Katholiken und Sex: Kirche ist in Bewegung

Trier · "Lasst uns über Sex reden!" Dazu hatte der Trierer Bischof Stephan Ackermann Experten und Gläubige eingeladen. Am Ende des zweitägigen Forums war klar, dass sich die Sexualmoral der katholischen Kirche nicht von heute auf morgen lockern wird. Aber es bewegt sich etwas - und Kirchenmitarbeiter dürfen hoffen.

 Vor einigen Jahren noch schwer vorstellbar: Gläubige und Trierer Bistumsspitze diskutieren über das Thema Sexualiät und Moral. Foto: Katja Bernardy

Vor einigen Jahren noch schwer vorstellbar: Gläubige und Trierer Bistumsspitze diskutieren über das Thema Sexualiät und Moral. Foto: Katja Bernardy

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Trier. "Atemlos,..., schwindelfrei, großes Kino für uns zwei", singt eine Gymnasiastin aus Saarbrücken den Helene-Fischer-Hit. Party im Robert-Schuman-Haus? Nein. Dies ist der Auftakt des Forums "Sexualität.Leben". Zur Einstimmung gibt es noch mehr Musik und Lyrik über Liebe, Sex, Sehnsucht, Leidenschaft. Bischof Ackermann greift zur Begrüßung der Teilnehmer einen Liedtext auf: "Let\'s talk about sex!"(Lasst uns über Sex sprechen!). Großes Kino für die katholische Kirche folgt: offen, tabulos wird über Sex und Moral diskutiert.
Moraltheologe Stephan Goertz ist einer der hochkarätigen Referenten. In seinem Vortrag betont er, was mit der Umfrage des Vatikans zum Thema Familie und Sexualmoral geradezu amtlich wurde: Die Katholiken in Deutschland leben nicht nach der Lehre der Kirche. "Die katholische Morallehre ächzt unter einer Last, die aus ihrer eigenen Tradition stammt", sagt Goertz. Prägend seien unter anderem, dass sie sexuelle Lust als Übel einstufe oder Sex nur der Fortpflanzung dienen solle. Eine seiner Empfehlungen: Die Kirche müsse auf die Erfahrungen mündiger Christen hören, nicht nur auf die Lektüre von Büchern.
Insgesamt zwölf von Wissenschaftlern, Pädagogen und Theologen geleitete Gesprächsrunden bieten Raum, Themen wie "Reiner Leib - unreiner Körper?" oder "Für einen Perspektivenwechsel in der Beurteilung der Homosexualität" zu diskutieren. "Es ist beglückend, dass der Bischof den Mut hat, über das wichtige Tabuthema zu sprechen und sprechen zu lassen", sagt Frieder Lütticken (71), ehemals Leiter der evangelischen Kirchengemeinde Trier. Über Jahrhunderte habe die Kirche den Menschen bezüglich Sexualität ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle gemacht. Susann Theis (18) erlebt das Forum "als Bereicherung für ihren weiteren Weg" und hofft auf Nachahmung in anderen Bistümern. Auch Regina Viecenz (59) aus Siegen ist angetan von der Offenheit des Forums, aber Illusionen, dass sich die Sexualmoral bald lockern wird, macht sie sich nicht.
"Aber so fangen Veränderungsprozesse an", meint Lütticken. Marita Krist (61), Leiterin der Lebensberatungsstelle in Hermeskeil, will sich als Synodale dafür einsetzen, dass Kirche mehr Orte schafft, damit Menschen über Sex sprechen können. Ihr Vorschlag dürfte Gehör finden. Denn Bischof Ackermann kann sich vorstellen, "weitere Gesprächsräume zu eröffnen und dabei auf Lebenserfahrung zu hören". Dass dieses Forum möglich sei, ist laut Ackermann ein Indiz dafür, dass Kirche in Bewegung ist. "Vor zehn Jahren wäre dies nicht denkbar gewesen", sagt er. Hoffnung gibt es für Kirchenmitarbeiter, die nach Angaben eines Teilnehmers Angst haben, für ihre sexuelle Orientierung abgestraft zu werden. Der Trierer Bischof: "Die deutschen Bischöfe werden Differenzierungen im Arbeitsrecht vornehmen."
Die Befürchtung, dass das Gesagte während des Forums Schall und Rauch sein könnte, nahm er den Teilnehmern. Die Begegnungen mit Schwulen- und Lesbenverbänden etwa habe seine Einstellung zur Homosexualität verändert.Extra

Das Synodenforum "Sexualität.Leben" fand im Rahmen der von Bischof Stephan Ackermann ausgerufenen und auf zwei Jahre angelegten Synode im Bistum Trier statt. Insgesamt gibt es drei Foren zu den Themen geschieden Wiederverheiratete (Juni 2014), Sex und Moral sowie Frauen und Ämter in der Kirche (Juli 2015). Der Trierer Bischof hatte die drei innerkirchlichen Dauerstreithemen, die laut Kirchenrecht nicht im Bistum Trier entschieden werden können, in öffentliche Foren ausgelagert, um ihnen dennoch Raum zu geben. kat

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