Muttis Männer, falsche Schachspieler und eine beleidigte Leberwurst

Berlin · Manchmal kommt es anders als man denkt. Auch in der Politik. Das Jahr 2011 hat dies bewiesen. Es gab zu Beginn manche Hoffnungen, Pläne und Ambitionen, die sich dann plötzlich in Luft auflösten. Buchstäblich verpufften. Es gab Themen, die keiner auf dem Zettel hatte. Auf und nieder, immer wieder. Darauf einen (unvollständigen) Rückblick!

Berlin. Es ist schon ein Kreuz mit dem Baron gewesen: Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) glaubte, der Kracher des Jahres zu werden - mit Fernziel Kanzleramt. Doch der schneidige Freiherr endete als Knallfrosch. Von ganz oben purzelte er über seine abgeschriebene Doktorarbeit ins eigene Burgverlies. Sein Comeback hat KT dann auch noch vermasselt. Und wie er doch inzwischen Lothar Matthäus ähnelt, seit die Brille weg ist und das Gel.
Die FDP hatte auf endlich ruhigere Zeiten gehofft. Doch dann hieß es: Guido Westerwelle als Parteichef weg, adios Birgit Homburger als Fraktionschefin und tschüss Christian Lindner als General. Ach ja, und bye, bye, liebe Wähler. Dann wurde auch noch munter gewechselt - Philipp Rösler spielt inzwischen den Vorsitzenden und macht in Wirtschaft, Daniel Bahr übt als Minister bei der Gesundheit und Rainer-Darauf-Erstmal-Ein-Glas-Wein-Brüderle mimt den Fraktionschef. Die FDP ist die Sitcom der Politik geworden, die Al Bundys der Neuzeit. Noch offen ist, ob sie schon 2012 vom Sendeplatz gekippt wird oder aber erst regulär 2013 aus dem Programm verschwindet.
Die Piraten hingegen glaubten eigentlich nicht, dass sie bei der Berlin-Wahl so abräumen und plötzlich auch bundespolitisch in den Fokus geraten würden. Jetzt fragen sich alle: Können die auch Partei? Oder reicht es nur für Palästinensertücher und Blaumänner, gegenseitige Bespitzelungen, Dienstfahrräder und bedingungsloses Grundeinkommen bei freien Fahrten im öffentlichen Nahverkehr? Ahoi, fertig machen zum (K)Entern.
Norbert Röttgen (CDU) hatte sich fest vorgenommen, mal eben E 10 einzuführen. Biosprit - was so viel bedeutet wie, die ärmeren Länder bauen das an, was wir tanken. Völlig Banane. Doch der Umweltminister machte die Rechnung ohne den Autofahrer, die den Biokappes flugs boykottierten. Da half auch Röttgens neue Brille nicht, er guckte in diesem Jahr besonders oft dumm aus der Wäsche.
Dafür sorgte auch das Atom. Erst plädierte Röttgen zusammen mit Mutti Merkel so leidenschaftlich für eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, dass beide kurz vor der inneren Kernschmelze standen. Dann kam Fukushima, die japanische Version von Loriots "Wir bauen uns ein Atomkraftwerk". Und es machte puff. Röttgen und Mutti klangen von da an wie frisch aus dem Abklingbecken gezogen. Raus aus der Kernenergie, aber auch raus aus der Landesregierung in Baden-Württemberg - dort machte es noch mal puff.
Wolfgang Bosbach (CDU) ging in diesem Jahr davon aus, als Vorsitzender des Innenausschusses eine ruhige Parlamentskugel schieben zu können. Doch dann kamen nicht nur die Nazi-Morde, sondern auch die EuroKrise und Bosbach stieg zum Widerständler gegen die Euro-Rettungspläne auf. Das nervte ihren Adlatus Ronald Pofalla so sehr, dass der Bosbach anraunzte: "Ich kann Deine Fresse nicht mehr sehen!" Womit auch für Pofalla das Jahr anders als geplant endet - er ist unten durch.
Fräulein Schröders Gespür fürs falsche Thema. Die Familienministerin Kristina Schröder (CDU) wollte sich endlich einmal freischwimmen. Deswegen verlangte sie, eine nicht ganz so verpflichtende Frauenquote einzuführen, um dann mit Nachdruck schwanger zu werden. Ursula von der Leyen setzte flugs zur frauenpolitischen Grätsche an. "Superklasse", kommentierte sie - freilich nur die frohe Erwartung Schröders. Das Kind ist inzwischen auf der Welt. Und die Quote wurde zur Zote.
Die Drei von der roten Tankstelle konnten ihr Glück gar nicht fassen, dass plötzlich alle Welt eine Zeitlang wieder über die SPD sprach. Korrekt muss es allerdings heißen: über den Kanzlerkandidaten eben dieser Partei. Gabriel, Steinmeier oder Steinbrück? Letzterer brachte sich selbst so penetrant oft ins Gespräch, dass er vor Freude ob der Aufmerksamkeit gar nicht merkte, dass Helmut Schmidt und er falsch herum am Schachbrett saßen. In der Frage der Kanzlerkandidatur zeichnet sich seit dem SPD-Parteitag übrigens ab, dass an ihm kein Weg vorbeigeht - an Helmut Schmidt logischerweise.
Renate kümmert sich, lautete ein Slogan im Berliner Wahlkampf. Vor allem darum, weitere Fettnäpfchen auszulassen. Selten hat es eine Wahlkämpferin geschafft, innerhalb weniger Wochen ihre Chance auf den Wahlsieg so zu verspielen wie Renate Künast, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Die Gouvernante der Politik. Und als SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit dann die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen platzen ließ, moserte Künast auch noch, das würden die Ökopaxe ihm nie vergessen. Künast, die beleidigte Leberwurst des Jahres.
Und Christian Wulff? Stringent, stringent. Der Bundespräsident wollte in diesem Jahr bei seiner Linie bleiben, zu vielen wichtigen Themen möglichst nichts zu sagen. Das ist ihm auch gelungen. Dienstlich und privat.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort