Nuancierte Metamorphose

Der oskarpreisgekrönte Film "Das Leben der Anderen" wirft seine Schatten, in dem Fall bis in die Eifel-Kulturtage. Matthias Brenner, im Film Karl Wallner, definierte im Kleinen Kursaal eine Lesung der besonderen Art.

 Matthias Brenner las aus Kafkas „Die Verwandlung“. Foto: RZ

Matthias Brenner las aus Kafkas „Die Verwandlung“. Foto: RZ

Bad Bertrich. (red) Kafkas Text, entstanden 1915, ist eine Herausforderung für jeden Sprecher und ein höchst anspruchsvoller Text für die Zuhörer. Nicht umsonst reichen die Interpretationsversuche von autobiographischen bis zu stark vom Freudschen Gedankengut angehauchten Varianten.Der Besucher tat gut daran, sich ganz der nuancierten Darbietung und der gut sitzenden baritonal eingefärbten Stimme von Matthias Brenner hinzugeben. Brenners Bühnenpräsenz ist erstaunlich, und so hatte sein darstellerischer und akustischer Eroberungsfeldzug sehr schnell auch die letzte Reihe im gefüllten Saal erreicht, der den Zuhörer teils offensiv, teils behutsam, aber auf jeden Fall zielgerichtet in die Welt Kafkas einführte.Der Handlungsreisende Gregor Samsa, Sohn und Ernährer einer kleinen Familie, erwacht eines Morgens "verwandelt" und findet sich als übergroßes Ungeziefer (Käfer) in seinem Zimmer wieder, seinem Lebensraum, der sich immer mehr reduziert. Bei den Begegnungen mit ihm wird die Familie Schritt für Schritt ihrer höchst fragwürdigen Fassade beraubt.Breites Spektrum von Mimik, Gestik und Modulation

Matthias Brenner stieg mit beiläufigem, beinahe komödiantischem Ton in die Lesung ein, wodurch das "ungeheure Ereignis" der Verwandlung umso greller ausgeleuchtet wurde. Das Faktum wird im Text nie hinterfragt, es gibt keinen Ursache - Wirkung -Hinweis. Brenner arbeitete über ein breites Spektrum von Mimik, Gestik, Stimmschattierungen, Erzählteile genau so präzise heraus wie die Charaktere: Gregor, die Hauptfigur, wurde während der Lesung als Käfer, der redet, versteht, dem Geigenspiel lauscht, immer selbstverständlicher. Sein psychischer und letztendlich physischer Tod kündigte sich in Brenners suggestiver Gestaltung immer bedrohlicher an.Vater und Mutter interpretierte der Schauspieler als facettenreiche Nebenrollen. Der Vater, ein farbloses Pseudofamilienoberhaupt, nie agierend, immer nur reagierend. Die Mutter, die personifizierte Passivität; sie nimmt ihre Krankheit genauso passiv entgegen wie das Schicksal ihres Sohnes; ihr Markenzeichen ist die Ohnmacht. Folgerichtig verlieh Matthias Brenner der Schwester am meisten Gewicht.Hier bestach seine komplexe Zeichnung dieser Persönlichkeit, die vom einschmeichelnden Geigenspiel bis zu einer Fülle von Bosheiten trotz ihrer 17 Jahre alle Register beherrscht und ins Spiel zu bringen weiß.Am Schluss, und hier wurde in der Darbietung die Ironie überdeutlich, die Matthias Brenner genüsslich in den Raum tropfen ließ, beleuchtete er die Verwandlung Nummer zwei in harter Kontrastierung: Aus der zuvor optisch nicht näher beschriebenen Schwester ist ein aufblühendes Geschöpf geworden, was sich im Bewusstsein seiner Lebensfülle dehnt und reckt, während Gregor, ihr verwandelter Bruder, im Tod zusammengekrümmt, entstellt, in seinem Zimmer der Entsorgung eines Ungeziefers entgegensieht.Zweifelhafter Musik-Einsatz

Die beiden Musikinterpreten mit Viola und Klavier müssen in ihrer Einsetzbarkeit hinterfragt werden. Gemeinhin sind die Musikbeispiele rahmengebend eingesetzt. Hier wurde, beim Spiel in den Text hinein oder ihn begleitend, akustisch das Textverständnis reduziert. Weitere Veranstaltungen im Rahmen der Eifel-Kulurtage: "Nibelungen!" mit Bea von Malchus am Freitag, 27. Juli, um 19.30 Uhr in der Alten Mühle des Klosters Himmerod "Die große Stille", Dokumentarfilm von Philip Gröning am Samstag, 28. Juli, um 19 Uhr im Refektorium des Klosters "La Traviata" mit der "Stagione d' Opera Italiana" am Sonntag, 26. August, um 19.30 Uhr auf der Burg Ulmen.

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