Das Ende der Milchquote: Der Bauer als Unternehmer auf dem Weltmarkt

Trier · Einst eingeführt, um Butterberge abzubauen, macht die weltweite Nachfrage sie nun überflüssig: Nach 31 Jahren wird heute die Milchquote abgeschafft. Bauern und Molkereien freuen sich über neue Chancen.

Michael Horper, seit Februar neuer Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Nassau, redet nicht lange um den heißen Brei: "Die Milchquote war seit Jahren eine Fessel für die Milchbauern", sagt er und freut sich, dass er und seine Kollegen von nun an mehr melken dürfen, ohne dabei von der EU zur Kasse gebeten zu werden. Die Quote habe nie das Ziel errreicht, zu dessen Zweck sie vor gut 30 Jahren erfunden worden sei, moniert der Landwirt und Funktionär.

Keine stabilen Preise

Horper (57) weiß als moderner Milchbauer mit Biogasanlage und Lohnunternehmer aus Üttfeld (Eifelkreis Bitburg-Prüm), was es heißt, mit Quoten, Produktionsanreizen, Stilllegungsprämien und Garantiepreisen zu jonglieren. Weil er selbst schon seine Milchquote überschritten hat, konnte er über mehrere Monate die Milch nicht an seine Molkerei liefern. Weil es vielen seiner Kollegen ähnlich ging, haben sich einige über die Jahre mehr um die Quote gekümmert als um die Modernisierung und Kostenkontrolle ihrer Betriebe.

Stabilere Preise hat die Milchquote (siehe Extra) für die Landwirte jedenfalls nicht gebracht. Rund 50 Milchmengenverordnungen hat Horper seit Quotenbeginn im Jahr 1984 gezählt. Dabei habe der Preis mehrfach um mehr als 20 Cent je Kilogramm Milch geschwankt. "Schlimmer als mit der Quote können die Preisschwankungen ohne sie auch nicht werden", ist er überzeugt.

Ohnehin zwingt der Preisdruck die Milchbauern zu mehr Umsatz - mit mehr Tieren. Da machen viele nicht mehr mit und geben auf. "Die Milchquote hat diesen Strukturwandel sogar noch befeuert", ist Horper überzeugt. Teure Technik, kein Nachfolger: 90 Prozent aller Milchviehbetriebe in Rheinland-Pfalz haben seit Beginn der Milchquote den Bettel hingeschmissen.

Wer heute weitermacht und Chancen als Milchunternehmer sieht, der wittert vor allem außerhalb Europas das lukrativste Milchgeschäft. Michael Horper sieht bei vielen jungen Landwirten Optimismus, da sie für Hoferweiterungen nun nicht mehr teuer bezahlen müssen, und tritt kritischen Tönen des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) bezüglich eines höheren Risikos für die Landwirte mit Wegfall der Milchquote entgegen: "Wenn die Chinesen unser Milchpulver haben wollen, weil sie ihren eigenen Produkten nicht trauen, während bei uns der Verbraucher den Schnäppchen hinterherrennt, dann bin ich froh, dass unsere Produkte nach China gehen", sagt er.

Bestätigung bekommen Horper und die Mehrheit positiv gestimmter Milchviehhalter vor allem von ihren beiden Molkereien aus der Region Trier. "Wir sehen große Wachstumschancen, vor allem in China, Russland, im Mitleren Osten und in Afrika", sagt Wolfgang Rommel, Pressesprecher von Arla Foods Deutschland. Allein in China gebe es seit 2012 einen Absatzzuwachs um 60 Prozent, während der EU-Inlandsmarkt stagniere. Auch bei Hochwald Foods in Thalfang (Kreis Bernkastel-Wittlich) sieht Sprecherin Kathrin Lorenz die Zukunft außerhalb der EU, vor allem beim Hauptprodukt Kondensmilch in Westafrika, aber auch in Südostasien. "Dort im Export werden die Preise gemacht", heißt es.

Abnahmegarantie für Bauern

Deshalb geben Arla und Hochwald ihren Genossenschaftlern nach dem Wegfall der Quote eine Abnahmegarantie für jeden Liter abgelieferte Milch. Um drei bis fünf Prozent könnte die Milchmenge zulegen, schätzt Rommel. Hochwald hat bis 2017 bereits neue Mitglieder mit einer Milchmenge von 35 Millionen Kilogramm aufgenommen. Dafür hat das Unternehmen seit 2011 in alle seine Standorte 180 Millionen Euro investiert, setzt neben einem Mengenmanagement für die Landwirte auf so genannte wertschöpfungsstarke Geschäftsfelder wie Kondensmilch und die Molke-Trocknung für Baby- und Kindernahrung. Allein ins Werk Thalfang sind für die erweiterte Dosenproduktion und -abfüllung 20 Millionen Euro geflossen. Arla hat am Standort Pronsfeld in der Eifel rund 110 Millionen Euro in eine neue Butterei investiert, um bis zu 1,7 Milliarden Kilogramm Milch pro Jahr verarbeiten zu können - "weitaus mehr als jetzt schon geliefert wird", sagt der Sprecher.

Auch wenn die Bauern nun animiert sind, vorerst mehr Milch zu produzieren, so gibt es doch faktische und natürliche Grenzen für den Milchmarkt: "Die Mehrheit der Betriebe wird zunächst versuchen, ihre Betriebe zu optimieren", ist Arla-Sprecher Rommel überzeugt.

Das heißt vor allem, die Kapazitäten von Ställen und Melkanlagen effizienter auszulasten. Auch bleibt die Milchwirtschaft von EU-Seite durch eine Flächenbegrenzung stark reglementiert - und subventioniert. Im Inland blockt der Einzelhandel große Preissteigerungen ab, international können Krisen wie das Russland-Embargo die Nachfrage dämpfen. Das hat die Preise auch jetzt schon unter Druck gesetzt, von rund 45 Cent je Kilogramm Milch zur Jahresfrist auf aktuell rund 30 Cent. Schon werden erste Forderungen etwa nach Preisstützungen laut. Doch kann zur Zeit noch keiner sagen, ob der Wegfall der Quote eher eine Revolution oder eine Katastrophe auslöst. Bauernpräsident Michael Horper weiß allerdings auch: "Am Ende kommen wir nicht an den Märkten vorbei."

meinung

Kein Grund zum Jubeln

Damian
Schwickerath

Die Quote ist tot, es lebe der freie Milchmarkt. Die Bauern, zumindest die Großen, jubeln. Nach mehr als 30 Jahren und ebenso vielen gesetzlichen Verordnungen hat die Brüsseler Gängelei ein Ende. Jeder Bauer kann seit heute so viel Milch produzieren, wie er will. Viele sehen darin große Chancen für Entwicklung, für Fortschritt, für Wachstum. Das kann man gutfinden, doch dieser Schritt zum freien Markt birgt auch unübersehbare Risiken.
Braucht die Welt wirklich noch mehr Milch aus dem Hochwald oder der Eifel? Vielleicht, aber ganz sicher nicht zu den bei uns üblichen Produktionskosten.
Wenn die EU wirklich in großem Stil zusätzlich riesige Mengen Milch und Milchprodukte auf dem Weltmarkt absetzen will, dann wird das nur über extrem niedrige Milchpreise für die Bauern gehen. Das heißt, der Rationalisierungsdruck wird enorm zunehmen. Und am Ende wird das eintreten, was keiner will: Familienbetriebe gehen ein, die Masse muss es machen, der Strukturwandel beschleunigt sich rasant. Unsere Betriebe? Mittelfristig sind die meisten allenfalls bestenfalls noch ein Auslaufmodell. Die Zukunft gehört dann Produktionsgenossenschaften mit Hunderten, vielleicht Tausenden von Kühen. Dahin führt der Weg nach der Quotenfreigabe. Kann sein, dass Milchprodukte demnächst sogar noch billiger werden. Aber das weitere hemmungslose Verramschen von Lebensmitteln - ob Milchprodukte oder Fleisch - ist so ziemlich das Letzte, was wir alle brauchen.
d.schwickerath@volksfreund.de

EXTRA FAKTEN RUND UM DEN MILCHMARKT

Butterberge und Milchseen so sieht die Agrarlandschaft 1984 aus. Die damalige Europäische Gemeinschaft (EG) führt die Milchquote ein, um mit Obergrenzen eine Überproduktion zu vermeiden und Angebot und Nachfrage in ein Gleichgewicht zu bringen und Kosten zu sparen. Bis dahin werden die Überschüsse der Bauern zum Garantiepreis aufgekauft. Bei Überschreitung der Quote sind seit gut 30 Jahren Strafzahlungen fällig, die Superabgabe.
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Dabei hat das Quotensystem nicht nur die Mengen reguliert, sondern die Landwirtschaft auch einiges gekostet: Bundesweit hat die Quote seit ihrer Einführung laut Schätzungen die Bauern rund 15 Milliarden Euro gekostet - für eben jene Strafabgaben und den Zukauf neuer Quoten.
Was sich vor 30 Jahren schon abzeichnete, kann die Quote allerdings nicht aufhalten: den Strukturwandel in der Landwirtschaft. 1984 gibt es noch 380.000 Milchbauern bundesweit, heute sind es nur noch 80.000. Und jedes Jahr sinkt ihre Zahl um weitere drei Prozent. In Rheinland-Pfalz ist das Höfesterben noch dramatischer: Seit Einführung der Milchquote sinkt die Zahl der Milchbauern im Land von 20.000 auf heute 2000. Dort stehen knapp 120.000 Milchkühe mit einem Produktionspotenzial von etwa 830.000 Tonnen Milch im Stall.
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Die Genossenschaftsmolkereien Arla Foods und Hochwald Foods mit gut 2500 Mitarbeitern und einer Milchverarbeitungsmenge von weit über drei Millionen Tonnen stellen mehr als zehn Prozent der deutschen Milcherzeugung. sas

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