Trierer Rechtsprofessor räumt Strafanzeige gegen Jan Böhmermann keine Chancen ein

Trier · Muss der Satiriker Jan Böhmermann wegen seines Schmähgedichts über den türkischen Staatschef Erdogan mit einer Bestrafung rechnen? Nein, meint der Trierer Strafrechtsprofessor Hans-Heiner Kühne im Gespräch mit Volksfreund-Redakteur Rolf Seydewitz.

Trierer Rechtsprofessor räumt Strafanzeige gegen Jan Böhmermann keine Chancen ein
Foto: ZDF/Ben Knabe

Wie bewerten Sie die Chancen der Strafanzeige von Herrn Erdogan?
Kühne: Es kann eigentlich nichts anderes als eine Einstellung oder einen Freispruch geben. Denn es geht hier nicht um die Grenzen der Meinungsfreiheit, sondern darum, ob die allgemeinen Voraussetzungen des Tatbestands der Beleidigung erfüllt sind.

Was bedeutet das konkret?
Kühne: Bei der Beleidigung muss es sich um ein eigenes negatives Werturteil des potenziellen Täters handeln. Genau das aber war hier nicht der Fall. Jan Böhmermann hat dem Schmähgedicht den Satz vorangestellt: Was ich jetzt sage, wäre - im Gegensatz zu meinem ersten Gedicht - nach deutschem Recht eine Beleidigung und damit strafbar. Er hat sich daher die negativen Äußerungen des zweiten Gedichts eben nicht zueigen gemacht. Das ist das Entscheidende. Erdogans Anwälte fordern zudem die Abgabe einer Unterlassungserklärung.

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Was bedeutet dies?
Kühne: Eine Unterlassungserklärung müsste zunächst einmal juristisch bindend von einem Gericht angeordnet werden, wenn sie nicht einverständlich zwischen den Beteiligten ergeht. Das wäre in diesem Kontext kaum vorstellbar. Wenn eine solche Unterlassungserklärung aber ergeht, dann ergeht sie mit einer Strafandrohung, heißt: Wer eine solche Äußerung wiederholt, muss eine vom Gericht festgesetzte Geldbuße zahlen.

Gleichzeitig liegt ein sogenanntes Strafverlangen der Türkei vor: Wie sollte sich die Bundesregierung verhalten?
Kühne: Die Beleidigung von Staatsoberhäuptern kann nur verfolgt werden, wenn das betroffene Staatsoberhaupt einen Antrag stellt. Das ist hier der Fall. Zum anderen muss die Bundesregierung dann noch den Weg für eine Strafverfolgung freimachen. Diese Entscheidung steht noch aus.

Mit Blick auf die Gewaltenteilung dürfte doch zu erwarten sein, dass die Regierung die Sache durchwinkt, oder?
Kühne: Jein. Der Gesetzgeber hat in dem entsprechenden Paragraphen (103 Strafgesetzbuch) ja bewusst dem Staat eine politische Entscheidungsmöglichkeit eingeräumt. Hier kann der Staat also schon sagen: Wir wollen das nicht, auch wenn die Justiz das möglicherweise anders sehen könnte.

Ist dieser "Majestätsbeleidigungsparagraph" überhaupt noch zeitgemäß?
Kühne: Eigentlich entstammt er einer Zeit, in der wir nicht mehr leben. Der Paragraph hat jahrzehntelang in Frieden geruht und ist nur durch diesen eigentümlichen Vorfall wieder ins Licht der Öffentlichkeit geraten.

Ihre Äußerungen klingen so, als müssten die Staatsanwälte die Sache rasch wieder zu den Akten legen…
Kühne: Eigentlich schon. Noch einmal: Es geht hier darum, ob der Satiriker Jan Böhmermann in seinem zweiten Gedicht die negativen Behauptungen dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan zugewiesen hat. Das war nicht der Fall, sondern diente nur der Erklärung, wo nach deutschem Recht die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung verläuft.

Sie kennen die türkische Mentalität sehr gut: Können Sie die aktuelle Aufregung verstehen?
Kühne: Ja, in gewisser Weise schon. Die Menschen in der Türkei reagieren sehr empfindlich, wenn es um Ehr-Begriffe geht. Unter Erdogan hat sich das noch verstärkt. Von daher sind die jetzigen Reaktionen nicht schön, aber in gewisser Weise konsequent, weil die türkische Regierung und große Teile der türkischen Justiz die Meinungsfreiheit auch entgegen dem geltenden türkischen Recht dramatisch eingeschränkt haben.Zur Person

Hans-Heiner Kühne war bis zu seiner Emeritierung Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Trier. 16 Jahre lang lehrte Kühne zudem als Gastprofessor an der Kültür-Universität in Istanbul. Der 72-Jährige hat mehrere Ehrendoktorwürden. Bevor Kühne sein Herz für die Juristerei entdeckte, studierte der passionierte Geigenspieler Musik.

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