Vom Zauber der Nachbarschaft

Eupen/St Vith · Vom Glück der Nähe: "Eine Reise durch Ostbelgien" heißt der Bildband, der kürzlich im Grenz-Echo-Verlag erschienen ist. Er bringt uns eine Landschaft und die gar nicht so fernen Nachbarn jenseits der Grenze noch ein wenig näher.

Eupen/St. Vith. Da fährt man als Eifeler jahrelang rüber ins Ostbelgische und weiß immer noch nicht, dass es dort zwei der besten Chocolatiers im Land der ohnehin ja schon besten Chocolatiers gibt: Axel und Lothar Hanf, die in Schönberg, also ganz nah bei Bleialf, weithin gerühmte Pralinen und andere Schokereien zusammenkomponieren. Das geht natürlich nicht. Also: nach Schönberg pilgern, nicht zur Mariengrotte diesmal, sondern zum Probieren.
Solche Entdeckungen macht man, wenn man sich das großformatige Buch der beiden Eupener Freddy Derwahl (Texte) und David Hagemann (Fotos) vornimmt. "Eine Reise durch Ostbelgien" (210 Seiten, 39,95 Euro) führt von "Eupen vor den Wäldern" im Norden bis hinab in unsere direkte Nachbarschaft, nach Büllingen und Bütgenbach, nach Elsenborn und Rocherath, und überall sammeln die Autoren weitere Pralinen auf, porträtieren Menschen und Orte, Gegenwart und Geschichte.
Aber das tun sie eben nicht im abgenudelten Stil mancher Reiseführer, bei denen alle zwei Seiten irgend ein beschaulicher Flecken zum, schnarch, "Verweilen einlädt" und man vor lauter Langeweile doch lieber nur die Bilder guckt.
Dabei ist doch das Gebiet der Deutschsprachigen Gemeinschaft genau das: beschaulich. Nicht auftrumpfend, nicht spektakulär, sondern, wie der Landstrich diesseits der Grenze, von einem ganz anderen, aber tief wirkenden Charme.
Den fangen die Fotos von David Hagemann wunderbar ein. Und die Beiträge des mit etlichen Literaturpreisen bedachten Freddy Derwahl lassen alles noch ein bisschen tiefer sacken. Denn er schert sich überhaupt nicht um ranschmeißerische Touristenwerbung, sondern lässt den Leser auch an der Melancholie eines 68-Jährigen teilhaben, der in seinem Alter "alles schon aus der Perspektive versickernder Zeit" sehe.
Da landet man dann auch gleich im ersten Kapitel auf dem Eupener Friedhof und erfährt, wer dort so alles gebettet wurde. Und vom Tod geht es direkt weiter zum Eupener Karneval. Leben eben.
Oder im Kapitel über den Bürgermeister von St. Vith - allerdings nicht den amtierenden, Christian Krings, bei dem sich das gewiss auch gelohnt hätte: sondern über den leider inzwischen gestorbenen Vorgänger mit dem wunderschönen Namen Wilhelm Pip, der dank bester Schulzeugnisse hätte studieren können, wenn er das nur gewollt hätte.
Pip wurde Landwirt. Musste in den Krieg und Amputationen an beiden Füßen über sich ergehen lassen. Kehrte nach langer Odyssee 1946 nach Belgien zurück und kämpfte viele Jahre lang dafür, dass die vom Krieg gezeichneten ostbelgischen Soldaten von der deutschen Regierung als Invaliden anerkannt wurden. Mit Erfolg.
Und er baute seine Stadt wieder mit auf. Eines Tages habe ihm ein Bezirkskommissar gesagt: "Jetzt habt ihr bald alles fertig." Wilhelm Pips Antwort: "Fertig, lieber Freund, werden wir nie."
Es gibt noch weitere, ergreifende Porträts in diesem Buch, von Menschen, Orten und Ereignissen. Man sollte sie alle lesen. Und dann mit offenen Augen wieder rüberfahren. Ist ja nicht weit.

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