Musik: Bei Guido Wissmann gibt’s auf die Zwölf

Prüm · Er arbeitet seit 25 Jahren bei den Verbandsgemeinde-Werken in Prüm. Aber wenn er den Kanal voll hat, macht er Musik, und zwar der härtesten Sorte. Das tut er vor Tausenden und nahezu weltweit.

 Keine Angst, der tut nix: „Die Kreuzhacke brauch ich nur, um Kanaldeckel anzuheben.“ Guido Wissmann in Zivil ... TV-Foto: Fritz-Peter Linden/Foto: Anna Derr

Keine Angst, der tut nix: „Die Kreuzhacke brauch ich nur, um Kanaldeckel anzuheben.“ Guido Wissmann in Zivil ... TV-Foto: Fritz-Peter Linden/Foto: Anna Derr

Der Dämon aus dem Abwasser: Aloysius Söhngen, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Prüm und Mitglied der Christlich-Demokratischen Union, hat einen Mitarbeiter, der den Namen Sataniac trägt. Und es stört ihn nicht im Geringsten, von wegen: "Das ist der berühmteste Musiker aus Prüm!", sagt Söhngen bei einer zufälligen Begegnung mit Guido Wissmann auf den Fluren der Verwaltung.

Dieser Herr Wissmann - pardon: Sataniac - ist ein extrem freundlicher Mensch von 41 Jahren, der sich bei der ersten Begegnung gleich wieder entschuldigt. "Sorry, ich will nicht unhöflich sein, aber wir haben irgendwo Wasser im Keller." Spricht‘s und ist weg, sich kümmern.Eine der härtesten Metal-Bands dieses Planeten

Denn Guido Wissmann arbeitet bei den VG-Werken - morgen übrigens feiert er sein 25. Dienstjubiläum. Sein Chef schätzt ihn sehr. Wissmann könne man überall hinschicken, sagt Söhngen: "Er ist einfach nett - und kompetent."
Und er singt ("wenn man das singen nennen kann", sagt Wissmann) bei einer der härtesten Metal-Bands dieses Planeten: Desaster. Vor mehr als 25 Jahren in Koblenz gegründet, seit 2001 mit Wissmann am Mikrofon: Die Bandmitglieder hätten ihn bei einem gemeinsamen Konzert mit seiner früheren Formation kennengelernt, in der er auch den Bass spielte. Und weil der damalige Desaster-Sänger dann eines Tages ausstieg und Wissmanns Gruppe sich auflöste, fragten die anderen bei ihm an.

Desaster sind nicht irgendwer, sondern fest in der Metal-Szene etabliert und beinah weltweit unterwegs: Allein in Südamerika, erzählt Wissmann, habe man bereits vier Tourneen absolviert. In Europa spielen die Vier in Clubs und auf großen Festivalbühnen, oft in Skandinavien, Italien, Spanien, diesen Herbst erstmals auf Malta - und natürlich in Deutschland. Die größte Zuschauerzahl hatten sie wahrscheinlich beim "Summer Breeze"-Festival in Stuttgart vor einigen Jahren: "Da sind so 30?000 bis 40?000 Leute." Demnächst geht's gen Osten, am Samstag, 12. August, spielen sie auf dem "Party San"-Festival in Thüringen. Dort treten, vor rund 10?000 Besuchern, nur die Allerhärtesten auf.

Auch beim Riesenfestival in Wacken hat die Band einmal gespielt - im Jahr vor Wissmanns Einstieg. Er war damals im Publikum. Seitdem aber fährt er nicht mehr hin: "Zu viel Kirmes." Er gehe wegen der Musik auf Konzerte und Festivals, nicht wegen des Zinnobers, der drumherum veranstaltet werde.

Desaster spielen - Metal-Fans werden es richtig einschätzen können - eine Mischung aus Black und Thrash Metal, zwei Stilrichtungen, die sich vor allem in den 1980er Jahren herausbildeten. Für Normal-Unsterbliche: Ein oft nähmaschinenschnelles Schlagzeug, heftig schreddernde Gitarren, dazu ein Gesang, der zwischen Brüllen, Schreien und Gurgeln angesiedelt ist. Allerdings entdeckt man bei Desaster auch melodische Anteile. Und erkennt durch das Getrümmer hindurch richtige Songs und Harmonien. Strukturierter Krach

Es ist Krach. Aber strukturierter Krach. Und Guido "Sataniac" Wissmann kann nicht nur herrlich schreien, sondern tatsächlich singen. Auch wenn zarte Gemüter es nicht direkt erkennen und die Helene-Fischer-Fraktion damit nicht das Geringste wird anfangen können - es ist, wenn man die Ohren auf "Auweia" einstellt und tapfer dranbleibt: Musik. Von Leuten, die eine Band wie Iron Maiden unter Kuschelrock einsortieren würden.
Und der Name? Sataniac? Wissmann weiß genau, was viele denken: Klar, seine Texte seien nihilistisch, im Prinzip "gegen alles". Aber er trete auch für "die totale Religionsfreiheit" ein. "Das bedeutet, dass mir da niemand etwas vorschreibt. Und daher bin ich auch gegen Satanismus und okkulten Quatsch."

Das wäre also geklärt. Zumal er wirklich ein freundlicher Mensch ist. Und bei den VG-Werken. Tagesjobs haben sie alle, mit der Musik alleine durchzukommen ginge zwar - aber nur, "wenn man einen sehr niedrigen Lebensstandard hat". Und wenn man permanent auf der Bühne stehe. Das machen Desaster nicht, sagt Wissmann, "wir picken uns die Rosinen heraus" - Auftritte, bei denen alles passt. Um Geld gehe es nicht, stimmig müsse es sein.
Gitarrist Markus Kuschke, einzig verbliebenes Gründungsmitglied, hat auch nicht gerade einen unsozialen Beruf - im Gegenteil: "Der ist Pädagoge." Und arbeite mit Jugendlichen, die keinen Schulabschluss haben und in berufsvorbereitenden Projekten betreut werden.

Aber wie schafft man es, solche Songs zu, nunja, singen und am Ende noch eine Stimme zu haben? "Du musst das in dir stecken haben, sonst machst du so Musik nicht", sagt Wissmann. Die Stimme könne man wie einen Muskel behandeln, also trainieren. Und vor jedem Auftritt "muss ich mich ein bisschen warmbrummen, dann ist das gar kein Problem". Die gebe es nur, wenn man hinterher zu viel trinke und über die Stränge schlage.
Und was sagt die Fachwelt zu Desasters Musik? Fragen wir das Leitmedium, den "Metal Hammer": Der bescheinigt der Band in der Kritik zu ihrer jüngsten CD "räudige Kompromisslosigkeit".
Desaster könnten "selbst in einem zugekackten Kuhstall aufnehmen - das Ergebnis wäre immer noch tonnenschwer wie ein berstender Güllelaster". Fazit: "Kutte oder Lederjacke raus, Bier auf, Faust in die Luft, mitgrölen." Dem ist nichts hinzuzubrüllen.
Ein Musik-Genre und seine Vertreter

"Metal", früher auch "Heavy Metal", also "Schwermetall", ist ein Abkömmling von Blues, Bluesrock und Hard oder Heavy Rock (Beispiele: Led Zeppelin, The Who, Black Sabbath, Thin Lizzy). Vertreter des frühen Metal sind Iron Maiden oder Judas Priest. Seit den 1980ern zersplitterte das Genre in immer weitere Neben- und Nischen-Abteilungen von Thrash über Death Metal zu Doom und Drone oder, seit Beginn der 2000er, Nu Metal. Es ist kaum zu überblicken.
Desaster gründeten sich 1988, bestanden zunächst nur bis 1990 und formierten sich 1992 neu. Im Jahr 2002 erschien die erste CD mit Guido Wissmann als Sänger. Er ist auf fünf der bisher acht Studio-Alben zu hören, zuletzt "The Arts Of Destruction" (2012) und "The Oath Of An Iron Ritual" (2016). Die weiteren Bandmitglieder neben Wissmann und Gitarrist Markus "Infernal" Kuschke sind Volker "Odin" Moritz am Bass und Stefan "Tormentor" (diese Namen, großartig) Hüskens am Schlagzeug.
Mehr über die Band unter www.total-desaster.com

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