"Der Nürburgring ist kein Sanierungsfall"

Nürburg/Düsseldorf · Der neue Herr des Rings wirkt auf den ersten Blick fast ein wenig scheu - ein Unternehmer der leisen Sorte. Dabei ist ihm mit dem Kauf der weltberühmten Rennstrecke ein Coup gelungen, der ihm über Nacht bundesweite Bekanntheit beschert hat. Daran muss sich Firmenchef Robertino Wild erst noch gewöhnen, wie er im Interview schildert.

Nürburg/Düsseldorf. Capricorn-Chef Robertino Wild agiert lieber im Hintergrund. An Selbstbewusstsein mangelt es dem Unternehmer dennoch nicht. "Wir trauen uns den Nürburgring zu", betont er in einem fast vierstündigen Gespräch in der Düsseldorfer Capricorn-Zentrale. Wild will den Ring Schritt für Schritt entwickeln. Sein Motto: Rennsport statt Rummel, Hightech statt Halligalli. Mit Wild sprachen unsere Mitarbeiter Christian Lindner und Dietmar Brück.

Wie oft sind Sie in Ihrem Leben Nordschleife gefahren?
Robertino Wild: Häufig. Viele viele Runden und immer mit Begeisterung, viele Jahre.

Möglichst schnell?
Wild: Möglichst gut. Ich denke, die Herausforderung am Nürburgring ist, zunächst gut und dann schnell zu sein. Wenn man versucht schnell zu sein, wird man nie gut.

Ist das nicht umgekehrt?
Wild: Das ist anders als bei vielen anderen Rennstrecken. Die Nordschleife muss einen disziplinieren, man muss erkennen, dass man erst einmal wirklich lernen muss, wie sie tickt, um dann schneller und besser zu werden.

Sie haben jetzt den Nürburgring gekauft. Diszipliniert als Geschäftsmann oder mit dem Herzen eines Motorsportfans?
Wild: Diszipliniert als Geschäftsmann. Die Größe des Geschäfts verpflichtet uns dazu, ganz genau darüber nachzudenken, ob es funktioniert oder nicht. Man kann sich mal ein Schmuckstück oder ein Bekleidungsstück im Affekt kaufen. Den Nürburgring kauft man nicht im Affekt. Da muss man schon genau drüber nachgedacht haben.

Die rheinland-pfälzische Landespolitik hat den Nürburgring in die Insolvenz geführt. Warum lachen Sie sich einen Sanierungsfall an?
Wild: Der Nürburgring ist absolut kein Sanierungsfall. Es ist einer der größten Trugschlüsse zu glauben, dass der Nürburgring als operatives Geschäft ein Sanierungsfall ist. Der Nürburgring ist ein valides, funktionierendes Geschäftsmodell, das über viele Jahre operativ erhebliche Erträge abgeworfen hat.

Sie haben den Nürburgring und seine Umsatzfelder durchleuchtet. Was sind die tragenden Säulen?
Wild: Der Nürburgring steht auf vier Säulen, es gibt also vier Geschäftsmodelle. Es ist ein Fehler zu glauben, es gäbe nur ein Geschäftsmodell. Das stimmt überhaupt nicht.

Was sind die Geschäftsmodelle?
Wild: Ganz oben steht der Rennsport - nicht im Ertrag, sondern in der Bedeutung, der Historie. Neben dem Rennsport gibt es die Touristenfahrten, auch sehr wichtig, weil dadurch Popularität und Bekanntheit des Rings weiter gefördert werden. Für viele Menschen - auch für mich - ist und war es eine Herausforderung, dort einmal eine vernünftige Runde zu fahren.

Welche Rolle spielt der Industriepool?
Wild: Das ist die dritte Säule, das dritte Geschäftsmodell. Hierunter fällt die Verwendung der Rennstrecke als Versuchs-, Test-, und Entwicklungsgelände für Automobilbauer oder Zulieferer im Autobereich - seien es Reifenhersteller, Fahrwerkshersteller oder Bremsenhersteller. Diese Unternehmen nutzen die Rennstrecke insbesondere während der Woche, wenn keine Rennsportveranstaltungen stattfinden. Das ist das Erstaunliche am Nürburgring. Es gibt Geschäftsmodelle, die die ganze Woche abdecken. Unter der Woche ist es der Industriepool, am Wochenende laufen Motorsportveranstaltungen oder Tourismusfahrten.

Was ist Säule Nummer vier?
Wild: Die vierte Einkommensquelle ist das, was wir mit Technologiepark umschrieben haben: Wir wollen Industrie oder Forschungseinrichtungen ansiedeln. Dabei geht es immer um die Themen Automobil und Mobilität. Ein Kombination von Rennstrecke und Industrie gibt es übrigens an vielen Orten der Welt. Der Nürburgring ist zwar in Rheinland-Pfalz einzig, nicht aber dieses Geschäftsmodell.

Sind die Touristenfahrten die heimliche Cash Cow, also die eigentliche Geldkuh am Ring?
Wild: Es ist eine starke Attraktion. Und daher verdient man mit dem Touristenverkehr in der Tat viel Geld.

Wo wir beim Geld sind: Welchen Jahresumsatz macht die Capricorn-Firmengruppe insgesamt?
Wild: Unsere Firmengruppe hat ungefähr einen vergleichbaren Jahresumsatz wie der Nürburgring. Wir bewegen uns also im mittleren, zweistelligen Millionenbereich - so etwa bei 50 Millionen Euro.

Was macht Sie dann so zuversichtlich, diesen dicken Brocken erfolgreich stemmen zu können?
Wild: Wir trauen uns das zu. Viele Unternehmen erwerben Firmen, die ungefähr die gleiche Größe haben wie sie selbst. Das ist nicht ungewöhnlich. Der Nürburgring ist nicht so groß wie die Bedeutung, die dieser Name ausstrahlt. Ein Freund von mir hat mal gesagt: "Du hast jetzt gefühlt ein viel größeres Unternehmen." Er selbst beschäftigt 20 000 Mitarbeiter und meinte zur mir: "Es ist doch unglaublich, was man mit einer relativ kleinen Unternehmung für eine Bedeutung erreichen kann."

Sie haben Investitionen von 25 Millionen Euro angekündigt. Wo sollen diese erfolgen?
Wild: Man muss am Nürburgring einen höheren Millionenbetrag in die Hand nehmen, um die Rennstrecken wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Eine noch größere Summe müssen wir aufwenden, um das Eifeldorf - die Grüne Hölle - rückzubauen. Zudem kostet die Schaffung des Technologieparks Geld. Flächen müssen angekauft, umgewidmet, teils sogar erschlossen werden. In diesen Bereich fließt in den nächsten Jahren sicher der größte Teil unserer Investitionen.

Lassen Sie uns mal durch die verschiedenen Komponenten des Nürburgrings gehen. Was haben Sie mit der Nordschleife vor?
Wild: Nichts Neues. Alles das, was bislang da war.

Ändert sich die Preisstruktur, also werden die Tickets teurer?
Wild: Die Fahrten sollen nicht teurer werden. Wir wollen die Preise vielmehr staffeln. An Tagen, an denen es sehr voll ist, könnte der Preis steigen. Zu anderen Zeiten könnte er sinken. So würde der Verkehr besser verteilt.

Kann und muss die Nordschleife sicherer werden?
Wild: Sie ist nicht so unsicher wie ihr Ruf. Sie ist nur nicht auf das Tempo heutiger Rennwagen ausgelegt. Im Touristenverkehr passiert relativ wenig. Wir werden in die Sicherheit der Nordschleife investieren, ohne ihr den Reiz zu nehmen. Viele Rennstrecken der Welt sind sehr sicher, aber auch sehr synthetisch. Sie bringen dem Fahrer wenig Freude und der Industrie wenig Erkenntnisse. Die Nordschleife ist wie eine alte Dame. Ein Facelifting muss man genau überlegen. Sie darf ihren Charme nicht verlieren. Ich halte es für eine völlig falsche Idee, Streckenabschnitte zu begradigen oder die Asphaltoberfläche so auszulegen, dass sie wie bei einer modernen Formel-1-Strecke aussieht. Der Reiz liegt darin, dass sie im Grunde eine umgebaute Eifelstraße ist.

Die Betonplatten im Karussell bleiben?
Wild: Ja, definitiv. Die stehen bei mir unter Denkmalschutz.
Was blüht dem Industriepool?
Wild: Ein besserer Partner, der mehr Verständnis für seine Interessen hat. Er hat eine rosige Zukunft, da er nun einen Geschäftspartner hat, der das eigene Geschäft versteht.

Was planen Sie mit der Grand-Prix-Strecke?
Wild: Dort wurde am meisten Geld investiert. Daher ist der Handlungsbedarf am geringsten. Wir wollen etwas im Bereich Streckenmonitoring tun. Ich denke, das Wichtigste für die Grand-Prix-Strecke ist, dass ein Grand-Prix auf ihr stattfindet.

Die Formel 1 hat also Zukunft?
Wild: Da bemühen wir uns sehr. So lange die Formel 1 für uns wirtschaftlich tragbar ist, wollen wir sie in der Eifel haben.

Beim Ring-Racer sehen Sie Handlungsbedarf?
Wild: Da sehe ich großen Handlungsbedarf. Die Kirmes muss weg. Daran rüttele ich nicht.

Was passiert mit dem Eifeldorf?
Da steht der Rückbau an. Selbstverständlich ist der ein oder andere enttäuscht, dass er noch keine Abrissbagger sieht. Das bedarf in Deutschland erhebliche Planung. Das Drei-Sterne-Hotel bleibt erhalten. Wir sind froh, dass es drei hochwertige Hotels am Standort gibt. Der Hotelbetrieb bleibt wichtig für uns. Die ersten Aktivitäten am Eifeldorf wird man Anfang nächsten Jahres sehen. Dort soll der neue Gewerbepark Nürburgring hinkommen. Der genaue Standort steht aber noch nicht fest.

Der Boulevard ist meist leer, kalt und tot. Was kann man damit machen?
Wild: Der Boulevard ist ein zweischneidiges Schwert, wenn man das ganze Jahr betrachtet, ist er meistens leer. An Rennwochenenden ist er gar nicht so schlecht angenommen. Man könnte auf den Flächen des Boulevards natürlich auch Firmen ansiedeln oder Universitäten einen Lehrbetrieb ermöglichen. Warum soll es keine Seminarräume geben?

Und was wird mit dem Freizeitparkversuch Ringwerk geschehen?
Wild: Dieses Areal ist ähnlich nutzbar. Das Kino ist übrigens gar nicht so schlecht. Ich glaube, es ist weit und breit das einzige. Es lässt sich sicher eine Nutzung finden, die von der Region angenommen wird. Wir planen Schritt für Schritt.

Was passiert mit der toten Veranstaltungsarena, der ungeliebten Ringcard und dem Ferienpark?
Wild: Die Ringarena halte ich für ein ganz großes Problem. Man könnte dort kleine Messen unterbringen oder sogar Vorlesungen abhalten. Eine sinnvolle Nutzung wird uns noch Kopfzerbrechen bereiten. Die Ringcard schaffen wir zum nächstmöglichen Zeitpunkt ab. Wir suchen gerade ein Ersatzsystem. Und der Ferienpark ist ein wunderbares Geschäft. Er hat eine hohe Auslastung - ähnlich wie die Hotels. Im Winter hilft er uns, Firmenveranstaltungen abzuhalten.

Wie hat sich das Verhältnis zu Ihrem ehemaligen Mitbewerber ADAC entwickelt?
Wild: Sehr gut, der ADAC ist ein wichtiger Partner am Nürburgring. Wir gehen davon aus, mit dem ADAC langfristig und konstruktiv gut zusammenzuarbeiten.

Es ist ein Personalabbau von 60 Stellen im Gespräch, können Sie da etwas zu sagen?
Wild: Es wird einen Personalabbau geben. Über die Zahl möchte ich nichts sagen. Wir sind gerade in Gesprächen mit der Arbeitnehmervertretung.

Wie wollen Sie als neuer Besitzer des Nürburgrings die Region befrieden?
Wild: Es ist schon viel ruhiger geworden. Wir bekommen viele positive Rückmeldungen und körbeweise Glückwunschschreiben.

Hat Capricorn schon mal an einen eigenen Rennstall gedacht?
Wild: Das wird niemals geschehen. Wir treten nicht in Konkurrenz zu unseren Kunden.Extra

Nach dem Mammutprozess um Untreue beim Nürburgring-Ausbau hat nicht nur der zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilte Ex-Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) Revision gegen den Richterspruch des Landgerichts Koblenz eingelegt. Ex-Hauptgeschäftsführer Walter Kafitz, Ex-Ring-Controller Michael Nuss, der frühere Chef der Förderbank ISB, Hans-Joachim Metternich, sowie der Geschäftsführer der ISB-Tochter RIM, Roland Wagner, fechten das Urteil zumindest ebenso vorsorglich an wie die Staatsanwaltschaft Koblenz in den Fällen Deubel, Metternich und Wagner. Die Koblenzer Wirtschaftsstrafkammer hat nach der langen Verfahrensdauer wohl zwei bis drei Monate Zeit, um das schriftliche Urteil abzufassen. Wann dann der BGH das Urteil prüft, vermag niemand abzuschätzen. Die Kammer war am Ende des 18-monatigen Prozesses zum Schluss gekommen, dass bei der gescheiterten Finanzierung des gut 330 Millionen Euro teuren Ringausbaus Millionen an Landesvermögen gefährdet und Hunderttausende Euro an grundlosen Provisionen für erfolglose Finanzvermittler gezahlt wurden. Deubel und alle anderen Angeklagten beteuerten ihre Unschuld und forderten Freisprüche. U.S.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort