Schule versagt: Markt für Nachhilfe boomt - Immer mehr Kinder brauchen Unterstützung

Das Topthema im TV: Notendruck, Schulauslese, mangelhafte Förderung: Ein harter Schulalltag lässt den Trend zur Nachhilfe steigen und beschert Instituten Millionen-Umsätze. Lehrer prangern eine schleichende Privatisierung der Schule an. Immer mehr Schüler kommen ohne Nachhilfe nicht mit.

Mainz.(win) Vor Klassenarbeiten geht der 14-jährige Johannes regelmäßig zur Nachhilfe. Nicht, dass die Versetzung gefährdet wäre. Aber der Unterrichtsstoff in der Schule wird zu schnell „durchgepaukt“, Zeit zum Erklären bleibt nicht viel – und wer nicht mitkommt, muss notgedrungen nacharbeiten.

Auch die Mutter des Sechstklässlers Jan registriert bei ihren Kindern steigenden Leistungsdruck. Die Schüler stehen „unter Feuer“, die Eltern werden alleine gelassen oder sind überfordert, so ihre Einschätzung. Was bleibt, ist der Weg in die Nachhilfe. Mittlerweile hat sich ein Milliarden-Markt etabliert, schätzt die Lehrergewerkschaft GEW. Die Einführung des Turbo-Abiturs mit achtjährigem Gymnasium (G8) in den meisten Ländern hat dem Ganzen zusätzlichen Schub gegeben. Bundesweit eine Million Schüler sollen professionelle Nachhilfe erhalten. Fast ein Drittel der Schüler hat schon mal laut Studien zusätzliche Stunden, bei Gymnnasiasten fast jeder zweite. Hjalmar Brandt vom Verband Bildung und Erziehung spricht von einer schleichenden Privatisierung des Unterrichts. Diese Entwicklung werde von den Bildungsministern billigend in Kauf genommen. Ein unterfinanziertes Bildungssystem einerseits und der Trend zu höheren Schulabschlüssen und Notendruck anderseits hätten Nachhilfe-Institute längst zum etablierten System werden lassen. Daran werde auch die Ganztagsschule nichts mehr ändern, ist sich der Lehrer-Vertreter sicher. Bildung werde einmal mehr zur Frage des Geldbeutels.

Von einer auffälligen Zunahme der Nachhilfe ist im Mainzer Bildungsministerium nichts bekannt. Professionelle Institute müssen nur angemeldet werden, nicht genehmigt. Grundsätzliches Ziel bleibe, kommerzielle Nachhilfe überflüssig zu machen, so der Sprecher von Ministerin Doris Ahnen. Beim Landeselternbeirat schlägt die Nachhilfe zwar laut Vorsitzendem Michael Esser noch nicht „die großen Wellen“. Doch für ihn zeigt die Entwicklung, dass in den Schulen noch immer zu viel unsinniger Wissensdrill praktiziert wird statt mit fächerübergreifendem Unterricht, Team- und Projektarbeit mehr Kompetenzen und Methoden zu vermitteln. Den allgemeinen Ruf auch der Bildungspolitiker nach mehr individueller Förderung kann Cornelia Sussieck, Vorsitzende des Verbandes der Nachhilfeschulen, nur als Beruhigungspille der Politik für Eltern ansehen. Dafür sei die normale Schule nicht ausgelegt, sagt sie.

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