Die Welt wird neu an Weihnachten

Trier · „Die Krippe zeigt keine heile, sondern eine geheilte Welt“, meint Bischof Stephan Ackermann. Und damit sind sie ein Symbol der Hoffnung. Die Gedanken des Trierer Bischofs zu Weihnachten.

In unserem Dom- und Diözesanmuseum in Trier befindet sich zur Zeit eine Ausstellung von Weihnachtskrippen verschiedener Epochen und Kontinente. Es ist faszinierend zu sehen, wie stark sich die unterschiedlichen Kulturen das Ereignis von Bethlehem angeeignet haben: Die Krippenfiguren tragen nicht nur jeweils landestypische Kleidung, sogar ihre Gesichtzüge entsprechen den Menschen vor Ort.

Manche Krippen sind in ihrer Ausstattung ganz auf das Wesentliche konzentriert: die Heilige Familie mit Maria, Josef und dem Kind, vielleicht noch einigen Hirten und Schafen. Andere scheinen von der Menge an Figuren geradezu überzuquellen. So unterschiedlich und bunt die Krippen auch sind, in einem Punkt sind sie alle gleich: Alle haben als ihre Mitte das Kind, um das herum sich alles andere geheimnisvoll ordnet wie Eisenspäne in einem Magnetfeld. Mögen sich noch so viele Figuren in einer Krippe befinden, jede Figur hat ihren besonderen Platz. Alles steht in einträchtiger Harmonie und wohlgeordnet.

Schaut man länger hin, kann einem diese Ordnung geradezu unheimlich vorkommen. Wo gibt es das denn sonst? Kein Familienwohnzimmer ist an Weihnachten so ordentlich. Ganz zu schweigen von der Welt "draußen". Zu viel ist und bleibt, auch an Weihnachten, ungeordnet. Wir brauchen nur an die Dauerkonfliktherde Afghanistan, den Irak, das Heilige Land zu denken.

Doch auch der Blick auf die Verhältnisse in unserem eigenen Land kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht erst mit dem Ausbruch der Finanzmarkt krise im Herbst 2008 vieles aus den Fugen geraten ist. Alte Ordnungssysteme funktionieren nicht mehr so recht: der Arbeitsmarkt, das Gesundheits- und das Sozialwesen, auch über kommene kirchliche Strukturen. Wie schwer tun wir uns mit einer Neuordnung in all diesen Fragen. Es ist etwas dran an dem bitter-ironischen Satz: "Wir bekommen immer mehr Ordnungen, aber wir haben immer weniger Ordnung." Unsere wohlgeordneten Weihnachtskrippen stellen dazu ein krasses Gegenbild dar: Sie vereinen die schier unüberbrückbaren Gegensätze zwischen Arm und Reich, Jung und Alt, Mensch und Natur, Licht und Dunkel, Fremden (die Weisen aus dem Osten) und Freunden...

Erzeugen die Krippen damit nicht das nostalgische Trugbild einer heilen Welt, bei dem einem zwar für einige Augenblicke warm wird ums Herz, das aber leider nicht alltagstauglich ist? Aus der Sicht des Glaubens wollen die Krippendarstellungen so nicht verstanden werden. Freilich, sie wollen Gegenbilder sein zu unserer Alltagswelt, aber nicht im Sinne einer naiv-heilen Welt. Nicht heile Welt, sondern geheilte Welt wollen die Krippenbilder zeigen. Nicht zufällig heißt es in einem Lobgebet der Weihnachtsgottesdienste: "Er, Christus, heilt die Wunden der ganzen Schöpfung, richtet auf, was daniederliegt, und ruft den verlorenen Menschen ins Reich des Friedens." Richtig verstanden schauen die Bilder der Krippe also nicht zurück, sie schauen nach vorne: Krippenbilder sind keine Bilder der Trauer um das verlorene Paradies, sondern Bilder der Hoffnung. Wer aber garantiert, dass diese Sehnsuchtsbilder keine fromme Gaukelei sind?

Der einzige Garant dafür ist das Kind in der Krippe. Es ist nicht nur die innere Mitte aller Krippenbilder. Es ist auch das Fundament, auf dem alles andere aufbaut. Nicht umsonst wird das Kind oft auf dem nackten Boden liegend dargestellt. Es ist der Boden der nackten Realitäten. An dieser Stelle berührt der Himmel die Erde. In Jesus sind alle Weihnachtsbilder geerdet. Denn er hat sich den Realitäten gestellt - angefangen vom Stallgeruch. Er hat sich Krankheit und Bosheit gestellt, der eigenen Verfolgung und Folter bis in den Tod. In allem hat er festgehalten an seiner Vision vom Reich Gottes, dem Reich des Friedens und der Liebe. Und Gott hat diese Vision bestätigt, indem er seinen Sohn aus dem Tod auferweckt hat. Diese Vision ist also keine bloße Utopie. Sie hat bereits Wurzeln geschlagen in unserer Zeit. Die neue Ordnung Gottes wächst überall da, wo jemand dem Kind in der Krippe glaubt. Wer sich wirklich ernsthaft und dauerhaft an Jesus und seiner Botschaft orientiert, dessen Leben wird sich - vielleicht unmerklich zunächst - ordnen, und er wird mit dazu beitragen, dass sich unsere Welt insgesamt neu zu ordnen beginnt.

Allen Leserinnen und Lesern des Trierischen Volksfreunds wünsche ich von Herzen frohmachende Weihnachtstage und ein spürbar gesegnetes Jahr 2010!

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