"Täterort" Vogelsang

SCHLEIDEN. Gleich zwei Mal mussten die Fahrer mit dem Gefährt die Strecke zurücklegen, um alles von der "versunkenen" Ladung zu transportieren: Franz-Albert Heinen und Markus Bös hatten das Archiv der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang an Bord.

Bereits vor einigen Jahren hatte der Journalist und Vogelsang-Kenner Heinen einen Blick in diese Dokumentation werfen dürfen und wusste, um was für ein "Schätzchen" es sich da handelte: Seit 1950 hatte die belgische Kommandantur in Vogelsang über viele Jahre hinweg Akten, Fotografien und andere Zeugnisse der Geschichte Vogelsangs gesammelt. Besonders in den letzten Jahrzehnten machten sich Capitain Commandant Christian Vinage und auch Oberfeldwebel Georg Schmitz verdient um diese Arbeit. Nach dem Abzug der Belgier Ende 2005 schwebten Pläne im Raum, in Elsenborn ein Museum zur Geschichte Vogelsangs einzurichten und dort das Archiv zu präsentieren. Doch realisiert werden konnten diese Pläne nicht. Daher suchte die Elsenborner Kommandantur unter Leitung von Oberstleutnant De Muynck eine geeignete Stelle für die unschätzbar wertvollen Zeitdokumente. Heinen und Schmitz vermittelten und Schleidens Bürgermeister Ralf Hergarten erklärte sich bereit, das Archiv in den Bestand der Stadt aufzunehmen. Immerhin war ein Drittel des Schleidener Stadtgebiets in den vergangenen 60 Jahren für die Bevölkerung ein "weißer Fleck". Und der Inhalt des Archivs könnte für eine Menge "Licht" im Dunkel dieser Vergangenheit sorgen. Nach der Verlagerung begann Heinen, das Archiv zunächst grob zu sortieren. Rund fünf Prozent des Archivs machen "schwer wiegende" Dokumente der NS-Zeit aus. So sind handschriftliche Aufzeichnungen von NS-Lehrgangsteilnehmern dabei, die Aufschluss geben über den vermittelten Lehrstoff, und wie dieser vermittelt wurde. Über 1500 Namen von inzwischen überwiegend verstorbenen Menschen trug er zusammen. Er fand heraus, dass die NS-Ordensburgen (insbesondere Vogelsang und Krössinsee) eine bedeutende Rolle bei der deutschen Zivilverwaltung in den besetzten Gebieten Osteuropas gespielt haben. Nahezu jeder zweite "Gebietskommissar" (vergleichbar einem Landrat) im "Reichskommissariat Ukraine" hatte eine dieser Ordensburgen durchlaufen. Die Tötung der Juden in Osteuropa während der so genannten "zweiten Tötungswelle" stand in unmittelbarem Zusammenhang mit den "Ordensschülern". Heinen: "Vogelsang war Täterort. Da wurde die Axt geschärft, die im Osten geschwungen wurde." Der Standortentwicklungsgesellschaft Vogelsang teilte Hergarten die Übernahme des Materials sofort mit. Hergarten: "Das Archiv ist eine absolut herausragende Quelle für die Stadt, aber auch für die internationale Forschung." Heinen, für den die Archivarbeit wie das Entdecken einer geheimen Stadt ist, sagt: "Das Archiv unterstreicht, wie wichtig eine Nazi-Dokumentation auf Vogelsang ist. Und es unterstreicht, dass Vogelsang mehr ist als einige Jahre Nazigeschichte." Bisher seien die 60 Jahre der belgischen Anwesenheit nicht ausreichend gewürdigt worden. Hergarten hofft, dass die Doku-Stätten zur Nazigeschichte in Zukunft in Vogelsang deutlich platziert würden. Zudem solle die belgische Zeit erlebbar gemacht und eine Forschungsstelle für Archive eingerichtet werden.

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