Amoklauf in Finnland: Schüler schießt um sich - Bund will Jugendschutz radikal verschärfen

Zuerst ein Video im Internet - dann fallen tödliche Schüsse. Ein 18-jähriger Abiturient hat am Mittwoch in einem finnischen Gymnasium acht Menschen getötet. Diese neue Katastrophe fällt genau in Bemühungen des Bundes, den Jugendschutz so radikal wie noch nie zu verschärfen.

Helsinki/Trier. (jp/dpa) Als „äußerst kritisch“ bezeichnete die Polizei in Helsinki den Zustand des Täters selbst, der sich mit seiner Pistole nach dem Amoklauf in den Kopf schoss. Es gebe kaum eine Überlebenschance. Zwölf Schüler des Jokela-Schulzentrums in Tuusula eine Autostunde nördlich von Helsinki wurden mit leichteren Verletzungen in Krankenhäusern behandelt, einer der Verletzten hatte einen Streifschuss erlitten.

Mehrere der Schüler waren in Panik aus Fenstern im ersten Stock gesprungen. Der Amokläufer hatte seine Tat als „Jokela High School Massacre“ im Internetforum YouTube angekündigt und hier auch die Tatwaffe, eine 22-kalibrige Pistole, vorgeführt. Der Täter hatte mittags um zwölf Uhr mitten im Unterricht plötzlich zu schießen begonnen, wie Augenzeugen erklärten. Ein Lehrer berichtete, der Schüler sei dann von Klasse zu Klasse gelaufen, habe angeklopft und unmittelbar darauf durch die Türen geschossen. Der Geschichts- und Psychologielehrer Kim Kiuru forderte seine Schüler in höchster Not zur Flucht aus den Fenstern auf und konnte sich selbst erst in letzter Sekunde vor dem mit seiner Pistole heran stürmenden Amokläufer retten. Der Lehrer sagte über den 18-Jährigen: „Seine Leistungen lagen über dem Durchschnitt.“ Der Schüler habe sich vor allem „für Rechtsextremistisches und Linksextremistisches interessiert“. „Man kann das einfach nicht begreifen. Hier ist es sonst bei uns völlig ruhig“, sagte Kiuru.

Fünf der toten Schüler waren Jungen und zwei Mädchen. In dem Schulzentrum mit Gymnasium und einer Handelsschule in Tuusula war nach den Schüssen sofort Panik ausgebrochen. Zunächst forderte die Schulleitung über Lautsprecher alle Schüler und Lehrer auf, in den Klassen zu bleiben. Trotzdem sprangen Schüler und Lehrer aus - zum Teil geschlossenen - Fenstern, stürmten ins Freie und kletterten über eine Mauer auf die Straße. Danach konnten Polizisten nach und nach weitere Menschen in einer nahe gelegenen Kirche in Sicherheit bringen. Zunächst hatte es geheißen, der Amokläufer habe sich verschanzt und werde belagert.

Der 18-Jährige hatte sich vor dem Amoklauf im Internet-Forum YouTube unter dem deutschen Pseudonym „Sturmgeist89“ angemeldet. Wenige Stunden vor den tödlichen Schüssen wurde auf dieser Seite ein Video mit dem Titel „Jokela High School Massacre“ eingestellt. Das darin gezeigte Video hatten innerhalb weniger Stunden bis zur Sperrung mehr als 200 000 Nutzer heruntergeladen. Unter dem Namen „Sturmgeist89“ hatte der mutmaßliche Täter im Oktober auch seinen bürgerlichen Namen angegeben und auf Englisch geschrieben: „Ich bin ein zynischer Existenzialist. Ich bin bereit, für meine Sache zu sterben.“ Die Polizei erklärte, die Identität des Täters sei nicht geklärt. Deshalb könne man nicht sicher sein, ob der Autor der Internet-Seite mit dem Amokläufer identisch sei. Finnlands Ministerpräsident Matti Vanhanen sprach von einer „furchtbaren und unfassbaren Tragödie“.

In Deutschland wird zurzeit über eine radikale Verschärfung des Jugendschutzes im Internet und in Unterhaltungsmedien debattiert. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen und der nordrhein-westfälische Familienminister Armin Laschet haben ein Sofortprogramm erarbeitet, das bereits im Bundeskabinett diskutiert worden ist. Das Ziel: Medien, die "besonders realistische, grausame und reißerische Gewaltdarstellungen und Tötungshandlungen beinhalten", sollen per Gesetz automatisch für Kinder und Jugendliche verboten werden, ohne vorher - wie bisher - der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien vorgelegt werden zu müssen. "Spiele, in denen deutlich visualisierte Gewaltanwendung mit dem Erreichen eines weiteren Levels belohnt wird, kommen auf den Index", sagt von der Leyen.

Der Bund will auch Händlern, die es mit dem Jugendschutz nicht so genau nehmen, an den Kragen. Jugendliche Lockvögel sollen versuchen, verbotene Medienträger zu erwerben. Bisher hatte das Jugendschutzgesetz eine solche Vorgehensweise nicht zugelassen.

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