Bürger bekommen bald mehr Einblick

Trier/Mainz · Derzeit erfährt die Öffentlichkeit oft erst dann von einem umstrittenen Projekt, wenn die Politiker längst wissen, was sie wollen. Das wird sich bald ändern. Dank einer neuen Gemeindeordnung erhalten Bürger und Journalisten ab dem 1. Juli mehr Einblick. Der TV erklärt, welche Änderungen das neue Gesetz bringt.

Lokaljournalisten haben ständig mit dem Problem zu kämpfen. Ein politisches Gremium berät über ein Thema, das viele Bürger interessiert. Sei es die Zukunft einer Schule, ein Neubaugebiet, in dem auch Flüchtlinge untergebracht werden sollen, ein umstrittener Windpark, die Theatersanierung oder das Minus des Weihnachtsmarkts - und die Türen bleiben verschlossen. Im stillen Kämmerlein, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, werden Für und Wider abgewägt, politische Kämpfe ausgefochten, Entscheidungen getroffen. Und obwohl es der Presse schon jetzt zusteht, anschließend zu erfahren, was beschlossen wurde, ist der Weg zu diesen Informationen oft steinig.

Nicht selten erfährt die Öffentlichkeit erst dann von einem diskussionswürdigen Projekt, wenn der Rat längst weiß, dass er Ja sagen wird. In den nichtöffentlichen Ausschusssitzungen ist schließlich vorab alles ausdiskutiert worden. Womöglich unter nichtssagenden Tagesordnungspunkten wie "Grundstücksangelegenheiten" oder "Verschiedenes".
Beispiele gibt es zuhauf. Das jüngste kommt aus Gerolstein, wo der Bauausschuss erst nach massiver Kritik der Grünen entschieden hat, doch öffentlich darüber zu beraten, wie es mit dem Ausbau der Kyll weitergeht und wo die nächsten 4,25 Millionen Euro investiert werden. Es geht um Baumaßnahmen, die das Stadtbild auf Jahrzehnte prägen werden. Da hätten Bürger "ein berechtigtes Interesse" informiert zu werden, findet ein Bauausschussmitglied der Grünen. Und vermutlich finden das auch viele Gerolsteiner.TV-Analyse Kommunalpolitik

In seltenen Fällen wird die Nicht-Öffentlichkeit sogar zum Mauscheln genutzt. 2006 berichtete der Volksfreund darüber, dass der Thalfanger Verbandsgemeinderat einen Auftrag in nicht-öffentlicher Sitzung - rechtswidrig - an ein Thalfanger Unternehmen vergeben hatte, obwohl ein Büro aus Wiesbaden im Auswahlverfahren besser abschnitt. Der damalige Bürgermeister erstattete Anzeige, weil er vermutete, dass ein Ratsmitglied "die Indiskretion begangen habe", die Presse darüber zu informieren. Die Staatsanwaltschaft sah keinen Grund zu ermitteln.

Mit so etwas dürfte bald Schluss sein. Am 1. Juli tritt in Rheinland-Pfalz eine neue Gemeindeordnung in Kraft, die sämtliche kommunale Gremien - Orts-, Stadt- und Verbandsgemeinderäte, Kreistage und sämtliche Ausschüsse - dazu verpflichtet, grundsätzlich öffentlich zu tagen. Dieser Grundsatz der Öffentlichkeit galt für Ausschüsse bisher nicht.

Da ein Beschluss, der unter Verstoß gegen diesen Grundsatz zustande kommt, nach herrschender Rechtsmeinung nichtig ist, müssen die Gremien sorgfältig abwägen, was sie überhaupt noch nichtöffentlich verhandeln. Nur "Gründe des Gemeinwohls" und "schutzwürdige Interessen Einzelner" rechtfertigen künftig verschlossene Türen. Das Gemeinwohl wäre beispielsweise in Gefahr, wenn der Kommune finanzielle Verluste oder sonstige Nachteile drohen. Die Interessen Einzelner sind betroffen, wenn es um Personalangelegenheiten geht oder um Vertragsdetails. Bisher war es auch möglich, "andere Angelegenheiten aus besonderen Gründen" in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten. Diese Möglichkeit entfällt ab dem 1. Juli komplett.

"Ziel einer bürgerfreundlichen Politik muss ein größtmöglicher Zugang der Öffentlichkeit zu Informationen und die Transparenz von Verwaltungshandeln sein", heißt es in der Begründung des Gesetzes, das die rot-grüne Landesregierung 2015 verabschiedet hatte. So werde das Vertrauen in die repräsentative Demokratie gestärkt.
Dass Bürger und Journalisten in den bald wohl selteneren "geheimen" Sitzungen nicht dabei sind, heißt nicht, dass sie kein Recht auf Informationen hätten. Die neue Gemeindeordnung verpflichtet Kommunen, die nicht-öffentlich getroffenen Beschlüsse unverzüglich bekanntzugeben (wenn nicht Gründe des Gemeinwohls oder berechtigte Interessen Einzelner dagegen sprechen).

Ab dem ersten Juli können Gemeinden zudem in ihrer Hauptsatzung festhalten, dass Presse, Rundfunk oder Fernsehen Ratssitzungen inTon und Bildaufzeichnen dürfen. Regelt eine Kommune dies derart generell, sind Aufnahmen selbst dann erlaubt, wenn einzelne Ratsmitglieder dagegen protestieren. Erfolgt keine Regelung in der Hauptsatzung, bleibt es dabei, dass Mitschnitte nur zulässig sind, wenn alle einverstanden sind.

Einwohnerbeteiligung beim Haushalt: Wer wissen will, wofür seine Gemeinde Geld ausgibt, hat künftig die Gelegenheit, den Entwurf des Haushaltsplans zu studieren. Das neue Gesetz verpflichtet Kommunen, die nicht selten 1000 Seiten starken Machwerke öffentlich auszulegen. Wie, wo oder wann man sie einsehen kann, müssen die Verwaltungen öffentlich bekanntgeben. Zudem müssen sie darauf hinweisen, dass Einwohner 14 Tage lang Zeit haben, Vorschläge einzureichen. Erst danach darf der Rat den Haushaltsplan beschließen.

Moritz Petry, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Südeifel, glaubt nicht, dass dies dazu führen wird, dass sich mehr Bürger einbringen. Denn: Die komplexen Zahlenwerke sind für Laien nur schwer verständlich. Die Einführung der doppischen Haushaltsführung habe das Lesen des Plans - auch für Ratsmitglieder - erschwert, sagt Petry. Das neue Gesetz soll auch die direkte Bürgerbeteiligung erleichtern, indem es Hürden abbaut. Mit einem Einwohnerantrag können Bürger ihren Rat verpflichten, sich öffentlich mit einem Thema zu befassen, das ihnen wichtig ist. In der Region gab es solche Anträge gegen neue Windräder oder Funkmasten oder für einen kommunalen Bestattungswald. Ab sofort müssen nur noch zwei Prozent der Einwohner unterzeichnen, um die Politik zum Handeln zu bringen. In Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern wie Trier sind höchstens 2000 Unterschriften nötig. In Dörfern mit weniger als 20 Einwohnern muss die Hälfte hinter dem Antrag stehen. Das Mindestalter der Unterschriftberechtigten wurde von 16 auf 14 gesenkt.

Wenn Einwohner das Recht bekommen wollen, selbst über die Schließung ihres Friedhofs, die Sanierung ihres Kindergartens oder den geplanten Windpark zu entscheiden, können sie ein Bürgerbegehren einreichen. Erhält dieses die erforderliche Zahl von Unterschriften, wird es dem Rat zur Entscheidung vorgelegt. Findet es dort keine Mehrheit, kommt es zum Bürgerentscheid. Damit ein Bürgerbegehren Erfolg hat, mussten bisher zehn Prozent der Wahlberechtigten einer Gemeinde mitmachen. Ab dem ersten Juli gilt eine neue Staffelung: In Orten mit weniger als 10 000 Einwohnern müssen neun Prozent der Wahlberechtigten unterzeichnen, in Großstädten ab 100 000 Einwohnern nur fünf Prozent.

Noch eine Hürde soll fallen: Bisher mussten die Bürger einen schriftlichen Vorschlag einreichen, wie ihr Begehren finanziert werden soll. Darum kümmert sich künftig die Verwaltung.

Ein Bürgerentscheid gilt künftig als akzeptiert, wenn mehr als 50 Prozent der Teilnehmer an der Abstimmung und zugleich mindestens 15 Prozent der Wahlberechtigten einer Gemeinde zustimmen (bisher: 20 Prozent).Extra

Bundestags-Ausschüsse tagen weiter geheim: Die Opposition im Bundestag ist Anfang Mai mit ihrem Ansinnen gescheitert, die Ausschüsse des Parlaments öffentlich tagen zu lassen. CDU und SPD wollen alles belassen, wie es ist. Die Abgeordneten benötigten "geschützte Denk- und Kommunikationsbereiche", begründet das der Trierer CDU-Politiker Bernhard Kaster. Die Ausschüsse des rheinland-pfälzischen Landtags tagen hingegen überwiegend öffentlich. dpa/MosExtra

Wie wirkt es sich aus, wenn politische Vorberatungen in den Ausschüssen künftig öffentlich sind? Thomas Albrecht von der Trierer CDU glaubt, dass die Öffentlichkeit ein neues Verständnis für den Ablauf von Ratsentscheidungen entwickeln muss: Auch innerhalb von Fraktionen könne es anfangs unterschiedliche Meinungen geben. Es könne auch passieren, dass am Ende eine andere Entscheidung getroffen wird, als sich anfangs abzeichnet. "Es ist gerade Sinn einer Vorberatung, das Für und Wider sorgfältig abzuwägen. Das ist keine Schwäche der Demokratie, sondern ihre Stärke", sagt Albrecht. Alle Beteiligten - Öffentlichkeit und Ratsmitglieder - müssten sich an die völlig neue Arbeitsweise gewöhnen. Mos

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