Überforderte Eltern und wachsame Nachbarn: Menschen schauen genauer hin, wenn ein Kind in Gefahr sein könnte

Trier · Dass so viele Familien in den Verdacht geraten, ihre Kinder zu gefährden, liegt nicht nur daran, dass das Umfeld aufmerksamer und skeptischer geworden ist. Viele Eltern sind mit der Erziehung offenbar überfordert.

Ein Übungsleiter, der Kinder im Geräteturnen unterweist und zwei Jungen brutal missbraucht. Ein arbeitsloses Ehepaar, das drei kleine Kinder in einer zugemüllten Wohnung hungern lässt. Ein beliebter Polizist, der 20.000 Kindern beibringt, wie sie eine Straße gefahrlos überqueren und sich dann an einer Elfjährigen vergeht.

Nur die Spitze des Eisbergs. Aber Fälle, die die Menschen in der Vulkaneifel erschüttert haben. Obwohl dort deutlich weniger Bürger leben als in den anderen Kreisen der Region, ist die Zahl der Hinweise, dass Kinder gefährdet sein könnten, nirgends in der Region höher. In Trier, wo fast 50.000 Menschen mehr leben, gingen 2014 beim Jugendamt "nur" 144 Verdachtsanzeigen ein. In der Vulkaneifel waren es 393 - fast vier Prozent der Kinder im Landkreis waren davon betroffen.

Wie kommt das? Leben Kinder in der idyllischen Vulkaneifel etwa gefährlicher als in der Großstadt? Wohl kaum. "Das erhöhte Meldeverhalten ist nicht auf eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse, sondern auf eine erhöhte Sensibilität durch die Berichterstattung über Kinderschutzfälle zurückzuführen", sagt Verena Bernardy, Sprecherin der Kreisverwaltung.

Die Aufmerksamkeit zahlt sich für die Kinder aus. Nur in 57 der 393 Fälle ergab die Prüfung vor Ort, dass keinerlei Gefahr besteht. 167 Familien erhielten anschließend Hilfe.

Auch neue Kinderschutzbestimmungen haben dazu geführt, dass die Öffentlichkeit wachsamer ist: Alle, die in der öffentlichen Jugendhilfe tätig sind, müssen ein Führungszeugnis vorlegen. Und die Jugendämter haben sämtliche Vereine aufgefordert, sich auch beweisen zu lassen, dass ihre Trainer oder Dirigenten eine weiße Weste haben. Im Kreis Bernkastel-Wittlich sind inzwischen 162 Vereine, Kirchengemeinden und andere Organisationen einer entsprechenden Rahmenvereinbarung zum Kinderschutz beigetreten. Hinzu kommen 98 Musikvereine und Orchester, die sich über den Kreismusikverband beteiligen. Das sensibilisiert.

Aber reicht es, das Phänomen durch eine höhere Sensibilität zu erklären? "Die Gesellschaft hat sich verändert", sagt Michael Billen (CDU), Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses Bitburg-Prüm. Früher gab es Großfamilien. Heute gibt es viele Alleinerziehende und Arbeitgeber, die erwarten, dass man mobil und flexibel ist. "Viele Eltern sind überfordert", sagt Billen. Zwar zeigen diverse Studien, dass dies auf arme Familien öfter zutrifft. Doch betont Billen, dass es das Problem, dass Eltern mit der Erziehung nicht alleine zurechtkommen, in allen sozialen Gruppen gebe.

"Eltern wollen ihrem Kind in der Regel nicht bewusst unrecht tun oder es gefährden", teilt das Trierer Jugendamt mit. Vielmehr brauchten sie dringend Unterstützung. Und das so früh wie möglich. "Man versucht nicht umsonst, Kindergärten zu stärken, damit auch unter Dreijährige dorthin kommen", sagt Billen. Zum einen falle dort auf, wenn etwas nicht stimme. Zum anderen ersetze der Kindergarten die Großfamilie. In den Gruppen erlernten die Kinder soziales Verhalten.

Nicht nur menschlich und moralisch, auch finanziell ist es aus Sicht der Jugendämter geboten, Familien früh zu helfen und dafür zu sorgen, dass die Erziehung gelingt. Muss ein Kind aus seiner Familie herausgenommen und im Heim betreut werden, wird es für die Kommunen richtig teuer: Rund 5000 Euro im Monat kann dies pro Fall kosten.
An allererster Stelle aber geht es darum, zu verhindern, dass Kinder Schaden nehmen. Und so beschweren sich die Jugendhelfer auch nicht über die viele Arbeit, die aufmerksame Bürger ihnen machen. Also weiter: Augen auf.

Missbrauch, Schläge, Verwahrlosung: Jugendämter im Dauereinsatz

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