Werden wir beobachtet?

Bitburg · Über den Dächern Bitburgs gibt es stille Betrachter. Viele Bürger ahnen nichts davon, dafür wissen es umso mehr Amerikaner. Achtung: Dieser Artikel könnte Spuren von Satire enthalten.

 Am Fenster des Computergeschäfts Bit-Bytes hängt eine Kamera seit 20 Jahren, die sogar ein Mal der Polizei geholfen hat. Ansonsten hänge sie da „nur aus Spaß“, sagt Christina Widowsky-Schelwat (unteres Bild). Foto: Bit Bytes Computertechnik/ TV-Foto: nicolaj meyer

Am Fenster des Computergeschäfts Bit-Bytes hängt eine Kamera seit 20 Jahren, die sogar ein Mal der Polizei geholfen hat. Ansonsten hänge sie da „nur aus Spaß“, sagt Christina Widowsky-Schelwat (unteres Bild). Foto: Bit Bytes Computertechnik/ TV-Foto: nicolaj meyer

Foto: (e_eifel )

Bitburg Sie soll die erste Beobachterin ihrer Art sein, glaubt man Christina Widowsky-Schelwat von Bit-Bytes Computertechnik. Sie - dasheißt, die Webcam des lokalen Computer-System- und Beratungshauses - nimmt alle fünf Minuten ein Bild von der Trierer Straße in Bitburg auf und überträgt es öffentlich ins Internet. Von der langweiligen leeren Straße bis zum Eisbällchen, dass einem just auf den Schuh gefallen ist. "Big Brother is watching you"? Also so wie in George Orwells Dystopie eines totalitären Überwachungsstaats "1984"?
Nicht gleich aufregen, alles halb so wild: 1997 kam Inhaber Christian Schelwert auf den Einfall, den kleinen Zeitzeugen aufzustellen. "Nur aus Spaß", sagt seine Frau. Einmal befragte sogar die Polizei das Ehepaar wegen eines Auffahrunfalls in der Trierer Straße: Der konnte dann mit Hilfe der Kamera aufgeklärt werden. Die Bit-Byte-Webcam wurde damit zum Hilfsinstrument der staatlichen Exekutive - wie bei "1984". Chris Widowsky-Schelwat versichert: "Eigentlich speichern wir keine Daten, das war in dem Fall Zufall." Und auch ansonsten sind die Kameras eher harmlos. Getreu dem Hit des Deutschen Rappers Marteria "Lila Wolken" strahlt der Himmel in der Farbe der Milka-Kuh. Häuser und Autos darunter tragen statt tristen Graus einen Grünstich. Das Bild der Webcam nicht nur farbverfälscht, sondern auch recht pixelig, also unscharf. Ein Gesicht wäre kaum zu identifizieren. Deshalb stehen die Webcam-Betreiber auch rechtlich eher auf der sicheren Seite (siehe Info). Dann gibt es eine Webcam am Bitburger Flugplatz. "Das ist ein weites Feld", musste sich schon Effie Briest im gleichnamigen Roman Theodor Fontanes anhören. Alles zu komplex quasi. Mehr als ein weites Feld sieht man auf der Flughafenwebcam jedenfalls nicht, und das ist verpixelter als jedes mit Buntstiften gekritzelte Kindergarten-Bild. Wenig komplex und wenig erkenntnisreich also, was es dort zu entdecken gibt. Das Bild wird trotzdem jede Minute aktualisiert.
Und wer bietet am meisten Beobachtungspotenzial für Orwells "Großen Bruder"? Natürlich wie bei Orwell der Staat, naja, die Stadt. Denn die Stadt Bitburg hat eine Webcam mit vier Perspektiven - dahinter stecke Stadtmarketing, sagt Pressesprecher Werner Krämer. "Manche wollen auch einfach wissen, wie das Wetter aussieht", fügt er hinzu. Eine Perspektive zeigt Bitburg Nord und die Eifel, eine weitere die Stadthalle, die dritte die Neuerburger Straße und die letzte die Dächer der Stadt.
Die Perspektiven sollen alle Viertelstunde wechseln. Wenn nicht zur Unterdrückung der braven Bitburger Bürger, wozu sind die Kameras dann gut? Reiht sich deren Spannungspotenzial wunderbar ein in Klassiker wie "Die schönsten Bahnstrecken" oder "Wie mir die Füße einschliefen". Wir haben auf Facebook nachgefragt, und die Reaktionen über Webcams aus dem Netz sind verhalten bis belustigt:
Michi Bohr schreibt: "Wusste gar nicht, dass es die gibt." Laura Thies schreibt: "Man kann uns beobachten.", und markiert dabei einige Freunde im sozialen Netzwerk, die so ebenfalls auf das Bild aufmerksam werden sollen. Eine von den Freundinnen mit dem Nutzernamen Sabrina schreibt: "Stalking" - dahinter ein Tränen lachendes Smiley.
Dennoch gibt es Menschen, die sich an den stillen Beobachtern erfreuen. Im Gästebuch der Webcam-Homepage von Bit-Bytes stehen viele Einträge von US-Amerikanern, die einmal auf der Airbase gelebt haben. Die machen laut Bit-Bytes 90 Prozent der Webseiten-Besucher aus - insgesamt seien es 300 pro Tag. Im Gästebuch erinnern die Amerikaner sich zahlreich und gerne an die alte Heimat, wie etwa Jake und Kelly Peetz: "Wir lebten in Bickendorf für fünf Jahre von 2000 bis 2005 und arbeiteten in der Bitburger Air-Base. Wir vermissen die Gegend sehr, aber sind nach Washington State zurückgezogen. Hallo an alle Leute von Stagefright Live !!!"
Internetseiten der Webcams:

Die Webcam auf der Trierer Straße:
www.webcam.bitburg.net/

Flugplatz Bitburg:
webcam.flugplatz-bitburg.de/webcam/index.htm

Rathaus Bitburg:
www.bitburg.de/kiosk/webcam_stadthalle.htmlExtra: DIE RECHTSLAGE BEI WEBCAMS


Neben dem Standort der Kamera ist auch die Auflösung der ausgestrahlten Bilder entscheidend für die Rechtmäßigkeit. Die Auflösung der Webcam sollte zwar ausreichend hoch sein, um Örtlichkeiten zu erkennen, aber nicht gestochen scharf, so dass Personen nicht zu identifizieren sind. Insofern sind in der Regel auch Panoramaaufnahmen aus der Entfernung ausreichend. Eine Zoomfunktion, die Personen vermehrt erkennbar macht, sollte nicht zur Verfügung stehen.Extra: ÜBER DYSTOPIEN UND ORWELLS "1984"

Werden wir beobachtet?
Foto: (e_bit )


Eine Dystopie entwirft ein pessimistisches Bild einer Gesellschaft in der Zukunft. Damit möchten die Autoren oft auf kritische Entwicklungen der Gegenwart aufmerksam machen. Ein bekanntes Beispiel ist George Orwells Roman "1984". Die Handlung verläuft in Kürze so: In einem totalitären Überwachungsstaatim Jahre 1984 ist Winston Smith, ein einfaches Mitglied derdiktatorisch herrschenden, sozialistischenStaatspartei. Er will sich der allgegenwärtigen Überwachung zum Trotz seine Privatsphäre sichern. Dann gerät er in Konflikt mit dem Staatssystem, das ihn einer Gehirnwäsche unterzieht.

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