Deutschland pflegt sich arm

Trier · Wer im Alter auf Pflege angewiesen ist, muss mit Kosten in Höhe von bis zu 3800 Euro monatlich rechnen. Die Versicherung zahlt meist noch nicht einmal die Hälfte davon. Während das Alter für die einen so zum sicheren Weg in die Armut wird, können andere Menschen sich die Pflege ohne staatliche Hilfe gar nicht leisten. Statistiken zeigen: Die Zahl der Hilfeempfänger ist stark gestiegen. Und Lösungen werden verzweifelt gesucht.

Trier. Schleichend und unbemerkt hat sich Kalk an den Innenwänden ihrer Blutgefäße abgelagert, sie immer weiter verengt und schließlich verschlossen. Der Schlaganfall nahm der älteren Dame die Selbstständigkeit. Denn seitdem die rechte Körperhälfte ihr nicht mehr gehorcht, braucht sie Hilfe. Hilfe, die sie von ihrer viel zu kleinen Rente gar nicht bezahlen kann. Fälle wie diesen gibt es viele.
Kostet doch schon Unterstützung beim Waschen morgens und abends sowie Hilfe beim Gang auf die Toilette 1776,92 Euro im Monat - so eine Beispielrechnung aus Trier. Die Pflegeversicherung übernimmt nur einen Teil davon: Bei Pflegestufe I zahlt sie 450 Euro, bei Stufe II sind es 1100 Euro, bei Stufe III 1550 Euro.
Aber was, wenn die Frau doch irgendwann ins Heim muss? Das kostet in Trier mindestens 2000 Euro im Monat, bei hohem Pflegebedarf bis zu 3800 Euro. Und die Kasse übernimmt nicht einmal die Hälfte davon. Wenn es keine Angehörigen gibt oder die auch nicht genug Geld haben, bleibt nur der Gang zum Sozialamt.
"Hilfe zur Pflege" nennt sich der Ausweg aus der schwierigen Situation. Eine Situation, in der immer mehr Menschen stecken: 411 025 Pflegebedürftige waren 2010 in Deutschland auf staatliche Unterstützung angewiesen, weil sie sich die teure Hilfe nicht leisten konnten. 2009 waren es noch 392 000 gewesen - rund fünf Prozent weniger. Dieser Trend zeigt sich extrem deutlich auch in Rheinland-Pfalz, wo die Zahl der Hilfeempfänger seit 2003 sogar um satte 25 Prozent gestiegen ist: von rund 11 300 auf 14 168 im Jahr 2011.
Eine Ausnahme von der Regel scheint die Region Trier zu sein: Hier hat die Zahl nur um rund zwei Prozent auf 2052 zugenommen.
Zukunft der Pflege - Pflege der Zukunft


Eine offizielle Erklärung dafür gibt es nicht. An der Höhe der Renten kann es jedenfalls nicht liegen. Denn Frauen, die doch fast zwei Drittel der Pflegefälle stellen, bekommen hier im Schnitt weniger als 400 Euro Rente im Monat. Möglich wäre hingegen, dass sich in der ländlich geprägten Gegend noch überdurchschnittlich oft die Kinder kümmern. "Manche Pflegebedürftige verzichten aber auch auf Hilfe, weil sie Angst haben, dass ihre Angehörigen überprüft und zur Kasse gebeten werden", sagt Inge Suska de Sanchez, die als Beraterin in einem der Trierer Pflegestützpunkte arbeitet.
Was auch immer dahinter stecken mag, es ändert nichts an der Tatsache, dass Pflegebedürftigkeit nicht nur eine menschliche, sondern auch eine finanzielle Herausforderung ist. Denn selbst die, die aus eigener Kraft dafür aufkommen können, kann Pflege in die Armut treiben. Der neue Pflegereport der Krankenkasse Barmer GEK belegt das mit nüchternen Zahlen. Ein Zehntel der Betroffenen muss von Beginn der Pflegebedürftigkeit bis zum Tod mehr als 99 000 Euro aus eigener Tasche zahlen - im Schnitt ist es mit 37 000 Euro spürbar weniger, in den Spitzen mit mehr als 300 000 Euro aber weit mehr.
Die Pflegeversicherung zahlt meist weniger als die Hälfte. Ist das Ersparte aufgebraucht, sind zunächst die Angehörigen gefordert (siehe Extra) - und dann ist es auch bei ihnen der Staat, der zahlen muss. Und so stiegen diese Ausgaben seit 2003 um mehr als 500 Millionen Euro auf 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2011.
Zweifellos ein gewaltiges gesellschaftliches Problem. Über Lösungen wird heftig diskutiert. Manche Ideen muten skurril an: Statt günstiges Pflegepersonal ins Land zu holen, ist im Gespräch, die Pflegebedürftigen gleich im Ausland betreuen zu lassen. Zum Beispiel in Spanien oder Thailand.
Auch greift ab 2013 eine Idee namens Pflege-Bahr. Wer eine private Zusatzversicherung abschließt, wird gefördert: Zahlt ein Versicherter dafür mindestens zehn Euro monatlich, bekommt er fünf Euro vom Staat dazu - also 60 Euro im Jahr. Kritikern erscheint dies lächerlich wenig. Jedenfalls nicht genug, um Geringverdienern einen Anreiz zur Privatvorsorge zu geben. Sie fordern mehr staatliche Förderung. Die Gewerkschaft Verdi hingegen schlägt eine Vollversicherung für die Pflege vor, ähnlich wie bei den Krankenkassen. "Um eine gute Pflege zu gewährleisten, muss mehr Geld ins System kommen", sagt Ernst Schimmel, stellvertretender Vorsitzender des Sozialverbands VdK Rheinland-Pfalz. Die Finanzierung solle über Steuern laufen. Außerdem müssten Besserverdiener stärker beteiligt werden.
Auch die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer plädiert für eine Bürgerversicherung, an der sich alle beteiligen.
Wieder andere, wie der Mainzer Soziologieprofessor Stefan Hradil, gehen davon aus, dass sich solch ein Problem überhaupt nicht auf politischer Ebene lösen lässt. Einfach, weil das nicht finanzierbar wäre. "Es geht darum, neue Wohnmodelle zu entwickeln. Da sind vor allem die Betroffenen selbst gefragt", sagt der Soziologe, der sich in zahlreichen Studien mit der Tatsache ausein-andergesetzt hat, dass immer mehr Menschen alleine leben. Eine Tatsache, die gerade im Alter zum Problem wird. Im Alter, wenn Kalk beginnt, die Blutbahnen zu verstopfen, wenn Bewegungen schmerzen, wenn der Körper zur Qual wird und ein Mensch plötzlich nicht mehr in der Lage ist, den Alltag alleine zu meistern.Extra

Bevor der Staat die Pflegekosten übernimmt, werden das komplette Einkommen und das Vermögen des zu Betreuenden bis auf einen Restbetrag von 2600 Euro aufgebraucht beziehungsweise bis auf 3214 Euro, wenn er mit einem Partner zusammenlebt. Zu diesem Vermögen zählen auch Wohnraum, den der Betroffene nicht selbst nutzt, Kapitaleinkünfte und landwirtschaftliche Flächen. Ein "angemessenes Einfamilienhaus" oder "eine angemessene Eigentumswohnung" bleiben hingegen unangetastet, solange der Antragsteller und/oder sein Ehepartner dort leben. Sollten in den vergangenen zehn Jahren größere Vermögenswerte verschenkt worden sein, müssen diese an den Pflegebedürftigen zurückgegeben und verbraucht werden. Ist alles aufgebraucht, wendet sich der Staat an die Kinder oder auch Enkel, die sich nach ihren finanziellen Möglichkeiten an den Pflegekosten beteiligen müssen. Wie viel sie zu zahlen haben, errechnet das Sozialamt für jeden Einzelfall neu. 1500 Euro im Monat dürfen sie auf jeden Fall für sich behalten. Auch Unterhalt für Kinder, Tilgungsraten für Kredite und die eigene Altersvorsorge bleiben außen vor. Die Hälfte des darüber hinaus verfügbaren Einkommens fließt in die Pflege der Eltern. kahExtra

Hilfe bei allen Fragen rund ums Thema Pflege bieten die zahlreichen Pflegestützpunkte in der Region Trier. Das Prozedere, bei dem sie Hilfestellung leisten, sieht vereinfacht dargestellt so aus: Zunächst wird bei der Pflegekasse ein Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung gestellt. Die Kasse schickt daraufhin ihren medizinischen Dienst, der feststellen soll, welche Art von Hilfe der Antragsteller benötigt und in welche Pflegestufe er eingruppiert wird. Wenn Einkommen und Vermögen nicht ausreichen, um die Pflege zu finanzieren, kann man beim Sozialamt einen Antrag auf Hilfe zur Pflege stellen. Neben dem Pflegebedürftigen müssen allerdings auch Ehepartner und Kinder für die Pflegekosten aufkommen. kah

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