Ans Bett fesseln geht nicht

Zwei demenzkranke Frauen wurden in den vergangenen Wochen in der Region vermisst, eine wurde tot gefunden, die andere lebend in einem Keller. Weglaufen ist bei Demenzkranken normal.

Trier. Immer um die Mittagszeit wird Martha Müller unruhig. "Ich muss weg, die Kinder abholen", sagt die 82-Jährige. Die Demenzkranke lebt bei ihrer Tochter, hat vergessen, dass ihre Kinder längst erwachsen sind und sie sie nicht mehr von der Schule abholen muss. Ein anderer Fall: Jakob Schmidt ist seit zwei Tagen zur Kurzzeitpflege in einem Heim. Sein Sohn, bei dem der 84-Jährige lebt, ist mit seiner Familie in Urlaub. Plötzlich verspürt Schmidt einen Drang "nach Hause" zu gehen. Erinnerung an Krieg: Keller als Schutz

Zwei erfundene, aber durchaus realistische Fälle. In den vergangenen Wochen machten zwei Vermisstenfälle in der Region Schlagzeilen. Eine 82-Jährige verschwand aus einem Pflegeheim in Kell am See, nach zwei Wochen wurde sie tot auf einem Feld gefunden. Vor einer Woche wurde in Leiwen nach einer 76-jährigen Demenzkranken gesucht. Zwei Tage später wurde sie lebend in einem Keller eines Weingutes gefunden. "Eine typische Reaktion", sagt Uschi Wihr vom Trierer Demenzzentrum. Es komme häufig vor, dass sich Demenzkranke in Kellern versteckten. "Das sind oft noch Kriegserinnerungen, der Keller als Schutz", erklärt die Sozialpädagogin. Auch dass Demenzkranke weglaufen, sei völlig normal. Oft wollen die Betroffenen damit ehemalige Gewohnheiten aufgreifen oder laufen orientierungslos umher. "Bis zur Erschöpfung", sagt Bernd Krönig, Leiter des Demenzzentrums. "Viele halten sich für 30 und glauben, sie gingen zur Arbeit." Demenz bedeutet: Verfall der geistigen Leistungsfähigkeit, Gedächtnisleistung und Denkvermögen nehmen ab. Etwa zehn Prozent der über 65-Jährigen leidet an Demenz, bei den über 90-Jährigen gar 40 Prozent. Schätzungsweise über eine Million Menschen sind in Deutschland betroffen. Das Festhalten an Gewohnheiten und Ritualen und auch der Bewegungsdrang bedeuteten für die Betroffenen ein erhebliches Stück Lebensqualität, sagt Krönig. Aber auch eine Belastung für die Angehörigen, die nicht rund um die Uhr für die Kranken da sein können. "Man kann Demenzkranke nicht ans Bett fesseln", sagt Wihr. Auch in Heimen dürfen sie nicht eingesperrt werden. Laut einem Urteil des Bundesgerichtshofes besteht keine Rund-um-die-Uhr-Aufsichtspflicht in Einrichtungen. Pflegeheime können nicht für das unbemerkte Weggehen von Demenzkranken haftbar gemacht werden. In Paderborn wurden spezielle Handys mit Ortungsfunktion getestet. Krönig befürwortet den Einsatz der Geräte. "Betroffene können so besser geschützt werden." Infos zu der Technik gibt es beim Demenzzentrum in Trier: 0651/4604747. Auf der Internetseite www.pflegekritik.de gibt es Informationen über Pflegeheime der Region.

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