Volle Kanne studieren in den Semesterferien

Trier · Früher wurden Studenten aufgrund ihrer langen Ferienzeiten beneidet. Doch mit Regelstudienzeit und neuen Abschlüssen hat sich das Bild verändert: An der Trierer Uni herrscht selbst mitten im August mächtig Betrieb. Wer als Student ein paar Euro dazuverdienen muss oder Urlaub machen will, hat schnell den Anschluss verloren.

(DiL) Bei vielen reicht es nicht einmal für einen längeren Heimat-Besuch. So wie bei Francesco Mio, dessen Familie in Hamburg in den letzten Semesterferien auf ihren Sohn verzichten musste. Der Grund: zehn Klausuren. Solche Fälle gibt es reihenweise – das bestätigt auch Uni-Präsident Professor Peter Schwenkmezger. Zum einen wolle man vermeiden, die Klausuren parallel zu den Vorlesungen zu legen, „damit die auch besucht werden können“. Zum anderen wandern auch immer öfter Lehrveranstaltungen in die Semesterferien, weil die „aufgrund unserer Größe einfach nicht alle in die Vorlesungszeit passen“. Das gelte vor allem bei Fächern wie dem Studiengang Biologie, wo die Labor-Kapazität begrenzt sei.

Viele jüngere Studenten haben für sich die Ursache des Stresses ausgemacht: Die Umstellung auf die neuen Studienabschlüsse „Bachelor“ und „Master“ trifft auf geballten Unmut, der sich auch schon mal in drastischen Worten niderschlägt. „Bulimie-Learning“ nennen zwei Studentinnen das, was man von ihnen erwartet: „Alles schnell auswendig lernen und nur zu den Klausuren wieder auskotzen“.

Der Uni-Präsident relativiert: Die Belastung in den Semesterferien sei schon über einen längeren Zeitraum ständig gewachsen, nicht erst mit den EU-weiten Abschlüssen. Aber auch Schwenkmezger fürchtet unerwünschte Konsequenzen. So sei immer weniger Zeit für studienbedingte Auslands-Aufenthalte. „Wenn das sich weiter reduziert, wäre es ein echter Wertverlust“.

Für viele Studenten ist das aber fast ein Luxusproblem gegenüber dem Umstand, dass sie in den Semesterferien im Grunde jobben gehen müssten, um sich finanziell über Wasser zu halten. Studentin Franziska Lang kennt nicht mehr viele Ferien-Jobber, und wenn, dann seien die oft „gesundheitlich angeschlagen“.

Auch die Agentur für Arbeit registriert in ihrer studentischen Job-Vermittlung die neue Lage. „Lieber regelmäßig einmal in der Woche kellnern als vier Wochen in den Ferien durcharbeiten“ – mit diesem Wunsch wird Thomas Mares von der Trierer Arbeits-Agentur zunehmend konfrontiert. Aber dort hat man noch ein ganz anderes Problem: Gerade vielgefragte Klein-Jobs wie etwa bei Promotion-Auftritten seien erheblich zurückgegangen – die Krise fordert ihren Tribut. So geraten weniger solvente Studenten immer mehr in die Zwickmühle.

MEINUNG
Bildung am Fließband: Warum man mit Studenten von heute nicht tauschen mag
Von Dieter Lintz
Es mag ja sein, dass manch idealisierender Rückblick die Studienbedingungen von einst zu sehr durch die Brille der Nostalgie betrachtet. Auch vor 20 oder 30 Jahren war das Studieren keine Aneinanderreihung von Semesterferien mit gelegentlicher Unterbrechung durch – bevorzugt nachmittägliche – Vorlesungs-Phasen. Und wenn es Freiräume gab, dann wurden sie keineswegs vorrangig für gesellschaftliches Engagement, kulturelle Aktivitäten und ein allgemeinbildendes „studium generale“ genutzt. Wer also heute über Studien-Stress, Schmalspur-Ausbildung, Fachidiotie und mangelnden Blick über den Tellerrand jammert, muss die Ursachenforschung schon etwas breiter anlegen als bei Bachelor und Master.

Und trotzdem: Tauschen möchte man mit den Schülern und Studenten von heute nicht. In zwölf Jahren zum Turbo-Abitur gejagt, anschließend in sechs Semestern zum Bachelor gedrillt, tunlichst irgendwo ein paar Praktika und Auslands-Aufenthalte eingeschoben, werden sie mit 22 auf einen Arbeitsmarkt geworfen, der vieles verlangt, aber als Gegenleistung oft nur Praktikanten-Status anbietet. Da stimmen Aufwand und Ertrag nicht mehr. Vor allem in Deutschland nicht, wo man neue Abschlüsse wie das G-12-Abi und den Bachelor gerne überfrachtet, indem man den Stoff der alten, längeren Ausbildungsgänge einfach in die neuen Lehrpläne hineinquetscht. Statt, wie in anderen Ländern, zu akzeptieren, dass es sich um „Light“-Abschlüsse handelt, die auf dem Arbeitsmarkt eine völlig andere Rolle erfüllen als das klassische „Diplom“.

Fatal ist, dass solche Entwicklungen die im reichen Deutschland ohnehin skandalöse soziale Ausgrenzung an den Hochschulen noch verstärken. Wem solvente Eltern Studium, Auto und Urlaub finanzieren, der kann sich auch in hochverdichteten Studiengängen darauf konzentrieren, gute Abschlüsse hinzulegen. Wer als Abkömmling weniger privilegierter Familien weiß, dass es ohne Nebenjobs nicht geht, wird sich drei Mal überlegen, ob er sich auf das Abenteuer Studium einlässt.

So verschwendet man gesellschaftliche Ressourcen. Wie auch bei denen, die ein bisschen langsamer sind, etwas länger brauchen, sich erst finden müssen, mal nach links und rechts schauen. Die sind nicht mehr vorgesehen. Fertigteil-Fabrikation duldet keine Unikate. Fragt sich nur, wie viele im Berufsleben hocherfolgreiche Leute unter den heutigen Fließband-Bedingungen die Uni-Tretmühle niemals gepackt hätten. aheu/dr

d.lintz@volksfreund.de

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