Ein Verbrechen und Tausende Schicksale - Der schwierige Alltag im Trierer Heim

Trier · Eine Frau wurde erschlagen. Ihr Mann verhaftet. Die Kinder sind im Heim. Und der Tatort sirrt vor Leben. Denn in der Trierer Dasbachstraße wohnen 1650 Asylbewerber auf engstem Raum.

 Die Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber ist überfüllt. Viele Menschen müssen draußen schlafen, oder suchen sich irgendwo einen Schlafplatz.

Die Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber ist überfüllt. Viele Menschen müssen draußen schlafen, oder suchen sich irgendwo einen Schlafplatz.

Foto: Friedemann Vetter

Die Türen und Fenster des Hauses stehen weit offen. Männer, Frauen und Kinder gehen ungehindert ein und aus. Unter anderen Umständen würden dort Absperrbänder flattern. Unter anderen Umständen hätte die Polizei dafür gesorgt, dass niemand dieses Haus betritt. Ist es doch zum Tatort geworden.

Doch das geht nicht. Jeder Quadratzentimeter in der Trierer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende wird benötigt. Selbst nach einer Tragödie wie dieser: Ein 32-jähriger Mann aus Syrien soll seine gleichaltrige Frau im Beisein der drei Kinder am frühen Montagnachmittag niedergeschlagen haben. Wenige Stunden später stirbt die Frau in einem Trierer Krankenhaus an ihren Kopfverletzungen. Der Mann, der im Verdacht steht, seine Partnerin bereits früher misshandelt zu haben, wird verhaftet - die Kinder kommen ins Heim.

In das Zimmer, das die Familie seit Anfang August bewohnte, werden wohl bald neue Flüchtlinge einziehen, die keine Ahnung haben, welch traurige Szenen sich dort abgespielt haben. Denn der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab. Rund 3000 Asylsuchende leben derzeit in Trier - 1650 Menschen von ihnen alleine in der Dasbachstraße. Draußen, jenseits der offenen Türen des Gebäudes, stehen Wohncontainer, Zelte und Garagen - und überall liegen Matratzen. Wäsche hängt zum Trocknen auf Fensterbänken, auf Treppengeländern, auf Zäunen und Zeltplanen. Müll liegt auf zertrampeltem Erdreich, und die Luft trägt den Geruch von Dixieklos herüber, während Mädchen Ball spielen, Jungen Dreirad fahren, Familien auf dem Parkplatz sitzend picknicken, Kinder schreien, Mütter telefonieren, Männer mit leerem Blick rauchen oder gestikulierend aufeinander einreden. Stimmen aus jeder Richtung. Überall Menschen.

Ein Syrer kommt zu den Journalisten und zeigt Fotos, die er auf seinem Handy gespeichert hat. Es geht dabei nicht um die blutige Tragödie, von der er womöglich gar nichts weiß, obwohl er in jenem Haus lebt, das zum Tatort geworden ist. Die Fotos zeigen, worum es ihm geht: Flure voller Matratzen. Mensch neben Mensch. Bedrückende Enge. Alltag in der Dasbachstraße. Ist Gewalt da nicht an der Tagesordnung? "Nein", sagt Frank-Peter Wagner, der die Aufnahmeeinrichtung leitet. Die Situation sei erstaunlich friedlich. "Wenn man die gleiche Zahl Deutsche auf so engem Raum unterbringen würde, dann hätten wir Mord und Totschlag", sagt er.

Handfeste Spannungen

Dass es dennoch zu handfesten Spannungen kommt, zeigt sich nur wenige Minuten später: Die Polizei rückt mit einem Großaufgebot an, um eine vermeintliche Schlägerei unter Asylbegehrenden zu beenden, die sich um gespendete Kleidung streiten (siehe Extra). Verletzt wird niemand.

Ende Juni war es in der Aufnahmeeinrichtung in Trier-Euren bei einem Fußballspiel zu einer veritablen Massenschlägerei unter Asylbewerbern gekommen. Seitdem ist mehr Polizei vor Ort. So viele Menschen aus so vielen Nationen auf so engem Raum sind - so nennen es die Politiker - eine "große Herausforderung".

Nachdem es vergangene Woche nicht gelungen war, jedem ein Bett zu bieten, hat sich die Lage nun ein wenig entspannt. Laut Wagner gibt es für jeden einen Schlafplatz. Die, die nun noch in den Garagen lägen, wollten da nicht weg. Und man wolle sie auch nicht zwingen.

An der Enge ändert dies nichts. Für 760 Menschen ist das Heim gedacht. 1650 leben dort derzeit. Und wer von ihnen um die Tragödie weiß, trauert nun womöglich um eine Nachbarin. Oder eine unbekannte Schicksalsgenossin in Zeiten großer Ungewissheit.

Extra Großaufgebot der Polizei

Um eine vermeintliche Massenschlägerei zu schlichten, rückte die Trierer Polizei am Dienstag gegen 14 Uhr mit einem Großaufgebot zur Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in die Dasbachstraße aus. Einem Augenzeugen zufolge waren auf dem Parkplatz des Jobcenters etwa 50 Asylbegehrende in Streit geraten.
Als die Polizei eintraf, waren bloß noch Zeugen vor Ort. Doch muss sich Folgendes zugetragen haben: Zwei Familien aus der Region wollten auf dem Parkplatz Kleidung, Kinderwagen und andere Spenden an Flüchtlinge verteilen. "Diese unorganisierte Verteilaktion geriet dann wohl etwas aus dem Ruder und es kam zu Streit unter den Asylbegehrenden", teilte die Polizei mit.
Verletzt wurde bei der Auseinandersetzung offenbar niemand. Es kam lediglich zu Schubsereien.
Die Polizei Trier bittet Spendenwillige, von eigenmächtigen Verteilaktionen abzusehen und sich an die bekannten Hilfsorganisationen oder die Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung zu wenden. kah

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