Wie gedruckt: Immer mehr Schulen in Rheinland-Pfalz führen eine neue Schriftart ein

Trier · Die einen sagen: Es droht der Verlust eines Kulturguts und Kinder werden nicht mehr richtig schreiben lernen. Für die anderen ist es einfach eine Neuerung, die das Lernen erleichtert. Auch in der Region schaffen immer mehr Grundschulen die klassische Schreibschrift ab und führen die neue Grundschrift ein.

Au Au Au schreibt der Junge in schnörkeliger Schreibschrift. Paul und Paula machen Radau. Die Buchstaben, die er säuberlich auf Linien platziert, fließen so ineinander, dass er den Stift kaum abzusetzen braucht. Der Junge lernt das Schreiben, so wie seine Eltern das vor ihm auch getan haben. In der lateinischen Ausgangsschrift. Das ist die mit den vielen Bögelchen.

Für andere Schüler ist damit bald Schluss. Jedenfalls in der Grundschule Tarforst, die vor den Ferien entschieden hat, die klassische Schreibschrift abzuschaffen und durch die Grundschrift zu ersetzen - eine viel weniger schnörkelige Schrift, die der Druckschrift ähnelt. Den Kindern ist sie bereits vertraut. Sie gleicht jener in Büchern, Zeitungen oder What's-app-Nachrichten. Auch andere Schulen der Region setzen auf diese Schrift, die mit Hilfe von Häkchen an den Kleinbuchstaben ganz individuell zur Schreibschrift verbunden werden kann, darunter die Trie-rer Egbert-Grundschule sowie jene in Irrel, Kordel oder Spangdahlem. Wie viele rheinland-pfälzische Schulen bereits umgestellt haben, wird nirgends erfasst. Denn die Entscheidung dazu kann laut Ministerium (siehe Extra) jedes Lehrerkollegium selbst treffen.

Die Meinungen gehen nicht nur unter den Eltern weit ausein-ander. Der Grundschulverband fördert die von ihm entwickelte Grundschrift seit 2010: Es sei nicht nur überflüssig, Kindern zwei Ausgangsschriften beizubringen - eine Druck- und eine Schreibschrift - sondern auch eine Umleitung auf dem Weg zur individuellen Handschrift.
Erst mal vernünftig lernen?

Ganz anders sieht dies eine Triererin, deren Enkelin am Montag in Tarforst eingeschult wird. "Ich finde es einfach skandalös, dass es Grundschulen gibt, die die Schreibschrift abschaffen", sagt die Oma des I-Dötzchens. Es sei vollkommen normal, dass Kinder und Jugendliche später verschiedene Schriftarten ausprobierten, um ein eigenes Schriftbild zu entwickeln. Aber dazu müssten sie erst mal vernünftig lernen, wie man Buchstaben miteinander verbindet.

Die ehemalige Förderschullehrerin findet es sinnvoll, Kindern mit motorischen Einschränkungen nur die Druckschrift beizubringen. Aber sie glaube, "dass hier die normal begabten Kinder aus dem Blickfeld fallen und die Schulen es sich damit sehr einfach machen".
Die Schulleitung jedoch hat lauter Argumente für die neue Schriftart. "Sehr viele Kinder haben ein Problem mit der Feinmotorik. Sie verkrampfen bei der lateinischen Ausgangsschrift so sehr, dass es eine Qual ist", sagt Konrektorin Sabine Weyers. Es sei zudem eine Erleichterung für die Kinder, nicht zwei verschiedene Schriften und mehr als 100 Zeichen lernen zu müssen. Zumal sich gezeigt habe, dass die meisten die schnörkelige Grundschulhandschrift ohnehin am Ende der vierten Klasse aufgeben. "Was nützt es, Kindern eine Schrift beizubringen, die sie dann doch wieder ablegen?", fragt Weyers.

Bisher lernen Erstklässler in vielen Schulen zunächst die Druckschrift. Erst im zweiten Schuljahr wird ihnen dann die klassische Schreibschrift beigebracht. Anstelle dessen vermitteln die Tarforster Lehrer künftig ab Klasse zwei, welche Möglichkeiten es gibt, die Buchstaben der neuen Grundschrift miteinander zu verbinden. Sie machen nur Vorschläge. "Jedes Kind soll eine individuelle Handschrift entwickeln. Es gibt keine Regeln", sagt Weyers. Selbst Elemente der alten Schreibschrift können zurückkehren, wenn das hilft. So lässt sich ein l, das als Schlaufe geschrieben wird, leichter mit anderen Buchstaben verknüpfen als ein l, das aussieht, wie ein Strich. Die gewonnene Zeit wollen die Lehrer auf Themen wie Rechtschreibung verwenden.
Die Oma der ABC-Schützin lässt sich nicht überzeugen. Sie findet das "Bildungssystem mit seiner Beliebigkeit fragwürdig". Ihre Enkelin wird, wenn sie ab Montag Lesen und Schreiben lernt, auf Schnörkel wohl weitgehend verzichten müssen.

Extra Grundschulen entscheiden selbst

Das Land Rheinland-Pfalz stellt es Grundschulen frei, welche Schriftart sie vermitteln. Die Auswahl ist groß (siehe Grafik). Einen Überblick, was wo gelehrt wird oder wie viele Schulen sich von der Schreibschrift verabschiedet haben, hat das Bildungsministerium nicht. Ganz egal, welche Variante die Schulen bevorzugen - Ziel des Lehrplans ist "eine gut lesbare, flüssige Handschrift". "Der Weg dorthin wird durch unser Haus nicht weiter festgelegt", sagt Ann-Kathrin Scheuermann, Pressesprecherin des Bildungsministeriums. Die Entscheidung dazu falle unter Beteiligung der Eltern im Gesamtkonferenzbeschluss der einzelnen Schulen. Ein Prozedere, das die Bildungsgewerkschaft GEW gut findet. "Die Lehrer sind Experten und entscheiden aus gutem Grund, was für ihre Schüler am besten ist", sagt GEW-Vorsitzender Klaus-Peter Hammer. Mos

Extra Schreiben nach Gehör

Noch umstrittener als die Grundschrift ist die Reichen-Methode, auch "Schreiben nach Gehör" genannt, die Thema des Landtagswahlkampfs 2016 war, obwohl sie in Reinform nur selten zum Einsatz kommt. Sie wurde in den 1970er Jahren von Jürgen Reichen entwickelt und basiert auf der Annahme, dass Kinder über sehr frühe Erfolge beim Schreiben schneller lesen lernen. Schüler bringen die Worte dabei so zu Papier, wie sie sie hören. Statt einer Fibel benutzen sie eine Anlauttabelle, die Bilder zu den Lauten zeigt, zum Beispiel Hase für H. Während die CDU die Methode für schlechte Rechtschreibung verantwortlich macht, verteidigen Land und Lehrerverbände diese. Sie werde in nur 16 von 969 Grundschulen anfangs überwiegend genutzt. Meist sei sie Teil eines Methodenmixes und könne vorgebildeten Kindern helfen, schneller eigene Texte zu schreiben. Spätestens in Klasse 3 ist meist Schluss damit. "Als alleinige Vermittlungsmethode stößt sie nachvollziehbarerweise auf Kritik", heißt es aus dem Bildungsministerium. Mos

Pro-Kommentar
Keine Angst vor Neuerungen!


Katharina de Mos

Fast jeder, der heute in Deutschland lebt, ist mit der Schreibschrift groß geworden. Sie ist ein Stück Kultur, Nostalgie, heile Kinderwelt. Ja, sie ist schön. Aber mal ganz ehrlich: Wie viel davon ist übrig geblieben? Wer schreibt schon noch in seiner Grundschulschrift? Wer die eigenen Notizen mal untersucht, wird in den allermeisten Fällen feststellen, dass höchstens einzelne Schnörkel den Weg ins Erwachsenenalter überlebt haben. Die Grundschrift ist viel näher am Leben. Denn sie ähnelt dem, was wir - ohne uns darüber aufzuregen - überall lesen: in Büchern, auf Hinweisschildern, am Bildschirm, auf dem Handy und hier, in dieser Zeitung. Was haben Kinder davon, etwas zu erlernen, das sie später nicht mehr brauchen? Die Zeit, die auf diesem Weg frei wird, kann viel sinnvoller investiert werden, um die Rechtschreibkenntnisse der Schüler zu verbessern.
k.demos@volksfreund.de

Kontra-Kommentar
Die Kinder baden's aus


Damian Schwickerath

Kinder sind das Wichtigste, was wir haben. Also sollte man annehmen, dass auch der Staat besonders pfleglich mit ihnen umgeht. Doch weit gefehlt. Überspitzt formuliert kann jeder mit ihnen schulisch machen, was er für richtig hält. Experimente ohne Ende am lebenden Objekt! Welche Schrift ein Kind lernt oder wie man ihm lesen beibringt, welche Bücher es benutzt, das ist sehr oft grundverschieden - von Schule zu Schule und teilweise von Klasse zu Klasse. Nehmen wir Schreiben nach Gehör. Zwei Jahre dürfen die Kleinen das, und dann sagt man ihnen, alles falsch, muss doch anders. Geht's noch? Dem Kultusministerium in Mainz ist das egal. Da stecke ein pädagogisches Konzept dahinter, sagen die Neunmalklugen. Na toll! Da halte ich es doch lieber mit dem alten Goethe, der seinen Mephisto im Faust sagen ließ: Grau teurer Freund ist alle Theorie!
d.schwickerath@volksfreund.de

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