Bausendorf: Vogelfrei und fern der Heimat

BAUSENDORF. Handwerker, die sich auf die Wanderschaft machen, dürfen nicht zimperlich sein. Auch Zimmerer Mario Tschepe musste allerlei knifflige Rituale über sich ergehen lassen, bis er schließlich seinen Heimatort Bausendorf verlassen konnte.

Montags morgens, im Hause Tschepe. Es geht hektisch zu. Der große Tag ist gekommen, Mario Tschepe geht für zwei Jahre und einen Tag auf die Walz, ein Art zu reisen mit besonderen Vorgaben. Nicht mit Trolley oder Reisetasche schnell zum nächsten Bahnhof, die Wandergesellen wandern auch heute noch wie im Mittelalter nach alten Traditionen wirklich zu Fuß. "Das Reisen darf kein Geld kosten", erklärt Tischler Frank, der Mario in den ersten zwei Monaten begleitet, "losbringt" wie es bei den Wandergesellen heißt. Also sind öffentliche Verkehrsmittel tabu, ein eigenes Auto natürlich sowieso. Auch Besuche zwischendurch zu Hause sind nicht erlaubt. 50 Kilometer rund um den Heimatort ist die Bannmeile, die Mario in den nächsten zwei Jahren nicht wieder betreten darf. Frank, der bereits seit einem Jahr unterwegs ist, erzählt: Maximal drei Monate, dürfe der Wanderer an einem Ort bleiben. Während man unterwegs ist, müsse man sich jeden Abend um eine Unterkunft bemühen. "Es findet sich immer irgendwas", so seine Erfahrung. Manchmal übernachte er bei Handwerksmeistern, aber auch Privatleute sind es, die ihm Bleibe geben. Die Verbindung nach Hause wird nur über Briefe gehalten. Handies empfindet Frank als Einschränkung der Freiheit. Für ihn war das Reisen an sich Motivation genug, sich für diesen eher beschwerlichen Weg zu entscheiden. 700 bis 800 Gesellen sind es zur Zeit, die sich für diese spezielle Art des Reisens und der Ausbildung entschieden haben. Zu erkennen sind die sechs Gesellen, unter ihnen auch drei Frauen, die an diesem Morgen zunächst mit einem Lied auf den Lippen durch Bausendorf ziehen, schon an ihrer typischen Kleidung. Bevor die sechs Handwerksgesellen den Ort verlassen, ziehen sie erst einmal zum Ortsbürgermeister, um sich dort zu verabschieden. Dann geht es weiter zum Ortsausgang in Richtung Ürzig. Mittlerweile haben sich hier schon die Familie von Mario und viele Freunde versammelt. Aber noch geht es nicht los. Erst einmal wird zur Feier des Abschieds noch eine Flasche Wein geleert und Mario muss seine geographischen Kenntnisse unter Beweis stellen. Er bekommt die Aufgabe, eine Deutschlandkarte zu zeichnen, mit den angrenzenden Nachbarländern, Flüssen, den Heimatorten der anderen Handwerksgesellen, Gebirgen und einige Angaben mehr. Während er noch zeichnet, schreiben die Umstehenden ebenfalls einen Zettel mit Grüßen für die Heimkehr in zwei Jahren. Der Zettel verschwindet in der leeren Weinflasche mit allerlei anderen Gegenständen. Eine Zahnbürste, ist dabei, ein Euro, der solange bearbeitet wird, bis er durch den Flaschenhals passt. Mittlerweile ist auch Mario fertig und die Deutschlandkarte verschwindet ebenfalls in der Flasche. Doch schon wartet die nächste Aufgabe. Jetzt soll er ein achzig Zentimeter tiefes Loch graben, um dort die Flasche unterzubringen. Wenn er nach zwei Jahren zurück nach Bausendorf kommt, dann soll er sie bei Erreichen des Ortes wieder ausgraben. Dass er einige Prüfungen zu bestehen hat, war Mario schon am Samstag Abend bei der Abschiedsparty klar geworden. Dort musste er erst mal bis auf die Unterwäsche seine Kleidung ablegen und erhielt diese Stück für Stück zurück, wenn er diese Aufgaben erfüllt hatte: So musste er kopfüber hängend einen Holzbalken durchsägen, geografische Fragen beantworten. Mit leichtem Gruseln berichtet seine Mutter Evelyn von der speziellen Art des Ohrlochstechens. Mit einem Zimmermannsnagel wurde das Ohr zunächst auf einen Holzklotz genagelt und erst nach der Beantwortung einiger Fragen wurde Mario aus seiner misslichen Lage befreit. Mittlerweile ist der Abschied näher gerückt. Mit einem Spaten, den sich Mario in der Nachbarschaft organisiert hat, vergräbt er die Flasche. Jetzt ist nur noch die letzte Hürde, das Ortsschild, zu überwinden. Mit Gepäck klettert Mario nach oben und lässt sich dann in die Arme seiner Kollegen fallen. Jetzt geht er los, ein Blick zurück ist nicht erlaubt.

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