Mehr Freiheit, mehr Stunden, aber nicht mehr Umsatz

Trier · Seit acht Jahren können die Bundesländer über die Ladenöffnungszeiten selbst entscheiden. In Rheinland-Pfalz dürfen die Geschäfte seitdem werktags bis 22 Uhr öffnen. Doch nur die wenigsten machen davon Gebrauch.

 Bei der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten scheint das Ende der Fahnenstange erreicht: Gewerkschaften zufolge denken erste Läden wieder über kürzere Öffnungszeiten nach. Symbol-Foto: dpa

Bei der Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten scheint das Ende der Fahnenstange erreicht: Gewerkschaften zufolge denken erste Läden wieder über kürzere Öffnungszeiten nach. Symbol-Foto: dpa

Trier. Als vor 25 Jahren in Deutschland der "lange Donnerstag" eingeführt wurde, war die Euphorie vielerorts groß. Endlich einmal durften die Geschäftsinhaber ihre Läden zumindest an einem Abend in der Woche bis 20.30 Uhr geöffnet halten - zwei Stunden länger als gewöhnlich. Wer diese Zeit nicht miterlebt hat, wird heute darüber schmunzeln. Peu a peu wurden die Ladenöffnungszeiten in Deutschland immer weiter liberalisiert. Den größten Schub gab es, als 2006 die Gesetzgebungskompetenz vom Bund auf die Länder überging (siehe Hintergrund). Berlin kippte seinerzeit als erstes Bundesland die Ladenschlusszeiten an Werktagen, andere Bundesländer folgten. Inzwischen dürfen die Geschäfte in drei Viertel der Bundesländer rund um die Uhr geöffnet haben.
Sieht man vom Saarland einmal ab, wo die Läden um 20 Uhr dichtmachen müssen, ist Rheinland-Pfalz von "Rund-um-die-Uhr-Ländern" umgeben: In Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg gibt es werktags keine Beschränkungen.
Der Präsident des Handelsverbands HDE, Josef Sanktjohanser, möchte, dass diese Regelung von allen Bundesländern übernommen wird. "Läden sollten überall in Deutschland an Werktagen uneingeschränkt öffnen dürfen", lautet seine Forderung.
Die demografische Entwicklung und die Digitalisierung verändere die Branche. Viele Händler hätten daher immer weniger Kunden. "Wir brauchen deshalb neue Rahmenbedingungen und auch ein Stück mehr Fairness im Wettbewerb zwischen On- und Offline-Handel", sagt Sanktjohanser.
In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die Arbeitsgemeinschaft der rheinland-pfälzischen Industrie- und Handelskammern (Arge). Ihr Plädoyer: mehr Wettbewerbsgleichheit mit benachbarten Bundesländern und weniger gesetzliche Regelungen.
Dabei werden die gesetzlich möglichen Öffnungszeiten in Rheinland-Pfalz schon heute kaum ausgenutzt. Nach Beobachtung der IHK Trier machen die meisten Geschäfte im Oberzentrum zwischen 19 und 20 Uhr zu, in den Mittelzentren teilweise sogar noch früher. "Öffnungszeiten nach 20 Uhr sind im regionalen Handel nur für einige größere Lebensmittelgeschäfte, Discounter oder Verbrauchermärkte interessant", sagt IHK-Geschäftsführer Matthias Schmitt. Eine weitere Freigabe der Öffnungszeiten brächte für einen Großteil der Geschäftsinhaber nichts - allenfalls höhere Kosten bei gleichbleibendem Umsatz.
Diese Einschätzung wird auch von der Handelsgesellschaft Edeka Südwest geteilt. Deren Läden in der Region Trier schließen teilweise erst zwischen 21 und 22 Uhr. Die Öffnungszeiten orientierten sich hauptsächlich daran, was die Kunden wollten und wie sich die örtlichen Wettbewerber verhielten, sagte Sprecher Christhard Deutscher. "Wo die Öffnungszeiten nach 20 Uhr ausgeweitet wurden, haben wir bislang ganz gute Erfahrungen gemacht, sehen allerdings Grenzen." Für eine weitere Liberalisierung gebe es derzeit keinen Bedarf.
Das klingt nicht so, als werde von dieser Seite aus der Druck auf die Landespolitik zunehmen. Dort hält sich die Bereitschaft, an der bestehenden Regelung etwas zu ändern, ohnehin in Grenzen. Es gebe keine Pläne in diese Richtung - schon mit Blick auf die Beschäftigten und kleinere Einzelhändler, für die es immer schwieriger werde, sagte die Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne) unserer Zeitung.
Aussagen, die Gewerkschaftsfunktionäre gerne hören werden. Die Folge der Liberalisierung sei höhere Arbeitsverdichtung, sagt der regionale Verdi-Sekretär Jürgen Rinke-Oster, denn es gebe weder mehr Umsatz noch mehr Personal. Selbst unter den größeren Lebensmittelfilialisten würde deshalb inzwischen bereits über kürzere Öffnungszeiten nachgedacht.
Die Euphorie vergangener Liberalisierungstage ist vielerorts längst der Ernüchterung gewichen. Der Umsatz im Einzelhandel sei dadurch jedenfalls nicht gestiegen, sagt auch der Trie rer Kammer-Experte Matthias Schmitt.Meinung

Pro: Rund um die Uhr shoppen? Ja, bitte!
Es macht keinen Sinn mehr, Ladenöffnungszeiten wie in Rheinland-Pfalz einzuschränken. Viele Kunden kaufen rund um die Uhr bereits online ein. Also braucht der stationäre Handel die Freiheit, auf diesen Trend flexibel zu reagieren. Und viele Menschen arbeiten heute früh, abends oder nachts, so dass länger geöffnete Läden kundenfreundlicher wären. Es gibt sehr wohl Segmente im Handel, denen das mehr Umsatz bringt: Innerstädtische Lebensmittelmärkte zum Beispiel oder Geschäfte mit DVDs, CDs oder Büchern im Angebot. Quatsch wäre es allerdings, rund um die Uhr nur auf Käufer zu warten. Darüber entscheiden sollten die Unternehmen selber, aber nicht die Politik. Diese ist vielmehr gefragt, auch Sonn- und Feiertage als normale Einkaufstage freizugeben. Wer hier Bedenken hat, möge zuerst prüfen, wie oft er am Sonntag frische Brötchen beim Bäcker oder in der Tankstelle holt, nach dem Kirchgang lecker essen geht und erwartet, im Notfall eine Ärztin im Krankenhaus anzutreffen und natürlich will, dass das Paket von Amazon am Montag nach der Wochenendbestellung ankommt. oht@volksfreund.de

Kontra: Immer einkaufen? Nein Danke!

In Rheinland-Pfalz müssen die Geschäfte werktags spätestens um 22 Uhr dichtmachen. Kritikern reicht das nicht aus, sie würden zumindest theoretisch gerne die Möglichkeiten haben, auch nachts um zwei Uhr noch einkaufen zu gehen. Klingt verlockend, nur: Die Nacht-Shopper müssen um diese Uhrzeit auch einen Laden finden, der offen ist. Schon jetzt werden die Öffnungszeiten bei uns nicht ausgenutzt - von ganz wenigen Ausnahmen einmal abgesehen. Um 21 Uhr sitzen die Menschen nun mal lieber vorm Fernseher, knabbern Chips oder sind mit Freunden zusammen, als müde durch einen menschenleeren Laden zu schlurfen. Kämen Sie etwa auf die Schnapsidee, um Mitternacht noch neue Schuhe oder CDs zu kaufen? Kaum. Schon vor Jahren haben uns die Liberalisierungsanhänger versprochen: Lasst nur den Einzelhändlern freie Hand, und alles wird gut. Heraus kam, dass nach 20 Uhr eigentlich niemand mehr kaufen will, so dass die meisten Händler längst von sich aus zu den alten Öffnungszeiten zurückgekehrt sind. Die neuerlichen Diskussionen sind daher überflüssig wie ein Kropf. r.seydewitz@volksfreund.deExtra

Das Gesetz über den Ladenschluss von 1956 erlaubte Geschäften in der Bundesrepublik montags bis freitags von 7 bis 18.30 Uhr zu öffnen. Samstags mussten sie um 14 Uhr schließen. Seit 1957 durfte am ersten Samstag im Monat bis 18 Uhr verkauft werden, seit 1960 auch an den vier Adventssamstagen. Danach gab es weitere Lockerungen: 1989 brachte der lange Donnerstag Öffnungszeiten bis 20.30 Uhr. Seit 1996 durfte wochentags bis 20 Uhr verkauft werden, samstags bis 16 Uhr. 2003 wurde Läden erlaubt, auch an Samstagen bis 20 Uhr zu öffnen. Mit der Föderalismusreform von 2006 ging die Gesetzgebungskompetenz für den Ladenschluss vom Bund auf die Länder über. Viele Supermärkte und Shopping-Center haben nun von Montag bis Samstag bis 22 Uhr geöffnet, einige bis Mitternacht. Ländergesetze erlauben nun auch verkaufsoffene Sonn- und Feiertage, meist zu Messen, Märkten oder Festen. Einige Städte bieten viermal im Jahr sonntägliches Event-Shopping, in Berlin sind es acht Sonntage. Meist beschränkt sich die Öffnungszeit dann auf 13 bis 18 Uhr. In Tourismusgebieten bringt die sogenannte Bäderregelung weitere Ausnahmen. Allein im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ist in der Saison von Ende März bis Ende Oktober in 96 Küstenorten die Öffnung auch an 31 Sonntagen erlaubt, in der Regel zwischen 13 und 18 Uhr. In Schleswig-Holstein lässt eine vergleichbare Regelung sogar 36 verkaufsoffene Sonntage zu. dpa

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