"Verbrennung von Lebenszeit"

Trier · Seit 2007 war der Trierer Allgemeinarzt Carl-Heinz Müller einer von zwei Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in Berlin. Vergangenes Jahr gab er überraschend seinen Rücktritt bekannt. Im TV-Interview nennt er die Gründe: seine Familie und seine Praxis in Trier.

Trier. Carl-Heinz Müller, Allgemeinarzt aus Trier, hat heute seinen letzten Arbeitstag als KBV-Vorstand in Berlin. Über seinen vorzeitigen Rückzug sprach unser Redakteur Bernd Wientjes mit ihm.
Herr Müller, an dem Tag, als Sie im vergangenen Jahr 56 Jahre alt geworden sind, haben Sie sich entschlossen, als KBV-Vorstand drei Jahre vor Ende der Amtszeit zurückzutreten. Warum?
Müller: Mir waren immer zwei Dinge wichtig: meine Familie und dass ich einen Fuß in meiner Praxis in Trier habe, wenn auch nur zwei, drei Tage im Monat.
Konkret?
Müller: Man braucht ein sicheres Netz, falls das Wahlamt, und um ein solches handelt es sich ja beim Vorstandsposten, aus welchen Gründen auch immer endet. Mir war immer wichtig, dass ich einen Fuß in meiner Praxis in Trier habe, wenn auch nur zwei, drei Tage im Monat. Dieses Netz drohte wegzubrechen, da sich die Gemeinschaftspraxis, die ich 2000 gegründet hatte, aufgelöst hat. Ich hatte über ein halbes Jahr erfolglos einen Praxispartner gesucht. Dabei habe ich das Thema Ärztemangel erfahren, da kein Kollege bereit war, in eine Hausarztpraxis in der Trierer Innenstadt einzusteigen. Damit stand ich vor der Wahl, für oder gegen die Praxis. Ich entschied mich für die Praxis, die ich vom Vater übernommen habe. Darin liegt mein Herzblut.
Es gab aber auch Ärger wegen der elektronischen Gesundheitskarte.
Müller: Die Kassen wollten entgegen der Absprache ausschließlich den Online-Stammdatenabgleich der Versichertendaten in einem ersten Schritt einführen (Anmerkung d. Red.: Beim Einlesen der Karten in den Praxen sollten automatisch die Versichertendaten aktualisiert werden). Das war für die Ärzte inakzeptabel. Ich musste ein Jahr lang dagegen kämpfen. Und dieses endlose Sitzen in Verhandlungen habe ich, wie man das an Geburtstagen so macht, als Verbrennung von Lebenszeit bezeichnet.
Das klingt aber schon ein Stück weit frustriert.
Müller: Ja, das war ich auch. Man hat die Lebenszeit nur einmal zur Verfügung. Wenn ich mal Zeit für meine Familie hatte, war leider nicht immer der Kopf frei, wie er sein sollte.
Sie sind seit elf Jahren hauptamtlicher Ärztefunktionär. Fällt Ihnen da der Rückzug davon einfach?
Müller: Nein, natürlich nicht. Die Arbeit macht mir nach wie vor Spaß. Sie hat auch viele schöne Facetten gehabt, ich bin ja immerhin 25 Jahre berufspolitisch tätig. Die Ziele, die ich mir gesetzt habe, habe ich auch weitgehend erreicht.
Welche waren das?
Müller: Mein Leitbild war immer die Förderung der Attraktivität des Arztberufes unter den Aspekten Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Abbau von Bürokratie. Das ist mir gelungen. Des Weiteren konnten wir zu einer besseren Vergütung von Haus- und Fachärzten beitragen. Ich habe das Thema Prävention stärker verankert, etwa durch das Hautkrebsscreening bei Haus- und Hautärzten und durch eine weitere U-Untersuchung für Kinder.
Gab es auch Misserfolge?
Müller: Ja. Und zwar bei einem Thema, bei dem ich es nicht erwartet hätte, nämlich die Versorgung der Palliativ-Patienten, also die Behandlung von unheilbar Kranken. Ich bin sehr, sehr traurig darüber, dass es noch immer keine flächendeckende Versorgung für diese Patienten gibt. Bei dem Thema stoßen wir bei den Krankenkassen auf taube Ohren, sie geben uns dafür kein Geld.
Stichwort Geld: Deswegen gab es auch kürzlich Kritik von Bundesgesundheitsminister Bahr an Ihnen und dem KBV-Vorstand Köhler. Sie haben sich Ihre Vorstandsgehälter erhöht, Ihres stieg um 40 000 auf 300 000 Euro im Jahr. Ärgert sie die Kritik?
Müller: Der Bundesgesundheitsminister hat die Rechtsaufsicht über die KBV, dass er sich dazu äußert, ist sein gutes Recht. Wenn man meine Gehaltserhöhung sieht, entspricht das auf sechs Jahre zurückgerechnet 2,5 Prozent Steigerung im Jahr. Aber Sie sehen, Geld ist nicht alles. Die Bezüge konnten nicht dazu beitragen, dass ich weitermache. Selbst mit dem Geld kann man nicht so hohe Ersparnisse erzielen, dass man sich nach Ende des Wahlamtes zur Ruhe setzen kann.
Tut die Bundesregierung genug gegen den Ärztemangel?
Müller: Der Bundesgesundheitsminister hat erkannt, dass die flächendeckende ärztliche Versorgung in Gefahr ist. Es gibt erste Ansätze, dies zu verhindern. Zum Beispiel kann ein Arzt in Bitburg oder Wittlich auch Filialpraxen auf dem Land unterhalten. Nur neue Ärzte können damit auch nicht gebacken werden.

Werden Sie sich damit ganz aus der Berufspolitik zurückziehen?
Müller: Im Vordergrund stehen ganz klar meine Familie und die Praxis. Aber ich werde nicht schweigend Missstände akzeptieren.
Was wird das Erste sein, was Sie am Donnerstag tun, wenn Sie wieder "normaler" Arzt in Trier sind?
Müller: Ich werde mit meiner Familie frühstücken, danach mein Praxisteam begrüßen und spätestens um 8.15 Uhr in der Praxis sein und dann den ersten Patienten behandeln. Es wird ein normaler, langer Arbeitstag und darauf freue ich mich schon. wieExtra

Carl-Heinz Müller, geboren am 8. Dezember 1955 in Trier, ist Allgemeinarzt. Bevor er Mediziner wurde, war er Programmierer. Seit 1987 ist er niedergelassener Arzt in Trier. 2001 wurde er Chef der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Trier, ab 2005 Chef der KV Rheinland-Pfalz, 2007 wurde er Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, im März 2011 wurde er für vier Jahre im Amt bestätigt. Müller ist verheiratet und Vater von zwei Kindern, zwei und fünf Jahre alt. wie

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