Rätselnde Blicke und reger Protest

Auf Einladung des Fibromyalgie-Verbands hat Helga Kühn-Mengel, die Patientenbeauftragte des Bundestages, in Rommersheim über die Gesundheitsreform referiert und dabei Kritik von Ärzten und Patienten einstecken müssen.

Rommersheim. Fibromyalgie ist eine Krankheit mit Muskelkrämpfen und Verspannungen. In Prüm gibt es eine Selbsthilfegruppe, die zum Fibromyalgie-Verband Rheinland-Pfalz/Saarland gehört. Verbandsvorsitzende Marlies Schmitz und Werner Berens von der Prümer Gruppe begrüßten im Rommersheimer Gemeindehaus hohen Besuch aus Berlin: Helga Kühn-Mengel (SPD), seit 2004 Patientenbeauftragte des Bundestages, sollte die Grundzüge der jüngsten Gesundheitsreform und ihre Auswirkungen vor allem auf chronisch Kranke erläutern.Kühn-Mengel tat sich jedoch schwer, die etwa 60 Zuhörer von der Reform zu überzeugen. Schon ihre einführenden Worte, wonach es "seit 1979 in Deutschland 18 große und 42 kleine Gesundheitsreformen gegeben hat", stießen auf rätselnde Blicke im Publikum. Der große Wurf gerade jetzt — das wollte den Zuhörern nicht so recht einleuchten.

Derweil präsentierte die Patientenbeauftragte die jüngste Reform als gesundheitspolitischen Aktivposten.

Hauptursachen für die schlechte Finanzlage im Gesundheitssystem seien der medizinische Fortschritt mit hohen Kosten, der demographische Wandel, geringere Einnahmen der Kassen, deren Schulden anstelle von Beitragsanhebungen sowie die starke, durch Steueranteile bis dato nur geringfügig gedämpfte Lohnabhängigkeit des Systems.

Abhilfe schaffe man unter anderem durch mehr integrierte Versorgung, verbesserte Patienten-Information, Stärkung der Selbsthilfe und zusätzliche Pflichtleistungen in verschiedenen Bereichen. Im Vergleich mit den westlichen Ländern stehe Deutschland weit vorne.

"Es klemmt an allen Ecken und Enden"

Bei Helga Kühn-Mengels durchweg positiver Darstellung der Berliner Gesundheitsbeschlüsse waren mehr oder weniger zarte Hinweise auf die Meriten der SPD und den wenig kooperativen Koalitionspartner CDU kaum zu überhören. "Es geht nicht um Partei-Interessen", protestierte Martin Grauduszus, Präsident des Berufsverbands "Freie Ärzteschaft" und Facharzt in Erkrath. "Es klemmt an allen Ecken und Enden. Absurde Regelungen machen uns das Leben schwer. Wir sind auf dem besten Wege zu einer Gesundheitswirtschaft, und es wird für alle teurer."

Den Protest des Mediziners wies Helga Kühn-Mengel als Polemik zurück. Dessen Antwort: "Das ist die Realität. Wir haben Angst um unsere Praxen und Patienten." Gemeinsam mit seinem Präsidiumskollegen Wieland Dietrich malte Martin Grauduszus die Zukunft in düsteren Farben. "Das Gesundheitssystem wird zum Kartell und offen für Investoren. Bald werden Geschäftsführer über die Krankenhaus-Stationen gehen und verordnen: ,Heute fünf Patienten!'"

Immer wieder applaudierte das Publikum. Zusehends kontroverser wurde diskutiert. "Ich habe das Gefühl, dass die Ärzte immer weniger Lust haben, mich zu behandeln", meinte eine verunsicherte Zuhörerin. "Bei meinem letzten Krankenhausaufenthalt war alles schlechter und teurer", klagte eine andere.

Was immer die Zuhörer beanstandeten, die Patientenbeauftragte relativierte. Das Wort "teuer" gefiel ihr offenbar gar nicht. "Hochpreisig" hieß es bei ihr. Die Zuhörer reagierten ungehalten. Von Schönfärberei war die Rede. Buh-Rufe wurden laut. Derart in die Defensive geraten, beschränkte sich Kühn-Mengels auf ausholende Monologe. Kaum ein Zuhörer kam noch zu Wort.

Mit dem Hinweis auf ihren nächsten Termin verabschiedete sich die Patientenbeauftragte. Zum ursprünglich vorgesehenen "Gruppenbild mit Dame" kam es nicht mehr.

Meinung

Blitzableiter an der Basis

Mal eben aufs Land fahren, den Menschen dort die Welt erklären und einen Blumenstrauß abgreifen: Diese Rechnung geht für Bundesprominenz nicht immer auf. Dabei hat es die Patientenbeauftragte Helga Kühn-Mengel gut gemeint und die weite Anreise nicht gescheut, um an der Basis Rede und Antwort zu stehen. Viele Bürger haben aber genug von den blumigen Worten, mit denen oft Reförmchen als Meilensteine der Geschichte verkauft werden. Gerade im Gesundheitssystem gibt es so viele Baustellen, auf denen es dringend vorangehen müsste, dass der Handlungsstau an den Nerven zerrt. So haben die Menschen im Prümer Land den Hausärzte-Mangel und die lange hilflosen Versuche, Nachfolger für Mediziner in Schönecken und Bleialf zu finden, vor Ort zu spüren bekommen. Die komplexe Materie trägt zum Frust bei. Zudem ergab sich in Rommersheim eine Frontstellung durch Vertreter der Ärzteschaft. Kühn-Mengel musste als spontaner Blitzableiter herhalten. Die Adressaten der Kritik sitzen in Berlin und Mainz — Parlamente wie auch Lobby-Vertreter. m.hormes@volksfreund.de

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