Wenn das Amt entscheidet

Seit 1970 zählt Dieter Pleines aus Weinsheim zu den rund acht Millionen Bundesbürgern, die unter starken, chronischen Schmerzen leiden. Neben der Krankheit macht das rheinland-pfälzische Amt für soziale Angelegenheiten in Trier dem 75-jährigen schwer zu schaffen. Seit mehr als 14 Jahren verweigert es ihm das Merkzeichen "aG", zur Erstattung von Kosten infolge außergewöhnlicher Gehbehinderung.

 Patient Peter Pleines muss täglich mit Schmerzen kämpfen. TV-Foto: Elmar Kanz

Patient Peter Pleines muss täglich mit Schmerzen kämpfen. TV-Foto: Elmar Kanz

Weinsheim. Nachdem ihm der Besuch eines Schmerz-Seminars im Prümer St. Joseph-Krankenhaus nicht möglich war, hatte sich Dieter Pleines an den TV gewandt. "Datenschutz? Jeder im Ort, jeder in meinem Bekanntenkreis und wer immer sieht, wie ich mich quäle, weiß, was mit mir los ist und warum ich meine tägliche Ration Kunstdünger (eine Menge Medikamente) schlucken muss." Das klingt verbittert. Nahezu alles an möglichem Schmerzbefall der Knochen, der Gelenke, der Wirbelsäule, kurz des gesamten Bewegungsapparates, haben die Ärzte Dieter Pleines attestiert. Ein Befund vom September 1995 an das Trierer Amt für Soziales spricht Bände: "Gehen, nur mit Gehstock wegen starker Schmerzen insbesondere an Sprunggelenken und Knien, maximal nur zehn bis fünfzehn Meter möglich. Sicherlich werden Sie mit mir darin übereinstimmen, dass bei diesem gravierenden Befund die Zuerkennung des Merkzeichens aG gerechtfertigt erscheint." Doch das Amt sah es anders. Kein "aG".

Dramatisch zugespitzt hat sich die Situation seit Frühjahr 2008. Fast vollständiger Mobilitätsverlust. Nur noch mit dem Taxi kann Dieter Pleines Arztbesuche und andere krankheitsbedingte Termine wahrnehmen. Doch bei kleiner Rente und Grundsicherung fehlt das Geld.

Derweil beharrt das Amt auch nach 14 Jahren und erheblich fortgeschrittenem Krankheitsverlauf auf seinem Standpunkt. Zitat vom 24.3.2009: "Ihr Widerspruch (vom 15.12.2008) wird zurückgewiesen. Eine dauernde Einschränkung der Gehstrecke auf maximal 20 Meter ist nicht nachvollziehbar. Nach ärztlicher Beurteilung sind Sie derzeit noch in der Lage, beziehungsweise ist es Ihnen noch zumutbar, an öffentlichen Veranstaltungen wie Sport, Kino, Theater oder Versammlungen in geschlossenen Räumen oder im Freien teilzunehmen." Dieter Pleines ist frustriert: "Es scheint, meine Eingaben werden gar nicht gelesen. Im Stil höchstrichterlicher Urteile wird verfügt, wer Schmerzen zu erleiden hat und wer nicht. Als ob es mir um öffentliche Veranstaltungen ginge. Was nützen ärztliche Atteste, wenn medizinische Laien mit offenbar viel zu hohem Ermessensspielraum darüber entscheiden?"

Das wollte auch der TV wissen. Drei leitende Amtsvertreter, einer davon im Mainzer Landesamt zeigten sich gesprächsbereit. Zur Sache selbst aber könnten sie sich nicht äußern, weil die Akte inzwischen beim Sozialgericht liege und nicht einsehbar sei. Während offenbar jeder bemüht ist, den Fall zufriedenstellend zu lösen, sind ihre Antworten wenig konkret. Dass trotz eindeutiger ärztlicher Atteste das Merkzeichen "aG" jahrelang verweigert wurde, liegt daran, dass die Voraussetzungen dafür sehr hoch sind. Oft reichen die Befundberichte nicht aus. Häufig entscheiden die Gutachter nach Aktenlage und sehen nur in den seltensten Fällen den Antragsteller. Nur wenn einem Arzt gegenüber Vorbehalte bestehen, weil zum Beispiel der Verdacht besteht, dass der Arzt schreibt, was der Patient verlangt, wird noch einmal gesondert geprüft. Dies sei aber bei Dieter Pleines nicht der Fall gewesen. Bei der Frage, warum es mindestens drei Monate dauert, bis Eingaben von Patienten beantwortet werden, verweisen die Amtsvertreter auf die Ärzte. Die ließen sich oft viel Zeit. (Laut der Akte Pleines hat keiner gebummelt.) Bleibt zu hoffen, dass sich auch das Sozialgericht beeilt, denn Schmerzen machen schließlich keine Pause.

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