"Ohne jede Grundlage"

Die Veruntreuungen in der Verbandsgemeinde (VG) Obere Kyll geschahen zum Teil unter Verwendung des Finanz-Computerprogramms. Der Hersteller will jedoch keinen Makel auf sich und seiner Software sitzen lassen.

Jünkerath. "Das ist eine Gratwanderung", sagt Wolfgang Kremer, Geschäftsführer von "CIP - Gesellschaft für Kommunale EDV-Lösungen" in Erfurt, im Gespräch mit dem TV. "Wie man's macht, macht man es falsch. Sage ich nichts, bleibt ein Makel haften. Wenn man es aber doch tut, dann klingt das, als wolle man nachkarten."Der Unternehmer, selbst ein ehemaliger Verwaltungsmann, ist in einer schwierigen Lage: Sein Produkt, das Programm "CIP Kommunal", steht nicht nur im Dienst von bundesweit etwa 1200 Gemeinden, sondern auch in der Diskussion. Denn ein Teil der Manipulationen des früheren VG-Kämmerers ist über das Programm abgewickelt worden. Von "Schwachstellen" und "Mängeln" ist die Rede - auch in den Berichten der überörtlichen Prüfer.Dass jedoch die Software sozusagen eine Mitschuld an der Affäre trage, weist Kremer zurück. Schließlich kann auch ein Auto zum Rechtsbruch verwendet werden - sobald man zum Beispiel schneller fährt, als es die Straßenverkehrsordnung erlaubt. Dafür ist kein Hersteller haftbar zu machen, obwohl der Missbrauch "technisch möglich" ist und täglich passiert.Schon bei Bekanntwerden der Affäre, sagt Kremer, habe er geahnt, dass Vorwürfe aufkommen würden. "Aber die Dinge, die da kolportiert werden, entbehren jeder Grundlage. Das, was da passiert ist, ist mit jedem Programm möglich, wenn man die Vorgaben und sämtliche rechtlichen Vorschriften ignoriert. Das hätte bei konsequenter Anwendung von Prüfungsregeln auffallen müssen." Unbeantwortete Schreiben an den Bürgermeister

Bereits am 15. Mai 2007, fünf Tage nach der Verhaftung des Kämmerers, habe er in einem Schreiben an VG-Bürgermeister Werner Arenz seine Hilfe bei der Klärung der Vorgänge angeboten. Ergebnis: keine Antwort. Auch nicht im Oktober 2007 und im Februar 2008 - drei Briefe, drei Mal keine Reaktion. Ein einziges Mal habe die VG sich an sein Unternehmen gewendet: Mit dem Schreiben, in dem sie den Vertrag gekündigt hat."Mich hat das schon berührt, dass ich keine Antwort bekommen habe", bekennt Kremer. "Es gehören doch alle an einen Tisch, die die Sache aufklären können." Stattdessen sieht er das Computerprogramm zum "Beelzebub" gemacht, "an dem man jetzt viele Dinge festmachen will".Mehr könne er zu den Vorgängen nicht sagen: "Ich weiß ja nicht, was los ist. Ich kann nur mutmaßen." Deshalb hält er auch sein Gesprächsangebot an die VG weiterhin aufrecht. Meinung Es geht nicht nur um Schuld Der Fokus der Verbandsgemeinde Obere Kyll bei der Aufklärung der sogenannten Kämmerer-Affäre liegt offenbar vor allem auf der Suche nach möglichen Schuldigen, die in Regress genommen werden können. Das ist angesichts des entstandenen Schadens legitim. Ein Gespräch mit dem Software-Unternehmen oder gar eine gemeinsame Suche nach dem möglichen Fehler im System hätte solche Ansprüche allerdings nicht ausgeschlossen, den Prozess aber vermutlich beschleunigt. Und vor allem hätte eine Lücke in dem Programm, so es sie denn gibt, inzwischen behoben werden können, was zwar nicht der VG Obere Kyll, aber doch immerhin den 1200 anderen Kommunen helfen würde, die mit dem Progranm weiter arbeiten. Man kann daher nur hoffen, dass die VG Obere Kyll technisch sehr versierte Anwälte oder diese sehr versierte Beratung haben, die sehr konkrete Fehler in der Software dingfest gemacht haben. Denn sonst ist schwer zu verstehen, warum nur Juristen mit der Software-Firma kommunizieren sollen, deren Programm in der Verwaltung verwendet wurde, bei der der inzwischen verstorbene Kämmerer über Jahre hinweg Millionen Euro auf die Seite schaffen konnte. Für den Laien wirkt es jedenfalls befremdlich, dass die Gesprächsangebote des Software-Herstellers einfach ignoriert wurden. l.ross@volksfreund.deEXTRA Werner Arenz: "Nicht ins Blaue hinein" Dass sich die VG Obere Kyll noch nicht mit dem Hersteller ihrer Finanz-Software in Verbindung gesetzt hat, habe einen einfachen Grund, sagt Bürgermeister Werner Arenz: "Wir haben die Sache unserem Rechtsanwalt übergeben. Und der muss schauen, wann und wie er mit CIP ins Gespräch kommt." Der VG-Anwalt hat ein Gutachten verfasst, in dem auch von möglichen Regressforderungen die Rede ist - ebenso wie in einem zweiten, vom VG-Rat zusätzlich beauftragten Papier eines weiteren Juristen. "Das ist gestern per E-Mail bei uns eingetroffen", sagt Arenz am Dienstag. "Und auch zu CIP ist da allerhand gesagt." Deshalb werde man auch irgendwann mit dem Unternehmen reden. "Nur ins Blaue hinein machen wir so etwas nicht gerne." Das zweite Gutachten wird am heutigen Mittwoch im Haupt- und Finanzausschuss der Verbandsgemeinde diskutiert. Danach soll beschlossen werden, ob Regressansprüche gegen den Programmhersteller oder gegen andere in den Gutachten genannte Institutionen (Banken, Prüfungsbehörden und andere) geltend gemacht werden. (fpl)

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