18 Sekunden bis zur Katastrophe - Der Luxair-Absturz heute vor zehn Jahren

Luxemburg · Es ist der schwärzeste Tag in der Geschichte der Luxemburger Luftfahrt: Vor zehn Jahren, am 6. November 2002, stürzt eine Propellermaschine der Fluggesellschaft Luxair ab. 20 Menschen sterben, nur zwei überleben.

 Das Wrack der Fokker 50 in der Nähe von Niederanven. Foto: Archiv/dpa

Das Wrack der Fokker 50 in der Nähe von Niederanven. Foto: Archiv/dpa

Luxemburg. 6. November 2002. Es ist ein diesiger Tag. In Luxemburg herrscht an diesem Morgen dichter Nebel. Es ist herbstlich kalt. Als um 8.43 Uhr vom damals noch existierenden Flughafen Berlin-Tempelhof der Luxair-Flug mit der Nummer LG 9642 mit drei Minuten Verspätung Richtung Luxemburg startet, ahnt keiner der 19 Passagiere, auch nicht die beiden Piloten und die Stewardess an Bord des Propeller-Flugzeugs vom Typ Fokker 50, dass der Flug in einer Katastrophe enden wird. Um 9.52 Uhr übergibt die deutsche Flugsicherung Luxair-Flug LG 9642 kurz vor der luxemburgischen Grenze an die Anflugkontrolle des Flughafens Findel. Die Fokker fliegt zu dieser Zeit in 3000 Metern Höhe und befindet sich bereits im Sinkflug. Noch knapp 20 Minuten bis zur geplanten Landung. Bis dahin ist der Flug problemlos verlaufen. Die 1991 in Dienst gestellte Maschine ist erst einen Tag zuvor in der jährlichen Generalinspektion gecheckt worden. Die Sicht auf dem Flughafen Findel in Luxemburg liegt unter 50 Metern.
Um 9.56 Uhr kündigt der Ko-pilot den Passagieren an, dass man sich im Landeanflug auf Luxemburg befinde. Noch hat die Flugsicherung keine Landeerlaubnis gegeben, die Sicht ist zu schlecht. Im Tower auf dem Flughafen wird kurzzeitig erwogen, die Maschine nach Saarbrücken umzuleiten. Doch der Kapitän der Fokker weigert sich, nach Saarbrücken zu fliegen. "Ich gehe nicht nach Saarbrücken", sagt er 15 Minuten vor dem Absturz im Cockpit. Der später geborgene Stimmenrekorder gibt Aufschluss über das, was sich kurz vor der Katastrophe im Cockpit abgespielt hat. Die beiden jungen Piloten unterhalten sich über ihre Jugend, albern herum. Der damals 27-jährige Pilot sagt, dass er dringend nach Hause müsse, weil er auf die Toilette wolle. "Ich packe es sonst nicht mehr." Die aufgezeichnete Kommunikation im Cockpit zeigt aber auch, dass dort Chaos herrscht und die beiden Piloten anscheinend überfordert sind.
Als sich die Sicht auf dem Flughafen bessert, gibt die Flugkontrolle dann doch noch die Landebahn frei. Obwohl der Kopilot gerade den Passagieren mitgeteilt hat, dass sich die Ankunft in Luxemburg wegen dichten Nebels verzögern werde, leitet der Kapitän eigenmächtig die Landung ein. Ohne seinen Kopiloten und die Passagiere darüber zu informieren. Laut Stimmenrekorder, der nach dem Absturz aus dem Wrack geborgen worden ist, hat es danach noch 18 Sekunden gedauert, bis die Maschine auf einem Feld ein paar Kilometer vor der Landebahn zerschellt ist.
Gegen 10.06 Uhr verschwindet die Maschine abrupt von den Bildschirmen der Flugsicherung. Sie bricht entzwei, fängt Feuer. "Oh merde" (Oh Scheiße) sind die letzten Worte des Kopiloten, die auf dem Stimmenrekorder zu hören sind. Er stirbt, genau wie 19 weitere Insassen, die meisten Passagiere stammen aus Deutschland. Nur der Pilot, Sohn des damaligen Flugdirektors von Luxair, und ein französischer Passagier überleben schwerstverletzt. Ursache des Unglücks - so zeigt sich später - war ein Pilotenfehler: Der Kapitän hat während des Landeanflugs die Schubumkehr betätigt und damit abrupt die Propeller gestoppt. Das Flugzeug wurde manövrierunfähig und stürzte ab.
Obwohl der ein Jahr nach dem Absturz von Luxair vorgelegte Untersuchungsbericht eindeutig dem Piloten und auch der Fluggesellschaft die Schuld an dem Unglück gibt, schieben diese sich gegenseitig die Verantwortung zu. Der damalige Luxair-Chef Christian Heinzmann sieht in den Piloten die einzig Schuldigen; er feuert den Unglückspiloten und dessen Vater sowie fünf weitere Piloten fristlos. Es kommt zum Eklat. Die Pilotengewerkschaft droht mit einem Streik aller Luxair-Piloten. Luxair muss die Entlassungen, außer der des Unglückspiloten, rückgängig machen. Kurze Zeit später gerät der damalige Luxair-Chef ins Visier der Ermittler - sie geben ihm eine Mitschuld am "System Luxair", das durch mangelnde Kontrollen und mehr oder weniger eigenmächtig agierende Piloten mit zur Katastrophe beigetragen hat. Heinzmann wird angeklagt, muss seinen Stuhl räumen.
Die juristische Aufarbeitung des Unglücks verzögert sich. Immer wieder wird die Liste der Angeklagten erweitert, zunächst sollen auch Verantwortliche der luxemburgischen Luftfahrtbehörde und der Wartungsfirma des Jahre zuvor pleitegegangenen niederländischen Flugzeugherstellers Fokker auf der Anklagebank sitzen. Immer wieder wird der Prozessbeginn verschoben.
Neun Jahre nach dem Unglück kommt es im Oktober 2011 zum Verfahren vor der 9. Kriminalkammer des Luxemburger Bezirksgerichts. Drei Monate lang wird vier Tage die Woche verhandelt, 33 Verhandlungstage insgesamt. Auf der Anklagebank sitzen neben dem Piloten auch der damalige Chefmechaniker, zwei Techniker und drei ehemalige Luxair-Chefs, unter ihnen Christian Heinzmann. In dem Prozess geht es auch um das "System Luxair", das nach Ansicht des Gerichts die Katastrophe erst möglich gemacht hat. Offensichtlich habe sich niemand in dem Unternehmen verantwortlich gefühlt, etwa den Empfehlungen des Flugzeugbauers Fokker Folge zu leisten und die Sicherung der Schubumkehr nachzurüsten. Damit trage Luxair eine Mitschuld an der Katastrophe, heißt es später (im März 2012) im Urteil.
Trotzdem werden die ehemaligen Luxair-Chefs freigesprochen. Der Pilot wird wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von 4000 Euro verurteilt, der Chefmechaniker sowie die beiden Techniker zu Haftstrafen auf Bewährung und zu Geldstrafen.
Die noch immer auf einem ehemaligen Gelände des US-Militärs im luxemburgischen Sassenheim lagernden Wrackteile sollen nun entsorgt werden.
Extra: Entschädigung

 Rettungskräfte bergen am 6. November 2002 eine Leiche aus dem Wrack der Luxair-Maschine vom Typ Fokker 50, die bei Niederanven abgestürzt ist. Foto: dpa

Rettungskräfte bergen am 6. November 2002 eine Leiche aus dem Wrack der Luxair-Maschine vom Typ Fokker 50, die bei Niederanven abgestürzt ist. Foto: dpa


Die Schuldigen für den Flugzeugabsturz vor zehn Jahren sind im März verurteilt worden. Trotzdem ist die juristische Aufarbeitung der Katastrophe noch nicht beendet. In einer Woche beginnt der Berufungsprozess. Dabei geht es um Schadenersatz für zehn Hinterbliebene von Absturzopfern. Nicht mehr verhandelt wird über die strafrechtliche Bewertung des Unglücks. Alle Verurteilten haben den Richterspruch vom 27. März 2012 akzeptiert. Die Forderungen der Opferfamilien belaufen sich auf über 600 000 Euro. Das Gericht muss entscheiden, ob Luxair den Hinterbliebenen Entschädigung zahlt. Geregelt ist das im Warschauer Abkommen. In der 1929 unterzeichneten und noch immer gültigen Vereinbarung geht es auch um Haftungen bei Todesfällen nach Flugzeugabstürzen. Das würde bedeuten, dass Luxair die Hinterbliebenen entschädigen muss. Bereits kurz nach dem Urteil im März hieß es bei Luxair, man sei grundsätzlich bereit, sich außergerichtlich über Entschädigungen zu einigen. Dazu scheint es aber nicht gekommen zu sein. Kurz nach dem Absturz hatte die Fluggesellschaft einigen Hinterbliebenen Schadenersatz gezahlt. Die Familien, die sich nicht mit Luxair über Entschädigungen einigen konnten, traten in dem Strafrechtsprozess als Nebenkläger auf. Allerdings hat sich das Gericht im März als nicht zuständig für die Schadenersatzforderungen erklärt. Einzig den Hinterbliebenen der beim Absturz getöteten Stewardess und des Kopiloten hat das Gericht eine Entschädigung von insgesamt 75 000 Euro zugebilligt. Daher kommt es nun zu dem Berufungsprozess. wie

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