Rostige und rissige Rohre werden zum Sicherheitsrisiko

Cattenom/Paris · Der französische Energiekonzern EDF wiegelt ab, Atomexperten sind alarmiert: Die Korrosion der Brennstoffrohre in einigen Atomkraftwerken, darunter wohl auch Cattenom, sorgt für Verunsicherung.

Cattenom/Paris. Vor einer Woche sorgte die französische Internetzeitung Mediapart für Schlagzeilen. Sie berichtete über ein internes Papier des französischen Energiekonzerns EDF, in dem der Verschleiß von Brennstoffrohren in 25 von 58 Atomkraftwerken genannt wird. EDF bestätigte die Information, gab sich aber beruhigend. Es gebe "zu diesem Zeitpunkt keinerlei Sicherheitsproblem und daher auch keine Konsequenzen für den Betrieb", erklärte EDF in einer Stellungnahme.
Großen Niederschlag hat das Thema daher in der französischen Presse nicht gefunden - zumal wohl auch der interne Prüfbericht anderen Medien nicht vorlag. Das neunseitige Papier, über das der Trierische Volksfreund exklusiv verfügt, belegt allerdings, dass es in den betroffenen Anlagen durch die verrosteten Rohre durchaus zu Sicherheitsproblemen kommen kann.
Unter den 25 auf der Titelseite des Berichts genannten Anlagen ist auch das Kraftwerk in Cattenom genannt. In dem Bericht selbst wird allerdings nicht explizit auf Cattenom eingegangen. Betroffen von der starken Korrosion sein sollen aber 13 Kraftwerke, deren Reaktoren eine Leistung von 1300 Megawatt haben. Zu solchen Druckwasserreaktoren gehört auch die Anlage in Cattenom. Dort sollen die rund 3,60 Meter großen Hüllen, die die Brennstäbe vom Kühlmittel trennen, mit der Metalllegierung Zirkolay 4 beschichtet sein. In den bis 0,8 Millimeter dicken Rohren befindet sich der Kernbrennstoff, etwa Urandioxid, in Form von Tabletten - sogenannten Pellets. Je nach Beschaffenheit des Materials kommt es zur Korrosion der Brennstoffhülle. Sie setzen Rost an. Vermeiden lässt sich das laut Experten in Kernkraftwerken aber nicht.
Das hänge damit zusammen, dass die Hüllen ständig dem sie umgebenden bis zu 300 Grad heißen Kühlwasser und auch der Strahlung des Urans in ihrem Inneren ausgesetzt sind. Diese Strahlung führt dazu, dass das Material, aus dem die Rohre bestehen, brüchig wird.
Daher sei Korrosion der Brennstoffrohre nichts Ungewöhnliches, sagt Dieter Majer, der lange Zeit Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium war. Gefährlich werde es, wenn durch den Rost die Rohre rissig würden. Wie weit die Korrosion fortgeschritten ist, kann aber nur bei den regelmäßigen Überprüfungen der Anlagen kontrolliert werden, wenn der Reaktor also planmäßig abgeschaltet ist. Während des normalen Betriebes sei eine solche Kontrolle nicht möglich, sagt Majer.
Im Normalbetrieb könnte durch die brüchigen Rohre Radioaktivität in das heiße Kühlwasser gelangen. Dadurch könnten Mitarbeiter des Kraftwerks verstrahlt werden, sagt Nuklearexperte Mycle Schneider.
Möglicherweise müssen die Brennstäbe im Falle stark verrosteter Rohre häufiger als geplant ausgetauscht werden. In Cattenom werden die Brennelemente in den vier Reaktorblöcken derzeit alle eineinhalb Jahre ausgetauscht. Möglicherweise müsse die Laufzeit verkürzt werden, sagt Majer, - die Brennstäbe also öfter ausgetauscht werden.
Was passieren kann, wenn die Korrosion die Hüllen immer dünner werden lässt, ist in dem EDF-Papier beschrieben: Die zum Beispiel aus dem chemischen Stoff Bor bestehenden Steuerstäbe im Innern der Brennelemente könnten her-ausgeschleudert werden. Mit den Steuerstäben soll eine unkontrollierbare Kettenreaktion verhindert werden. In einem solchen Fall könnte es also zu einer Kernschmelze kommen. Je nachdem, wie groß das Ausmaß der Korrosion der Rohre in Cattenom sei, gefährde das die Sicherheit der Anlage, sagt Schneider.
Die rheinland-pfälzische Grünen-Landtagsabgeordnete Stephanie Nabinger sieht in dem EDF-Papier den Beweis dafür, dass "Cattenom Schrott ist" und sofort abgeschaltet werden muss. Die Bundesregierung müsse sich dafür einsetzen.Extra

Während Deutschland seine Atomkraftwerke stilllegt, baut Frankreich neue: In Flamanville entsteht derzeit ein Reaktor der dritten Generation, der Europäische Druckwasserreaktor EPR. Das Projekt ist unter anderem wegen der explodierenden Kosten umstritten. So musste der Stromkonzern EDF Ende 2012 einräumen, dass der Bau vermutlich 8,5 Milliarden Euro verschlingen wird - statt der zunächst geschätzten rund 3,3 Milliarden Euro. 58 Atomkraftwerke gibt es in Frankreich, verteilt auf 19 Standorte. sste

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort