Arbeiten rund um die Uhr?

Trier · Die Unternehmen im Land verlangen von den Beschäftigten mehr Flexibilität. Die Gewerkschaften warnen dagegen vor noch mehr Überstunden und Stress.

Vor dem Frühstück eine Telefonkonferenz mit dem Chef von zu Hause aus. Abends im Wohnzimmer noch dienstliche Mails verschicken und die Präsentation für die Kunden am nächsten Tag fertigmachen. Seit längerem fordern Arbeitgeber bereits, dass die Beschäftigten flexibler sein müssten. Sie dürften nicht mehr strikt am Acht-Stunden-Tag festhalten und die Ruhezeit zwischen den Arbeitstagen müsse von bisher elf auf neun Stunden verkürzt werden.

Ähnlich äußern sich nun auch die fünf Wirtschaftsweisen, die Sachverständigen, die die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland bewerten und die Bundesregierung beraten. "Die Vorstellung, dass man morgens im Büro den Arbeitstag beginnt und mit dem Verlassen der Firma beendet, ist veraltet", sagt Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats.

Bei den rheinland-pfälzischen Arbeitgebern stößt eine solche Forderung auf Gegenliebe. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer wünschten sich in vielen Fällen mehr Flexibilität, sagt Werner Simon, Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU). Simon nennt ein Beispiel, warum liberalere Arbeitszeitregelungen aus seiner Sicht vorteilhaft sind: "Wenn ein Beschäftigter nachmittags Zeit mit seinen Kindern verbringen will und daher am Abend noch von zu Hause aus arbeitet, müsste er am Folgetag eigentlich später in die Firma gehen, um die elfstündige Ruhefrist einzuhalten."

Statt eine tägliche sollte eine wöchentliche Höchstarbeitszeit festgelegt werden, sagt Simon. Pro Woche dürfen Arbeitnehmer laut Gesetz höchstens 48 Stunden arbeiten. Und diese Arbeitszeit wollen die Unternehmer flexibler auf die Arbeitstage verteilen. Flexible Arbeitszeiten seien in vielen Betrieben schon Realität, sagt Simon und nennt als Beispiele Arbeitszeitkonten, Teilzeit oder Heimarbeit.
Auch in der Baubranche gibt es unterschiedliche Arbeitszeitmodelle. Um die witterungsbedingten Ausfälle im Winter auszugleichen, kann die Wochenarbeitszeit im Sommer auf 41 Stunden ausgeweitet werden, dafür wird in den dunkleren Jahreszeiten nur 38 Stunden pro Woche gearbeitet.

"Rund 1,8 Milliarden Überstunden in Deutschland beweisen, dass die Arbeitszeit bereits heute sehr flexibel gestaltet wird", sagt der Landeschef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dietmar Muscheid. Es gebe kein starres Arbeitszeitkonzept mehr. 38 Prozent der Beschäftigten arbeiteten bereits in flexiblen Arbeitszeitmodellen. Die Industriegewerkschaft Metall fordert in den am Mittwoch beginnenden Tarifverhandlungen, dass die Beschäftigten weniger statt mehr arbeiten sollen. Die Arbeitszeit soll zeitweise von 35 auf 28 Stunden pro Woche abgesenkt werden.

Viele Beschäftigte arbeiteten doch bereits so, wie es die Arbeitgeber gerne hätten, "sie checken abends die Mails, sind ständig erreichbar", sagt der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Für sie sei "die Entgrenzung der Arbeitszeit" schon längst Realität. Auch er weist auf die große Zahl an Überstunden hin, von denen, sagt Sell, mindestens die Hälfte unbezahlt seien.

Laut der Krankenkasse DAK sind Überstunden, Nachtschichten und eine ständige Erreichbarkeit Grund für Schlafstörungen und psychische Erkrankungen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort