Viel Ärger mit den Weisheitszähnen

MECHERNICH. Mit Gesundheitsreformen wollen Politiker vor allem eines: sparen. Doch mit dem, was "die da oben" in Berlin in diesem Bemühen austüfteln, stehen Patienten – und auch Ärzte – oftmals im Regen. Weil "da unten" niemand so richtig weiß, was denn nun gilt.

In der Regel gibt er seinen Patienten eine Betäubungsspritze, das Stück zu 6,50 Euro, um die Quertreiber aus dem Kiefer zu operieren. Das mag nicht angenehm sein, doch im Gros der Fälle funktioniert das. Allerdings nicht in allen. Es gibt Ausnahmen. Und exakt diese Ausnahmen versetzten ihn und den Mechernicher Anästhesisten Dr. Klaus Jesser nun mächtig in Rage. Diese Ausnahmen wurden in der Reform so schwammig definiert, dass bis vor zwei Tagen an der Basis niemand so richtig verbindlich wusste, was gilt. Für Dr. Lenzen begann der Ärger, als ihm die Blankenheimer Zahnärztin Dr. Alexa Becker zwei junge Patientinnen (zwölf und 13 Jahre alt) übersandte, um den beiden Mädchen unter Vollnarkose jeweils vier Weisheitszähne heraus zu operieren. Tatsächlich hatte Dr. Becker ein Info-Blatt der zahnärztlichen Vereinigung erhalten, das eine Vollnarkose in derartigen Fällen vorsah. Doch der Mechernicher Fachzahnarzt und dessen Anästhesist Dr. Jesser verneinten. Nach ihrem Kenntnisstand werde die Vollnarkose nur noch bei Kindern unter zwölf Jahren angewandt. Daher sei die Narkose eine "Wunschleistung", die die Kasse nicht übernehme. Diese müsse der Anästhesist mit 230 Euro pro Patient also privat in Rechnung stellen. Der Ärger der Mutter war groß. Und wurde noch größer, als sie hörte, dass es in Euskirchen einen Kollegen gebe, der bei der gleichen Operation die Vollnarkose sehr wohl mit der Krankenkasse abrechne. Und schon machte die Kunde von der Patientenabzocke durch die "Mechernicher Abrechnung" und die davon abweichende "Euskirchener Regelung" die Runde.Auch die Ärzte sind irritiert

In einer Pressekonferenz verdeutlichten der Mechernicher Fachzahnarzt und der Anästhesist, wie es zu diesem Dilemma kam. Der Euskirchener Kollege, der die Vollnarkose "auf Krankenkasse" gewähre, unterliege als Allgemeinmediziner und Zahnarzt (Dr. med. dent. und Dr. med.) einem anderen Abrechnungsmodus. Daher könne dieser eine Narkose anders abrechnen. Dr. Lenzen: "Die Gesundheitspolitik lässt grüßen."Es handele sich keineswegs um die Willkür einer ärztlichen Praxis, wie er was abrechne, sondern um ein strenges Reglement. Wenn er gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verstoße, also aufwändiger und kostspieliger als im Leistungskatalog der Kassen vorgesehen behandele, werde ihm das Honorar von der Kasse aberkannt."Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln..."

Aber: Nicht nur die Patienten seien durch die aktuelle Gesundheitspolitik extrem verunsichert, was die Kasse nun zahle und was der Patient aus eigener Tasche bestreiten müsse. Ähnlich groß sei die Irritation durch schwammige Gesetze, Vorschriften und Beschlüsse sowie durch sich widersprechende oder verweigerte klare Aussagen der Krankenversicherungen und der ärztlichen oder zahnärztlichen Gremien bei den Medizinern. So hatte die Kassenzahnärztliche Vereinigung im Dezember die Liste der Ausnahmefälle herausgegeben, die der Blankenheimer Zahnärztin vorlag. Doch die Kassenärztliche Vereinigung hatte einige Tage später gegenüber dem Mechernicher Ärzte-Duo erklärt, dass die Ausnahmefälle auf dieser Liste nicht gelten. Dr. Lenzen: "Das ist wie: Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln..." Vermittlung wird den Ärzten überlassen

Das Thema "Vollnarkose bei Weisheitszahnoperationen", so der Fachzahnarzt, sei schon seit Juli 2006 bekannt. Doch habe es acht Monate gedauert, bis endlich eine klare Aussage gekommen sei. Dr. Lenzen: "Die Vermittlung dieser kaum nachvollziehbaren Situation dem Patienten und Bürger gegenüber wäre eigentlich Aufgabe der Gesundheitspolitiker gewesen. Aber das überlassen die geistigen Väter dieser schwer verständlichen Reformregelungen stillschweigend den Ärzten und Zahnärzten." Was das Arzt-Patientenverhältnis belaste. Dr. Lenzen: "Und das in einer Zeit, in der das Image des Gesundheitswesens durch politisches Hickhack ohnehin schwer belastet ist." Erst seit einigen Tagen habe er Schwarz auf Weiß von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, was er selbst vor drei Monaten dem Deutschen Ärzteblatt entnommen habe. Sein Abrechnungsmodus sei korrekt. Es gehe nicht um eine finanzielle Übervorteilung der Patienten. Einen Spielraum habe er nicht.

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