Prozess um Eifelerin: Mord oder Totschlag? Neue Fragen stellen sich

Fairness im Prozess: Das heißt auch, dass jeder Angeklagte die Chance haben muss, sich angemessen zu verteidigen. Doch im ersten Mordprozess gegen die frühere Bopparder Supermarktleiterin, die aus dem Altkreis Prüm stammt, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) etwas zu beanstanden. Deshalb wird das Verfahren derzeit ganz neu aufgerollt. Hintergründe zu einem Prozess mit Überraschungen.

Koblenz/Boppard. (ehe) Es gibt juristische Grundsätze, an denen ist nicht zu rütteln. Weil der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe aber eins dieser Fundamente in der ersten Verhandlung erschüttert sah, hat am 10. Mai der Mordprozess gegen die frühere Bopparder Supermarktleiterin vor dem Landgericht Koblenz ein zweites Mal begonnen. So, als ob es im Juni/Juli 2006 keine Hauptverhandlung gegeben hätte, in der die Angeklagte des Mordes an ihrer 18-jährigen Aushilfe Sarah für schuldig befunden worden war.DVD mit neuer Erkenntnis

Die Verteidigung brachte nämlich eine DVD auf den Richtertisch, die für die Angeklagte sprechen sollte. Bilder mit völlig neuen Erkenntnissen, die das Gericht aber im Urteil als entscheidende Hinweise auf einen heimtückischen Mord wertete. Wieso und warum, das wurde der Angeklagten nicht so erklärt, dass sie sich hätte angemessen verteidigen können, sagte der BGH - und das ist nach Paragraf 265 der Strafprozessordnung verboten. Deshalb hat der BGH das Mordurteil der 3. Großen Strafkammer im Januar aufgehoben. Paragraf 265 wiederum erinnert an ein anderes, ein grundlegendes Recht: Das Recht auf ein faires Verfahren, wie es in Artikel sechs der Europäischen Menschenrechtskonvention formuliert ist.Es geht um Bilder, die auch einen durchstochenen Sicherheitsgurt im Auto der Angeklagten zeigen. Auf dem Beifahrersitz hatte Sarah am 7. Januar 2006 gesessen, durch den Gurt soll die Angeklagte mit einem Messer in die Brust der 18-Jährigen gestochen haben. Der Spurensicherung war das Loch im Gurt bei den Ermittlungen offenbar entgangen: eine Panne. "Die Problematik des Sicherheitsgurtes hat sich erst in der Beweisaufnahme der ersten Hauptverhandlung ergeben", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Dr. Horst Hund auf Nachfrage. Diesen Gurt zeigen die Bilder, die Verteidiger Dr. Gerhard Prengel dem Gericht vorgelegt hatte.Allerdings in anderer Absicht: Auf der DVD waren Szenen nachgestellt, war das Kampfgeschehen im Auto rekonstruiert. Damit wollte Prengel nachweisen, dass ein Kampf im Auto, wie ihn die Angeklagte geschildert hatte, überhaupt möglich war. Das sollte seine Mandantin entlasten. Sie will nämlich nichts davon wissen, dass sie Sarah nachgestellt haben soll, um sie dann auf offener Straße zu töten. Genau das aber wirft ihr die Anklage vor. Und wer seinem Opfer so gezielt nachsetzt, der handelt nicht im Affekt, befand das Gericht - der ist nicht seelisch so erregt, dass er "außer sich" ist, sondern der handelt kontrolliert. Wäre ein Handeln im Affekt aber nachzuweisen, könnte das das Strafmaß für die Angeklagte um Jahre senken.Und deshalb war es dem Verteidiger so wichtig zu beweisen, dass es auch so gewesen sein könnte, wie seine Mandantin sagt: heftiger Streit im Auto, sie will aus einem Kampf heraus zugestochen haben - das wäre für Prengel "nur" Totschlag, kein Mord.Sarah war angeschnallt

Der Gurt beweist, dass Sarah noch angeschnallt war, als die Angeklagte zum ersten Mal zustach. Der Sicht der Verteidigung widerspricht das zwar nicht. Doch das Gericht erkannte eine weitere Deutungsvariante: Auch "Mord aus Heimtücke" komme infrage. Wenn Sarah angeschnallt war, hat sie offenbar mit keiner Attacke gerechnet und konnte sich daher nicht wehren. Das könnte ihre frühere Chefin ausgenutzt haben. Auf dieser Grundlage hatte die Schwurgerichtskammer unter dem Vorsitzenden Richter Ralf Bock dann auch ihr Urteil gefällt, Mord aus Heimtücke. Der BGH kritisierte das: "Die Annahme eines heimtückischen Mordes hat das Landgericht entscheidend darauf gestützt, dass das Tatopfer bei den ersten Stichen der Angeklagten angeschnallt auf dem Beifahrersitz gesessen habe."Was eigentlich angeklagt war, kommt laut BGH in der Urteilsbegründung nicht mehr vor. Ursprünglich hatte es geheißen, die frühere Marktchefin habe Sarah aus "niederen Beweggründen" ermordet, um ihre Karriere durch die Konflikte mit der Aushilfe nicht zu gefährden. Dieser "Schwenk" war nicht gut genug begründet. Belastend statt entlastend

Zum ersten Verfahren und zur Aufhebung des Urteils durch den BGH will sich der damals Vorsitzende Richter Ralf Bock nicht äußern - vor allem deshalb, so Bock, weil "der Eindruck vermieden werden soll, dass auf das laufende Verfahren Einfluss genommen wird." Aus neuen Bildern, mit denen der Verteidiger die Angeklagte entlasten wollte, wurden entscheidende Beweismittel, um sie wegen Mordes aus Heimtücke zu verurteilen. Der BGH: "Für die Angeklagte war nicht vorhersehbar, dass aus Neben-Ergebnissen einer Beweiserhebung, welche sie zu ihrer Entlastung angeregt hatte, Schlussfolgerungen zu ihren Lasten gezogen werden würden." Für Prengel steht damit fest: "Der BGH hat die Rechte der Verteidigung gestärkt und klargestellt, dass man die Verteidigung nicht einfach überraschen darf." Ein Mordprozess ist wie ein Mosaik: Aus einer Vielzahl von Zeugenaussagen, Beweisstücken am Tatort und Gutachten muss sich jetzt die 6. Große Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Andreas Dühr ein Ganzes zusammenfügen. Davon hängt viel ab. Denn dieses Gesamtbild entscheidet darüber, wie lange die 35-jährige Angeklagte für ihre Tat büßen muss.Um in der zweiten Verhandlung Fehler zu vermeiden, hat der BGH konkrete Hinweise gegeben, welche Sachverhalte juristisch anders beurteilt werden sollten. Daraus ergibt sich, welche Fragen genauer beleuchtet werden müssen, um herauszufinden, ob die Version der Angeklagten ("zugestochen in Gegenwehr" mit folgendem "Filmriss") oder die der Anklage ("Mord, um die Karriere zu sichern" bzw. "Mord an einem arg- und wehrlosen Opfer") stimmiger ist: Was ist wirklich im Auto passiert? Wo kam das Messer her, das bisher spurlos verschwunden ist? Wann und wie schwer hat das Opfer die Angeklagte an der Nase verletzt? Wie hat sich die Angeklagte nach der Tat verhalten?Für Susanne Steinhoff, Rechtsanwältin der Eltern, die als Nebenkläger auftreten, gehen die Hinweise des BGH in die richtige Richtung. "Die Schilderung der Angeklagten hat sehr wenig zu tun mit den objektivierbaren Spuren", sagt Steinhoff. Wie sich die Angeklagte nach der Tat verhalten hat - dazu gehört auch, wo das Messer geblieben ist -, könne Aufschluss darüber geben, ob die Angeklagte im Affekt gehandelt hat oder nicht, sagt Steinhoff. (ehe)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort