Bücheler Bomben sind politischer Sprengstoff

Büchel · Die in der Eifel stationierten Kernwaffen sind ins Zentrum einer nuklearpolitischen Debatte gerückt. Denn Friedensforschern zufolge will die USA mit ihnen eine neue Atombombengeneration schaffen, die bis 2050 einsetzbar ist. Das deutsche Verteidigungsministerium plant nun, die für Atombomben geeigneten Tornadojets länger im Dienst zu halten. Das Ziel eines atomwaffenfreien Deutschlands scheint damit in weite Ferne zu rücken.

Büchel. Rings um den Fliegerhorst Büchel wirkt die Eifel genauso grün und friedlich wie immer. Nichts deutet darauf hin, dass dieses Stückchen Land zwischen Cochem und Mayen in der Geschichte einer neuen Atombombengeneration oder der atomaren Abrüstungsdebatte eine Rolle spielen könnte.
Sie lagern unterirdisch


Doch genauso ist es. Denn jenseits des wehrhaften Zauns, der das Militärgelände von Wiesen und Feldern trennt, sollen sie liegen: die letzten Atombomben auf dem Gebiet der Bundesrepublik. In den Flugzeugsheltern, unter mächtigen Abdeckplatten, verstaut in unterirdischen Magazinen. Zehn, vielleicht auch 20 an der Zahl. Bewacht von 140 amerikanischen Soldaten und der Luftwaffensicherungsstaffel des deutschen Jagdbombergeschwaders 33. Obwohl es ein Ding der Unmöglichkeit ist, sich die Existenz dieser Bomben des Typs B61-3 und B61-4 von offizieller deutscher oder amerikanischer Seite bestätigen zu lassen, zweifelt kaum jemand daran, dass es sie tatsächlich gibt. Zumal der von der Opposition als "Abrüstungsversager" beschimpfte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) immer mal wieder - zuletzt nach der Wiederwahl Barack Obamas - medienwirksam ihren Abzug propagiert.
Das, was die Öffentlichkeit erfährt, beruht dennoch im Wesentlichen auf den Informationen, die Friedensforscher dies- und jenseits des Atlantiks sammeln und bereitstellen. Zu diesen Forschern zählen Otfried Nassauer, Direktor des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, und Hans Kristensen, Direktor des Nuclear Information Projects bei der Federation of American Scientists in Washington.
Mit seinen Informationen sorgte Kristensen vergangene Woche auf Deutschlandbesuch für Schlagzeilen. Denn in einem Interview mit dem ARD-Magazin Fakt machte er auf die Gefahren aufmerksam, die davon ausgehen, dass die in Büchel gelagerten Bomben keinen feuerfesten Plutoniumkern haben: Sollte ein Flugzeug mit einer der Bomben abstürzen, explodieren oder in Flammen aufgehen, könne Plutonium austreten. Wirklich neu ist das allerdings nicht: Schon 1991 warnten Wissenschaftler den US-Kongress vor diesem Risiko.
Der Plan: eine "bessere" Bombe


Mehr politischen Sprengstoff als diese Nachricht bergen die Informationen, die der Atomwaffenexperte in nichtöffentlicher Sitzung dem Bundestagsunterausschuss "Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung" gegeben hat. Laut Kristensen decken sie sich mit dem, was er in einem aktuellen Bericht über die Modernisierung der Nato-Nuklearwaffen geschrieben hat, der dem TV vorliegt. Demzufolge planen die USA - anders als es in einer Stellungnahme der Bundesregierung heißt (siehe Extra rechts) - mehr, als ihren Waffen einfach eine Lebensdauer bis 2050 zu bescheren und sie sicherer zu machen.
Kristensen zufolge geht es darum, sowohl die Atomwaffen als auch die Trägerflugzeuge grundlegend zu überarbeiten.
Ab 2016 sollen etwa 200 Bomben des Typs B61-3 und B61-4 aus Europa in die USA gebracht werden, darunter auch jene aus Deutschland, um sie dort zu modernisieren. Was dabei herauskommt, ist dem Papier zufolge eher eine neue, eine "bessere" Bombe: Statt frei fallend soll die (immer noch nicht brandsichere) B61-12 zielgerichtet lenkbar und auch für den Angriff befestigter unterirdischer Ziele geeignet sein. Dass die Explosion ihres 50 Kilotonnen schweren Sprengkopfes dank der Zielgenauigkeit der Bombe und einer individuell einstellbaren Sprengkraft weniger Radioaktivität freisetzen soll, beruhigt die Friedensforscher wenig: Sie fürchten, dass diese Waffe dazu verführen könnte, sie auch einzusetzen. Kristensen fragt sich, wie dieses US-Atomwaffenprogramm Russland zur nuklearen Abrüstung animieren sollte.
Millionenausgaben für Tornados


Argumente und Fragen, die wenige Tage nach Kristensens Besuch nahezu wortgleich in einer Bundestagsdiskussion zum Thema auftauchen - vorgebracht von Mitgliedern des Unterausschusses "Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung". Sie haben für SPD und Die Linke Anträge eingebracht: Darin fordern sie die Bundesregierung auf, sich für einen Abzug der Atomwaffen aus Büchel und gegen die Stationierung modernisierter Waffen einzusetzen.
Auch Nassauer hat den Bundestagsausschuss dieses Jahr schon beraten. Er beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, was das Ganze für die deutschen Tornadojets bedeutet, die im Rahmen der Nato-Teilhabe als Trägerflugzeug für die Atomwaffen in Büchel bereitstehen. Zumal sich das Modernisierungsprogramm verzögert: Nassauer zufolge geht das Pentagon inzwischen davon aus, dass die erste modernisierte Bombe nicht 2019, sondern frühestens 2022 fertig ist.
85 der deutschen Tornadojets sollten ursprünglich bis 2020 im Dienst bleiben, dann bis 2025. Im September sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, man wolle die Jets über das Jahr 2025 hinaus nutzen. Und nun nannte das Ministerium auf TV-Anfrage das Jahr 2028. Doch bleiben die Jets nicht nur länger im Dienst - was den Steuerzahler der Linken-Fraktion zufolge 250 Millionen Euro kostet. Sie müssten ebenfalls modernisiert werden, um die neue Bombengeneration tragen zu können. Kosten ungewiss. "Die Verzögerungen werfen die Frage auf, ob eine Anpassung der Atombombe in dieses Flugzeug überhaupt noch lohnt", sagt Nassauer.
Eine von vielen Fragen, über die nun der Auswärtige Ausschuss beraten soll, ehe das Ganze zur Abstimmung wieder im Bundestag landet. Auch in den USA ist das Thema noch nicht vom Tisch. Laut Nassauer wird der Kongress bei den Haushaltsberatungen über das geschätzt zehn Milliarden Dollar teure Atombombenmodernisierungsprogramm sprechen müssen, während die Eifel rings um den Fliegerhorst Büchel genauso grün und friedlich wirkt wie immer.
Die Arbeitsgemeinschaft Frieden Trier lädt zu einem Vortrag unter dem Titel "Abzug statt Modernisierung der Atomwaffen in Büchel" am Freitag, 23. November, 19 Uhr, im Trierer Weltladen ein. Referentin ist Marion Küpker, Koordinatorin der Kampagne "Atomwaffen abschaffen", die vor der Bundestagswahl im September 2013 größere Protestaktionen in Büchel plant.
Extra

Atomwaffen in Büchel: Eine offizielle Bestätigung, dass in Büchel Atomwaffen lagern, gibt es nicht. Allerdings auch kein Dementi. Ein ehemaliger Zeitsoldat, der vor einigen Jahren in Büchel gedient hat, berichtet davon, dass die dort stationierten deutschen und US-amerikanischen Soldaten regelmäßig den Umgang mit den Atombomben trainieren: Mal gehe es darum, eines der riesigen C-17-Flugzeuge, die zum Transport der Waffen genutzt werden, innerhalb von 60 Sekunden mit einer Sicherheitszone zu umgeben. Mal darum, eine Bombenattrappe sicher zu transportieren. "Aber die echten Bomben bekommt ein normaler Soldat nie zu sehen", sagt der Mann. Die sollen unterirdisch unter strengster Bewachung in den Flugzeugsheltern lagern. Tag und Nacht patrouillierten Soldaten um die Gebäude. Zudem seien rund um die Uhr 60 bewaffnete Soldaten zum Schutz der Waffen vor Ort. Damals sei die in Büchel stationierte Sicherungsstaffel S (was für Sonderwaffen steht) mit rund 450 Soldaten die größte Staffel der deutschen Luftwaffe gewesen. kahExtra

 Das WS3 (Weapon Storage and Security System ) ist ein in den Boden eingelassenes „Regal“ für Atombomben. Foto: USAF

Das WS3 (Weapon Storage and Security System ) ist ein in den Boden eingelassenes „Regal“ für Atombomben. Foto: USAF

Stellungnahme zu den US-Atomplänen: In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Große Anfrage der SPD heißt es: "Das von den USA beabsichtigte ,Lebensdauerverlängerungsprogramm (Life Extension Program) dient dazu, die Sicherheit und Zuverlässigkeit aller von diesem Programm erfassten Nuklearwaffen auch weiterhin auf höchstem Niveau sicherzustellen und damit die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung zu gewährleisten." Die USA hätten für sich festgelegt, dass mit der geplanten Lebensdauerverlängerung keine neuen Einsatzzwecke oder -fähigkeiten geschaffen werden. "Aus unserer Sicht und auch aus Sicht der Amerikaner handelt es sich dabei um eine Verlängerung der Nutzungsdauer, die auch dem Ziel dient, die Sicherheit dieser Waffen zu erhöhen", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts im September bei einer Pressekonferenz. Dass es dabei um eine Modernisierung gehe, könne er nicht bestätigen. kah

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