Exorzismus: Und erlöse uns von dem Bösen

Trier/Rom/Warschau · In Polen und Italien boomt der Exorzismus. Auch beim Bistum Trier bitten immer wieder Menschen um Hilfe, weil sie glauben, vom Bösen besessen zu sein. Ein Phänomen, das es keineswegs nur in Horrorfilmen gibt.

Das Mädchen ist ans Bett gefesselt. Blutige Male entstellen sein Gesicht und Hass seinen Blick während es den Priester mit obszönen Worten und widernatürlich tiefer Stimme beschimpft. Er bespritzt das Kind mit Weihwasser und vor Schmerzen schreiend windet sich der Dämon, der von dem Mädchen Besitz ergriffen hat. Eine der harmloseren Szenen aus dem Horrorfilm "Der Exorzist". Bilder, die die Vorstellungen vom Exorzismus zwar prägen, wie keine anderen. Bilder, die aber auch ganz klar ins Reich der Fantasie gehören.

Und so vergisst man leicht, dass das Böse - und dazu zählen auch Dämonen, die in Menschen fahren - Bestandteil des biblischen Weltbildes ist und der Exorzismus ein Ritual, das nach wie vor zur katholischen Praxis zählt. Ja, in einigen Ländern Europas hat er in den vergangenen Jahren einen derart großen Boom erlebt, dass Teufelsaustreibungen dort nun zum kirchlichen Alltagsgeschäft zählen.

So berichtet die katholische Nachrichtenagentur (KNA), dass die Zahl der polnischen Exorzisten in den vergangenen 15 Jahren von vier auf 120 gestiegen sei. Das Land hat einen Bischof, der offiziell zum Exorzismus-Beauftragten ernannt wurde. 15.000 Teufelsaustreibungen sollen polnische Priester jährlich vollziehen. Und ebenso hoch ist die Auflage des seit Ende 2012 erscheinenden Fachmagazins "Der monatliche Exorzist", das die geneigte Leserschaft nun regelmäßig auf 62 Seiten über Begegnungen mit Satan & Co. informiert.

500.000 Italiener suchen Hilfe

Ganz ähnlich - nur noch extremer - sieht es in Italien aus. Die Vereinigung katholischer Psychologen schätzt, dass jährlich 500.000 Italiener Exorzisten aufsuchen. Einem Bericht der Saarbrücker Zeitung zufolge stellen die Bistümer daher immer mehr Dämonenaustreiber ein. So habe die Diözese Mailand die Zahl ihrer Exorzisten erst kürzlich von sechs auf zwölf erhöht. Einer Untersuchung der Universität Florenz nach, wenden sich drei von zehn Italienern an Magier, Okkultisten oder Wahrsager. Und diese hätten besonders in wirtschaftlichen Krisenzeiten regen Zulauf.

Skandal um Tod junger Frau

In Deutschland ist man in Sachen Teufelsaustreibung sehr viel zurückhaltender. Zwar sind Exorzismen auch hier sowohl im katholischen Kirchenrecht als auch im Katechismus verankert (siehe Extra). Allerdings hat der Skandal um den Tod der 23-jährigen Studentin Anneliese Michel im Jahr 1976 vieles verändert: Die gläubige junge Frau litt - so die medizinische Sicht - unter Epilepsie und Psychosen. Sie tobte, fluchte, fühlte sich von Dämonen besessen und verweigerte das Essen. Bischof Josef Stangl beauftragte Exorzisten, sich um die junge Frau zu kümmern. Über Monate hinweg unterziehen sie sie immer wieder dem Ritual des Großen Exorzismus - einer festgelegten Folge von Anrufungen, symbolischen Handlungen, Beschwörungsformeln und Gebeten, durch die Dämonen vertrieben werden sollen. Rund 40 Tonbandaufzeichnungen (die zum Teil im Internet stehen und überraschend stark an das Geschehen im Film "der Exorzist" erinnern) halten fest, wie die Priester versuchen, ihr Dämonen auszutreiben, die sich den Geistlichen zufolge als Hitler, Kain oder Nero zu erkennen gegeben hatten, während die Frau mit stark veränderter Stimme spricht, flucht, schreit, immer entstellter aussieht und immer schwächer wird. Völlig entkräftet stirbt Anneliese Michel am 1. Juli 1976 an Unterernährung. Sie wiegt nur noch 31 Kilo.

Unter dem Druck der gesellschaftlichen Debatte, die ihr Tod ausgelöst hatte, überarbeitete die Kirche ihre Regeln. Eine Zusammenarbeit von Priestern, Psychologen und Ärzten ist nun Pflicht. Und offiziell beauftragte Exorzismen sind seitdem sehr selten geworden.

Der auf das Thema spezialisierte deutsche Buchautor und Journalist Marcus Wegner weist in Interviews allerdings immer wieder darauf hin, dass es im Rahmen der katholischen Kirche in Deutschland zahlreiche Exorzismen gebe - im Schnitt täglich zwei - meist illegal, ohne das Wissen der Bischöfe. Bei den "Besessenen" handele es sich oft um Frauen, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden. Noch mehr Teufelsaustreibungen gebe es allerdings in den evangelischen Freikirchen und der Esoterikszene. Die deutsche Bischofskonferenz bezeichnet die Aussagen Wegners als "nicht evidenzbasiert".

In Trier kümmern sich Seelsorger

Auch beim Bistum Trier rufen immer mal wieder Menschen an, die glauben, vom Bösen besessen zu sein. Von polnischen oder italienischen Verhältnissen ist man hier allerdings weit entfernt. Matthias Neff, theologischer Referent im bischöflichen Generalvikariat schätzt die Zahl der Hilfesuchenden auf unter zehn im Jahr. "Für uns ist das eine seelsorgerische Aufgabe", sagt er. Einen vom Bischof beauftragten Exorzisten gibt es in Trier nicht. Wohl aber Seelsorger, die "Zugang zu diesem Thema haben" und versuchen, den Menschen zu helfen. Seelsorgerisch. Aber auch, indem sie Ärzte und Psychologen hinzuziehen. "Ein Exorzismus kann niemals Ersatz für eine Behandlung sein", sagt Neff.

Im Bistum Trier wird der im "Rituale Romanum", dem liturgischen Buch der Feiern nach dem römischen Ritus, festgehaltene große Exorzismus nicht gefeiert. Was laut Neff jedoch nicht bedeutet, dass man nicht um die Befreiung vom Bösen bete. Diese Bitte ist schließlich bereits Bestandteil des Vaterunsers.

"Das ist nichts Magisches"

"Jedes Gebet stellt die Bitte Gott anheim. Gott ist der, der handelt", sagt Neff - "und Gott handelt beim Exorzismus wie bei jedem anderen Gebet". Das sei keine Zauberformel. Nichts Magisches. Und es habe auch nichts mit den verstörenden Bildern zu tun, die Filme wie "der Exorzist" heraufbeschwören. Von solchen Bildern müsse man sich lösen.

Lösen. Vielleicht - und da sind sie wieder, die Bilder - so, wie der Dämon sich am Ende des Films dann doch noch von dem Mädchen löst und mit dem Priester aus dem Fenster stürzt und stirbt. Oder naja, immerhin so lange tot bleibt, bis der nächste Regisseur kommt.
.Extra: Jesus als Exorzist

Die katholische Kirche sieht sich von Jesus selbst beauftragt, Dämonen auszutreiben. So wie er dies der Bibel zufolge (Mk 5,1 bis 5,20) für einen Mann am See von Gerasa getan hat: Der nicht zu bändigende Mann war von Dämonen besessen. Jesus ließ diese in eine Herde von 2000 Schweinen fahren, die sich daraufhin in den See stürzte und ertrank. Der Mann jedoch war geheilt. Im Matthäus-Evangelium (Mt12,28) heißt es: "Wenn ich aber die Dämonen durch den Geist Gottes austreibe, dann ist das Reich Gottes schon zu Euch gekommen." Die Vorstellung, dass Dämonen in Menschen fahren können, gehörte damals zum Weltbild der Menschen..
Extra: Kirchliche Regeln

Katechismus der Katholischen Kirche 2003, Nr. 1673: "Wenn die Kirche öffentlich und autoritativ im Namen Jesu Christi darum betet, dass eine Person oder ein Gegenstand vor der Macht des bösen Feindes beschützt und seiner Herrschaft entrissen wird, spricht man von einem Exorzismus. Jesus hat solche Gebete vollzogen; von ihm hat die Kirche Vollmacht und Auftrag, Exorzismen vorzunehmen. In einfacher Form wird der Exorzismus bei der Feier der Taufe vollzogen. Der feierliche, sogenannte Große Exorzismus darf nur von einem Priester und nur mit Erlaubnis des Bischofs vorgenommen werden. Man muss dabei klug vorgehen und sich streng an die von der Kirche aufgestellten Regeln halten. Der Exorzismus dient dazu, Dämonen auszutreiben oder vom Einfluss von Dämonen zu befreien, und zwar kraft der geistigen Autorität, die Jesus seiner Kirche anvertraut hat. Etwas ganz anderes sind Krankheiten, vor allem psychischer Art; solche zu behandeln ist Sache der ärztlichen Heilkunde. Folglich ist es wichtig, dass man, bevor man einen Exorzismus feiert, sich Gewissheit darüber verschafft, dass es sich wirklich um die Gegenwart des bösen Feindes und nicht um eine Krankheit handelt."
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Codex des kanonischen Rechts, 2001: "Niemand kann rechtmäßig Exorzismen über Besessene aussprechen, wenn er nicht vom Ortsordinarius eine besondere und ausdrückliche Erlaubnis erhalten hat. Diese Erlaubnis darf der Ortsordinarius nur einem Priester geben, der sich durch Frömmigkeit, Wissen, Klugheit und untadeligen Lebenswandel auszeichnet."

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