"Wolfgang Leonhard steht für eine Aufarbeitung ohne Abrechnung"

Himmerod · Der Historiker und Russlandexperte Wolfgang Leonhard ist am 17. August im Alter von 93 Jahren nach schwerer Krankheit im Krankenhaus in Daun gestorben (der TV berichtete). In der Kirche der Zisterzienserabtei Himmerod hat nun am Samstag die offizielle Trauerfeier im Beisein vieler Gäste stattgefunden.

 Große Anteilnahme beim Abschied für Wolfgang Leonhard: Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (links seine Frau Barbara) trägt sich vor einer Abbildung des Gestorbenen bei der Trauerfeier in der Abteikirche Himmerod ins Kondolenzbuch ein. TV-Foto: Helmut Gassen

Große Anteilnahme beim Abschied für Wolfgang Leonhard: Der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (links seine Frau Barbara) trägt sich vor einer Abbildung des Gestorbenen bei der Trauerfeier in der Abteikirche Himmerod ins Kondolenzbuch ein. TV-Foto: Helmut Gassen

Himmerod. "Wolfgang, mache es gut, geliebter Freund", sagte Kai Gniffke, Chefredakteur der ARD-Tagesthemen/Tagesschau. Seine Familie wohnt nun schon in der vierten Generation als Nachbar von Wolfgang Leonhard in Manderscheid, und beide Familien verbindet eine tiefe Freundschaft. "Wir haben Wolfgang mehr als gemocht, wir haben ihn geliebt", sagte Gniffke tief berührt über den Tod des Freundes.
Seit 1964 wohnte Leonhard in Manderscheid in der Eifel. Hier widmete sich der Publizist und Russlandkenner der Analyse des real existierenden Kommunismus, war mit seinen kritischen Ostblockbetrachtungen ein gefragter Gast in vielen Fernsehsendungen. Am 17. August starb er nach schwerer Krankheit im Krankenhaus in Daun, beigesetzt wurde er im engsten Familienkreis in Manderscheid.
Groß war die Anteilnahme bei der Trauerfeier für Wolfgang Leonhard. In der Kirche der Zisterzienserabtei Himmerod nahmen in Anwesenheit seiner langjährigen Ehefrau, der früheren Bundestagsabgeordneten Elke Leonhard, etwa 130 Gäste Abschied von einem großen Mann - darunter der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher mit seiner Frau Barbara, Landtagspräsident Joachim Mertes sowie die Landräte Gregor Eibes und Joachim Streit. "Das Echo vom Tode Wolfgang Leonards ist in der ganzen Welt zu vernehmen, wir klagen in Trauer und Melancholie um ihn", sagte Joachim Streit, Landrat des Eifelkreises Bitburg-Prüm, in seiner Traueransprache. Er erinnerte an die Verdienste von Leonhard in der Ostpolitik. "Wolfgang Leonhard wollte dabei eine Aufarbeitung ohne Abrechnung", sagte er.
Ein Weltbürger in der Eifel


Josef Zierden, Initiator des Eifel-Literatur-Festivals und ein Freund der Familie Leonhard, verlas einen Nachruf des 91-jährigen Ralph Giordano, der aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen konnte. Als "ältesten und besten Freund" bezeichnete Giordano den Verstorbenen - und erinnerte an das erste Kennenlernen 1959 und an "den politischen Irrtum", in den beide in ihrer Jugend verstrickt waren.

Peter Rauen, ehemaliger Bundestagsabgeordneter, sagte: "Wir können in der Eifel sehr stolz darauf sein, dass ein Weltbürger wie Wolfgang Leonhard seine Heimat und letzte Ruhestätte hier gefunden hat."Extra

Wolfgang Leonhard wurde 1921 als Wladimir Leonhard in Wien geboren und emigrierte 1935 mit seiner Mutter Susanne Leonhard in die Sowjetunion. 1945 reiste er mit der Gruppe Ulbricht nach Berlin. 1948 dann der Bruch: Leonhard verließ die Sowjetunion und zog in die spätere DDR. Dort war er politisch tätig und lehrte an einer SED-Parteihochschule. 1949 flüchtete er nach Belgrad, kurz darauf siedelte er in die Bundesrepublik über. Ab 1966 lehrte er 20 Jahre lang als Kommunismusexperte an der US-Eliteuniversität Yale Geschichte der UdSSR und des Kommunismus. Zu diesen Themen publizierte er auch zahlreiche Bücher. Zu Leonhards bekanntesten Werken zählt die 1955 erschienene autobiographische Erzählung "Die Revolution entlässt ihre Kinder", in der er seine Wandlung vom begeisterten Kommunisten zum Kritiker der Sowjetunion beschreibt. HG

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