-Pfalz aus Kostengründen nicht mit einem eigenen Stand vertreten ist. Und die Proteste von Umweltschützern gegen Massentierhaltung, Gentechnik - und für eine Wende in der Agrarpolitik am Rande der Landwirtschafts- und Ernährungsmesse am Samstag zuvor: Rund 50 000 Menschen waren in der Hauptstadt unter dem Motto "Wir haben es satt" auf die Straße gegangen.
"Wenn ich dort Plakate sehe, auf denen Landwirte als Massenmörder und Tierquäler bezeichnet werden, dann versetzt mir das einen Stich ins Herz", sagt Michael Horper, der Vorsitzende des Bauernverbandes Bitburg-Prüm. Man solle nicht alle Landwirte in eine Ecke stellen: "Ist denn Großtierhaltung per se schlecht? Wer macht denn die Bevölkerung satt? Das sind wir", ruft Horper.
Ohne die Bauern und das vor- und nachgelagerte Gewerbe wäre der Eifelkreis wirtschaftlich nicht das, was er heute sei, betont der Vorsitzende.
Auch Landrat Joachim Streit gehen die Proteste zu weit: "Hier werden Bauern angegriffen, die anständig arbeiten und gute, gesunde Produkte herstellen", sagt er in seinem Grußwort. "82 Millionen Menschen brauchen Sie."
Da der Hauptredner des Abends, der Wirtschafts- und Politikberater Armin Huttenlocher erkrankt ist, bittet Michael Horper die grüne Landwirtschaftsministerin Ulrike Höfken und Leo Blum, den scheidenden Präsidenten des Bauern - und Winzerverbandes Rheinland-Nassau, um längere Redebeiträge.
Ein Wunsch, dem beide gerne entsprechen: Höfken geht dabei ausführlich auf die schwierige Lage auf den Agrarmärkten ein, der Brüssel und die Landesregierung verlässliche Rahmenbedingungen für die Bauernschaft entgegenstellen. "Dazu tragen sowohl Direktzahlungen aus Brüssel bei, als auch der auf Initiative von Rheinland-Pfalz erreichte deutliche Zuschlag für kleine und mittlere Betriebe aus europäischen Agrarmitteln", sagt die Ministerin. Es sei wichtig, dass die Leistung der Bauern für die Gesellschaft, wie etwa die Pflege der Kulturlandschaft und die Reinerhaltung der Gewässer, bezahlt werde.
Doch die Gespräche über die Umsetzung der neuen Düngeverordnung, mit der eben jener Schutz des Grundwassers verbessert werden soll, kämen immer wieder ins Stocken, kritisiert Höfken.
Die Ministerin dazu: "Bis heute sind nicht alle Fragen geklärt, so dass einzelbetriebliche Entscheidungen nur mit erheblicher Verzögerung und Unsicherheit getroffen werden können."
Diese Steilvorlage nimmt Leo Blum, der in zwei Wochen aus dem Amt des Präsidenten des Bauern- und Winzerverbandes scheidet, gerne an. "Die immer neuen EU-Reglementierungen treiben mich zur Weißglut, dem Wahnsinn auf allen Ebenen muss Einhalt geboten werden." Das Ergebnis seien ausufernde Bürokratie und ständige Kontrollen statt Beratung der Landwirte, sagt er unter Applaus.
In Deutschland werde inzwischen mit Angst Politik gemacht und das betreffe auch die Landwirtschaft: "Antibiotika-Einsatz, Massentierhaltung, Dioxin-Eier - das alles sind die Schlagworte, mit denen uns das Essen und Trinken mies gemacht werden soll", sagt Blum.
Inzwischen gebe es eine regelrechte Hysterie um Lebensmittel. "Doch wenn sie die Skandale um Gammelfleisch, BSE, Pferdefleisch und Dioxin-Eier näher betrachten, erkennen sie, dass Betrug und kriminelle Machenschaften immer von den vorgelagerten und weiterverarbeitenden Betrieben ausgegangen sind. Es war nie ein Landwirt daran beteiligt", sagt Leo Blum.
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Laut Ministerium fließen mit rund 40 Millionen im Jahr etwa zehn Prozent der öffentlichen Agrarmittel in den Eifelkreis. Im Schnitt habe jeder landwirtschaftliche Betrieb 2014 allein über die Direktzahlungen aus Brüssel 13 500 Euro erhalten. Zudem profitierten die landwirtschaftlichen Betriebe vom neuen Eulle-Programm zur ländlichen Entwicklung. nowExtra

Die Landwirtschaft prägt noch immer den größten Landkreis in Rheinland-Pfalz: Etwas mehr als die Hälfte seiner 1626 Quadratkilometer Gesamtfläche (53,6 Prozent, elf Prozent mehr als im Landesdurchschnitt) werden nach Angaben des statistischen Landesamts von Bauern bewirtschaftet, darunter 1200 hauptberufliche und 1300 Nebenerwerbslandwirte. In den vergangenen 25 Jahren haben laut Angaben der Kreisverwaltung Bitburg-Prüm rund 40 Prozent der Betriebe aufgegeben, vor allem kleinere und mittelgroße Höfe sind verschwunden. Die Durchschnittsgröße der bewirtschafteten Fläche pro Betrieb beträgt mittlerweile rund 50 Hektar. Klima und Gelände erschweren den Landwirten die Arbeit, vor allem niedrige Preise für Produkte wie Milch lassen den Gewinn schmelzen. now

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