Eklat um Theaterstück über Tanja Gräff - Trierer Intendant streicht umstrittene Aufführung aus dem Spielplan

Trier · Es sollte ein Theaterstück werden über die Emotionen, die der Fall Tanja Gräff auslöste. Doch offenbar hat das Theater die Wucht dieser Emotionen unterschätzt. Die Mutter der 2007 zu Tode gekommenen Studentin wurde zwar über die Pläne informiert. Einverstanden ist sie damit allerdings nicht. Über den Kopf des verantwortlichen Spartenleiters hinweg hat Intendant Karl Sibelius daher nun entschieden, das Stück aus dem Spielplan zu streichen.

"Respektlos!" "Geschmacklos!" "Denkt mal jemand an die arme Mutter?" Viele Leser zeigten sich empört, nachdem sie im Trierischen Volksfreund gelesen hatten, dass die Geschichte Tanja Gräffs Ausgangspunkt eines Schauspiels werden soll, das das Theater Trier für 2017 plant. Andere verteidigten das künstlerische Vorhaben, weil die betroffene Mutter doch involviert sei. Dies jedenfalls hatte Schauspielchef Ulf Frötzschner bei einer Pressekonferenz mitgeteilt.

Nun zeigt sich: Die Mutter der Studentin, die 2007 unter nach wie vor mysteriösen Umständen starb, wurde zwar informiert, sie ist jedoch keineswegs einverstanden. Im Gegenteil, wie Waltraud Gräffs Anwalt Detlef Böhm mitteilt, war seine Mandantin zutiefst erschüttert und einem Nervenzusammenbruch nahe, als sie in der Zeitung von den Plänen las. "Sie möchte nicht, dass ihre Tochter beziehungsweise der Fall Tanja Gräff nun auch noch in einem Schauspielhaus inszeniert wird. Meine Mandantin hat schmerzliche Erfahrungen gemacht und möchte auf keinen Fall, dass ein Theaterstück aufgeführt wird", schreibt Böhm in einem Brief, der an Frötzschner, aber auch an Triers Oberbürgermeister Wolfram Leibe ging.

Für Waltraud Gräff habe sich die Situation verschärft, als sie auch noch empörte Anrufe von Unbekannten erhielt, die fragten, wie es denn sein könne, dass sie ein solches Vorhaben unterstütze. Dies sei gegenüber ihrer Tochter respektlos. Böhm kündigt an, mit allen Mitteln gegen die geplante Inszenierung vorzugehen.

Doch wird dies gar nicht nötig sein. Generalintendant Karl Sibelius hat entschieden, das Stück "Die rote Wand" vom Spielplan zu nehmen, nachdem er am Dienstagmittag erfahren hat, dass die Mutter nicht einverstanden ist. "Ich musste davon ausgehen, dass die Informationen, die mein Schauspieldirektor bei der Pressekonferenz gegeben hat - die Mutter sei involviert - auch abgesichert sind. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Deshalb werde ich von meinem Recht Gebrauch machen, hier einzugreifen und das Stück nicht auf den Spielplan setzen", teilt Sibelius mit.
Frötzschner hatte Waltraud Gräff zwar per E-Mail ausführlich über die Pläne informiert, nicht jedoch überprüft, ob sie auch einverstanden ist. Dass er keine Antwort erhielt, habe er als Zustimmung gedeutet. "Wenn sie mir geschrieben hätte, dass sie das auf keinen Fall will, hätte ich das sofort abgeblasen", sagt der Spartenleiter.
Gräff und Böhm sind sauer, dass der Schauspielchef entgegen seiner per Mail getroffenen Aussage "Wir werden keinen halben Schritt tun, ohne Ihre Zustimmung", an die Presse getreten sei und zudem suggeriert habe, die Mutter sei einverstanden.

Geplant war, dass "Die rote Wand" im Mai 2017 auf die Bühne kommt - inszeniert von dem aus Trier stammenden Autor Lothar Kittstein. Das Verschwinden und die Suche nach der Studentin sowie ihr Tod sollten Ausgangspunkt der Inszenierung sein, deren Ziel es gewesen wäre, zu zeigen, wie emotional Gesellschaft und Medien auf solch einen Fall reagieren. Nicht die realen Geschehnisse von jener Nacht, in der Tanja verschwand, nicht ihr Tod am roten Felsen, nicht einmal Tanja Gräff selbst, sondern "die vorschnellen Verdächtigungen, die allzu moralischen Urteile oder auch falschen Hoffnungen", die ihr Verschwinden zur Folge hatten, wären Thema der Inszenierung gewesen. Es sei vollkommen richtig, dass Theater sich mit so etwas auseinandersetze, sagt Frötzschner.

Sibelius betont, dass er das Stück nicht aus juristischen Gründen vom Spielplan nimmt - das Theater habe die rechtlichen Rahmenbedingungen vorab prüfen lassen -, sondern aus menschlichen. Es liege ihm fern, Frau Gräff damit zu belasten.
.Meinung


Gegen die Wand gefahren

Wer ein Theaterstück über die Emotionen plant, die das Verschwinden Tanja Gräffs, die jahrelange Suche nach der Vermissten, die vielen Spuren und Verdächtigungen, die vergeblichen Ermittlungen und schließlich der Fund ihrer Leiche auslösten, der muss doch wissen, mit welch starken Gefühlen er es zu tun hat. Der muss wissen, auf welch dünnem Eis er sich bewegt.
Vor diesem Hintergrund ist nicht nachzuvollziehen, wie leichtfertig und unprofessionell das Theater mit alledem umgegangen ist.
Es ist schon ein Wagnis, das Thema überhaupt künstlerisch anzupacken, da es um eine wahre Begebenheit, um einen echten Menschen und um reale Trauer und Anteilnahme geht. Und nirgends ist sie größer als in der Region Trier. Da der Fall Tanja Gräff nur der Ausgangspunkt sein sollte, um kritisch zu hinterfragen, wie die Gesellschaft auf solch einen Fall reagiert, wäre die Inszenierung moralisch dennoch vertretbar gewesen. Ja, sicher sogar höchst spannend. Voraussetzung - ganz besonders für eine Aufführung in Trier - ist allerdings, dass Tanjas Mutter mit dem Vorhaben einverstanden ist. Dessen hätte der Schauspielchef sich zu 100 Prozent sicher sein müssen, ehe er derart provokante Pläne einem Dutzend Journalisten verkündet.
Das Schauspiel gegen den Willen der Betroffenen aufzuführen, wäre geschmacklos. Es aus dem Spielplan zu streichen, ist die einzig richtige Entscheidung.
k.demos@volksfreund.de

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