"So eine Krise haben wir noch nie erlebt"

Der niedrige Milchpreis und seine Folgen: Aus finanzieller Not heraus verzichten viele Landwirte auf die medizinische Vorsorge bei ihrem Vieh. Die Tierärzte verzeichnen bis zu 50 Prozent Rückgang bei den Behandlungen. Der Schlachthof in Prüm rechnet bald mit vermehrter Anlieferung von Tieren.

 Die Landwirte müssen sparen. Das bekommen auch die Tierärzte zu spüren, wie zum Beispiel Dr. Heinrich Dahmen aus Prüm. Er und seine Kollegen verzeichnen einen Rückgang der Behandlungen zwischen 20 und 50 Prozent. TV-Foto: Stefanie Glandien

Die Landwirte müssen sparen. Das bekommen auch die Tierärzte zu spüren, wie zum Beispiel Dr. Heinrich Dahmen aus Prüm. Er und seine Kollegen verzeichnen einen Rückgang der Behandlungen zwischen 20 und 50 Prozent. TV-Foto: Stefanie Glandien

Prüm. Das Faxgerät in der Praxis von Heinrich Dahmen piept, ein Blatt wird ausgespuckt. Darauf steht: "Nach langem, schweren Kampf gegen die Agrarpolitik und die Discounter erlag er (der Milchbauer) seinem schweren Leiden, den Schulden". Die "Todesanzeige" ist illustriert mit einem großen schwarzen Kreuz.

"Gucken Sie mal", sagt der Tierarzt und enthält sich eines Kommentars. Der 56-Jährige ist seit 1981 im Geschäft und hat so eine Krise in der Landwirtschaft wie zurzeit noch nicht erlebt. Zusammen mit drei angestellten Tierärzten, zwei Tierarzthelferinnen und einem Auszubildenden betreibt er seine Praxis in Prüm. 65 Prozent seiner "Patienten" sind große, 35 Prozent kleine Tiere.

Er habe mit neun anderen Tierärzten gesprochen, die alle einen Rückgang der Behandlungen verzeichnen. So haben er und seine Kollegen zwischen 20 bis 50 Prozent weniger Einsätze bei den Milchbauern. In der aktuellen Situation würden die Landwirte es sich dreimal überlegen, ob sie einen Tierarzt kommen lassen oder nicht.

Weiterhin gerufen würde er bei Notfällen, zur Geburtshilfe und den gesetzlich vorgeschriebenen Impfungen. Gespart würde vor allem an der Prophylaxe, zum Beispiel bei Impfungen gegen Neugeborenen-durchfälle oder Grippe. "Alles, was man aufschieben kann, für die Gesunderhaltung der Tiere aber wichtig wäre, versuchen viele zu sparen", sagt Dahmen.

Auswirkungen auf die Qualität der Milch habe das aber nicht. "Milch ist das sicherste Lebensmittel, das wir haben, weil es, was Bakterien und Rückstände angeht, genauestens untersucht wird", erklärt Dahmen. Deshalb betrübt es ihn auch, dass der Bauer 30 Liter Milch liefern muss, um einen Liter Bier an der Theke bezahlen zu können. "Da stimmt einfach das Verhältnis nicht."

Bei seinen Besuchen auf den Höfen spricht er viel mit den Landwirten. "Die einen geben auf, die haben fast so eine Art Depression", stellt er fest. Andere wiederum schlügen aggressive Töne an, wollen sich ihrem Schicksal nicht kampflos ergeben. Es gebe aber auch viele, die sagen, es wird weitergehen. Doch Dahmen glaubt: "Viele werden nicht durchhalten." Sollten die Landwirte mit diesen Milchpreisen über den Winter müssen, "dann sehe ich schwarz", sagt Dahmen.

Düstere Aussichten prognostiziert auch Klaus-Dieter Fuchs vom Prümer Schlachthof. Im Augenblick spürt er die Krise noch nicht, rechnet aber in Kürze damit, dass mehr Vieh kommt.

Er glaubt, dass die Landwirte viele Tiere verkaufen müssen, um liquide zu bleiben und ihre Rechnungen bezahlen zu können. Doch weder für ihn noch den Fleischmarkt sei es gut, wenn plötzlich große Mengen an Tieren angeliefert werden. "Der Markt muss dann diese Mengen aufnehmen, und das wird Auswirkungen auf den Preis haben", befürchtet er.

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