Auf Nummer Sicher

TRIER. Zum dritten Mal wird in einem Trierer Gerichtssaal der Fall "Krumme 13" aufgerollt. Es geht um einen Text auf der Internet-Seite des dubiosen Vereins, der sich für die Legalisierung sexueller Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen einsetzt.

Revisionen sind kein Beinbruch der Justiz. Das Recht ist, auch wenn Juristen das ungern zugeben, keine Wissenschaft, und da können verschiedene Instanzen zu unterschiedlichen Bewertungen kommen. Und trotzdem sind Revisionsverfahren immer heikel. Wenn ein Obergericht feststellt, dass eine Kammer auf unterer Ebene das Recht falsch angewendet hat und die Angelegenheit an eine andere Kammer des gleichen Gerichts zurückgibt, wird meist verhandelt, als ginge es um den Transport roher Eier über einen Schotterkurs. So ist das auch beim Verfahren gegen Dieter G. und Ilja S. In der Sache ist nicht mehr sehr viel Neues zu erwarten. Dieter G., damals in Trier wohnend, stellte 2001 seine "Krumme 13"-Homepage für eine umfassende Datei-Sammlung von Ilja S. zum Thema Pädophilie zur Verfügung. Unter den mehr als 300 Dateien war auch der "Erlebnisbericht" eines Mannes namens Stefan, der in den rosigsten Farben sexuelle Beziehungen schilderte, die er als elfjähriges Kind zu erwachsenen Männern unterhalten hatte. Sprachlich ließ sich der Text kaum als Porno einstufen, dafür war er zu dezent. Aber Amts- und Landgericht in Trier befanden, er diene der sexuellen Befriedigung einer pädophilen Leserschaft und sei von daher pornographisch. Die Angeklagten und ihre Verteidiger widersprachen heftig. Sie forderten, das nach ihrer Auffassung "wissenschaftliche Umfeld" im Zusammenhang mit anderen Erfahrungsberichten in die Bewertung einzubeziehen. Und sie wollten den Autor als Zeugen für die Authentizität des Textes vorladen. Das sei "irrelevant", befanden die Richter lakonisch. Das sehen ihre Kollegen am Oberlandesgericht anders, und so muss nun Richter Armin Hardt seit gestern mit seinen beiden Schöffen die ganze Angelegenheit von vorn aufrollen. Er lässt es, so viel ist vom ersten Moment an erkennbar, nicht an Gründlichkeit fehlen. Gleich zwei Verhandlungstage hat er anberaumt, ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag gegeben und zusätzliche Zeugen geladen - selbst für die winzigsten Detail-Fragen reisen sie vom anderen Ende der Republik an. Die beiden Münchener Anwälte der Angeklagten, die beim letzten Verfahren eine Konflikt-Verteidigung mit allen Schikanen exerziert haben, kommen kaum dazu, einen Antrag zu stellen: Das Gericht hat längst von sich aus in die Wege geleitet, was den Verteidigern im Herbst 2003 in Bausch und Bogen abgeschmettert wurde. Selbst den 550 quälende Seiten langen Ausdruck der inkriminierten Datei-Sammlung führt Richter Hardt ins Verfahren ein, eine alte Kern-Forderung der Anwälte. Das beschert den Prozessbeteiligten eine harte Pflicht-Lektüre bis zum zweiten Verhandlungstag. Aber nur so wird sich die entscheidende Frage beantworten lassen: Ist der "Stefan"-Text, der in einer Berliner Zeitschrift unbehelligt abgedruckt wurde, strafbare Kinderpornographie oder legaler Bestandteil öffentlicher Meinungsbildung? Eine wesentliche Rolle dürfte dabei das Gutachten des Mainzer Rechtsmediziners Professor Reinhard Urban spielen, das am kommenden Mittwoch erstattet werden soll. Die bereits vorliegende schriftliche Version ist dem Verteidiger von Ilja S. immerhin Grund genug, die Einstellung des Verfahrens gegen seinen Mandanten vorzuschlagen. Ein Ansinnen, dass der Staatsanwalt kategorisch ablehnt.Wichtiger Zeuge inzwischen gestorben

So muss man sich akribisch an das Abklopfen der wichtigen Punkte machen. Mancher Zeuge tritt schon zum dritten Mal an - die wachsende zeitliche Distanz zum Geschehen verbessert nicht unbedingt die Qualität. Dazu kommt, dass sich zum wiederholten Mal neue Richter in die futuristische Internet-Welt einarbeiten müssen, mit dem ganzen Kauderwelsch von "webspace" über "Url" bis "IP". Es ist einiges nachzuholen, was zuvor versäumt wurde. Manchmal ist das freilich nicht mehr möglich. Auf einen der wichtigsten Zeugen, den Verfasser des Stefan-Textes, warten die Prozessbeteiligten an diesem Vormittag vergeblich. Man lässt nachforschen, und es stellt sich heraus, dass er vor ein par Monaten gestorben ist. Zumindest ein kleines Stück der Wahrheit hat er unwiderruflich mit ins Grab genommen

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