Kampf um zahlungskräftige Pendler soll aufhören

Trier/Pont-à-Mousson · Bei der Ausweisung von Baugebieten in der Großregion kocht noch jeder sein eigenes Süppchen. Das soll sich ändern. Die rheinland-pfälzische Präsidentschaft der Großregion setzt in den kommenden zwei Jahren auf gemeinsam zugängliche Daten und eine abgestimmte Besiedlung.

Trier/Pont-à-Mousson. Wer in der Großregion sein Häuschen bauen will, kann die Preisunterschiede zwischen Frankreich und dem Saarland oder Luxemburg und der Region Trier weidlich ausnutzen. Bezahlt man etwa im deutschen Roth/Our (Eifelkreis Bitburg-Prüm) 60 Euro für einen Quadratmeter erschlossenes Bauland, sind es auf der anderen Seite der Grenze ganz in der Nähe in Reisdorf/Luxemburg bis zu 400 Euro je Quadratmeter.
An der deutschen Obermosel in Nittel (Kreis Trier-Saarburg) sind es bis zu 240 Euro je Quadratmeter, gegenüber auf luxemburgischer Seite erheblich mehr. Die Regionen machen sich gegenseitig Konkurrenz, die Ausweisung zahlreicher Baugebiete lässt auf der einen Seite Wohn- und Schlafghettos, auf der anderen Seite Baulücken entstehen.
Die rheinland-pfälzische Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne) strebt deshalb eine koordiniertere Raumentwicklungspolitik an. "Wir wollen keine Flächenkonkurrenz mehr zwischen den Kommunen in der Großregion", sagte sie gegenüber dem TV. Deshalb sei der gegenseitige Zugriff von luxemburgischen, deutschen, französischen und belgischen Raumplanern auf die jeweiligen Geodaten auch so wichtig. Darauf haben sich zumindest die Fachminister in der Großregion bereits verständigt.
Wenn also in Zukunft grenzüberschreitende Bahntrassen und Straßen geplant, Landwirtschaftsflächen vermessen und Standorte für Windkraftanlagen ausgewiesen werden, soll ein gemeinsames Geo-Datenportal den Raumplanern behilflich sein. "Dieses Vorhaben ist wesentlich weitreichender als vieles bisher und eine sehr praktische Sache", sagt Lemke. Heute soll dieses Vorhaben in eine gemeinsame Erklärung des Gipfels der Großregion münden, bei dem Rheinland-Pfalz, angeführt durch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), turnusgemäß für zwei Jahre den Vorsitz von Lothringen übernimmt.
"Der politische Wille ist da. Wir wollen weg vom Diskurs und dem Eiertanz um die Ausgestaltung der Großregion", formuliert Lemke die Hausaufgaben für die beteiligten Gremien. Schon in einem Jahr sei es möglich, die gesamte Großregion so zu kartographieren, dass eine koordinierte Raumordnung möglich sei.
Wichtig in diesem Zusammenhang wird - neben dem rheinland-pfälzischen Schwerpunkthema Arbeitsmarkt (siehe Extra) - auch der vorformulierte Zehn-Projekte-Plan der Fachminister zur Verkehrsplanung. "Die Festlegung vorrangiger Verkehrsprojekte wird deren Umsetzung beschleunigen", meint der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Roger Lewentz (SPD). Dabei gehe es um den Ausbau grenzüberschreitender Angebote - aber auch um die Anbindung der Großregion an Metropolen wie Frankfurt, Paris oder Brüssel.
Zwei Beispiele für die Region Trier sind der Ausbau des Schienenverkehrs zwischen Trier und Luxemburg und eine Fahrplankoordination zwischen den Bahnverbindungen Trier - Metz. Denn in der Großregion sollen mehr Pendler auf Busse und Bahnen umsteigen. Selbst ein einheitliches Verkehrsticket wird nicht ausgeschlossen.
Wesentliches Ziel laut Lewentz: ein grenzüberschreitend abgestimmtes ÖPNV-Angebot. Bislang ist es wegen verschiedener Tarifsysteme nicht möglich, in Trier ein Busticket für eine Fahrt bis ins lothringische Metz zu lösen. Auch Lemke ist guter Dinge: "Manche Projekte werden schnell umzusetzen sein. Da muss nichts gebaut werden, da muss man nur reden - mit dem Bahn-Betreiber über die Tarifstruktur." Die Ministerin ist optimistisch, innerhalb der zwei Jahre "wirklich voranzukommen".Extra

Fakten zur Großregion: Als Großregion wird das Gebiet von Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Luxemburg, der Wallonie in Belgien und Lothringen in Frankreich bezeichnet. Es ist von der Fläche her so groß wie Litauen, die Hälfte der 65 000 Quadratkilometer wird landwirtschaftlich genutzt. Etwa 11,4 Millionen Menschen leben in der Großregion, knapp 7 Prozent mehr als noch vor 40 Jahren. Vor allem Luxemburg hat davon profitiert (plus 47 Prozent). Mit 321 Milliarden Euro hat die Großregion 2011 gut 2,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der EU beigetragen, zehn Milliarden Euro mehr als noch 2008. Die Wirtschaftsleistung eines jeden einzelnen Bürgers in der Großregion stieg damit um 3,5 Prozent. Etwa 200 000 Grenzgänger pendeln täglich zwischen den Teilregionen, davon arbeiten allein zwei Drittel im Großherzogtum Luxemburg. Die meisten Grenzgänger kommen mit gut 95 000 aus Lothringen, die Region Trier stellt 26 500 Euro-Pendler (die ins Saarland nicht mitgerechnet). Auf politischer Ebene arbeitet die Großregion mit ihren Gipfeln wie eine EU im Kleinen - allerdings ohne große Befugnisse. Denn der Austausch erfolgt auf unterschiedlicher Augenhöhe: Für Luxemburg sitzt die nationale Ebene im Boot, für Rheinland-Pfalz und das Saarland die Landesregierung, für Lothringen der Regionalpräfekt und die Departementräte, für die Wallonie die Ministerpräsidenten der Region und der Gemeinschaften. sasExtra

... Malu Dreyer, rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und für die kommenden zwei Jahre Präsidentin der Großregion. Welches werden Ihre thematischen Schwerpunkte sein? Dreyer: Die rheinland-pfälzische Gipfelpräsidentschaft wird unter dem Motto "Der Arbeitsmarkt in der Großregion. Gemeinsame Herausforderung und grenzüberschreitende Antworten" stehen. Wir wollen Antworten auf Fragen aus dem demografischen Wandel und der Fachkräftesicherung finden. Die Gipfel der Großregion werden oft als Debattierclub bezeichnet. Zurecht? Dreyer: Beim Gipfel werden die Leitlinien besprochen und auch "trockene" Thematiken behandelt. Es passiert aber auch viel Konkretes wie die Task Force Grenzgänger, die Hochschulkooperation oder das Netzwerk der Naturparks. Vieles bekommen die Menschen jedoch nicht mit, das heißt, wir müssen intensiv an der Kommunikation nach außen arbeiten. Vor allem die Pendlerströme sind ohne Regulierung. Wie stellen Sie sich eine konkrete Verkehrsplanung vor? Dreyer: Die Fachministerkonferenz Raumordnung und Verkehr hat einen 10-Punkte-Plan erarbeitet. Das Thema Verkehr ist wichtig für die Großregion und wird auch unter rheinland-pfälzischer Präsidentschaft aufgegriffen und weiter bearbeitet. Welche Projekte wollen Sie nach zwei Jahren verwirklicht haben? Dreyer: Beim Schwerpunktthema Arbeitsmarkt wünsche ich mir Antworten auf Fragen der Fachkräftesicherung im Bereich Pflege oder der beruflichen Mobilität Jugendlicher. Wichtig ist mir auch, dass wir die Einrichtung eines Sekretariates für den Gipfel der Großregion voranbringen. Die Fragen stellte Sabine Schwadorf.

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