Auf Spurensuche in der "Roten Zone"

WELSCHBILLIG. Es ist ein ehrgeiziges und umfangreiches Projekt, an dem der 72-jährige Amerikaner Malcolm E. Taylor arbeitet: Er befragt Menschen, die 1939/40 aus der so genannten "Roten Zone", die auch durch die Eifel verlief, in die verschiedensten Teile Deutschlands evakuiert wurden. Für diese Arbeit wird er Jahre brauchen.

Etwas müde wirkt der groß gewachsene Mann mit der goldenen Pilotenbrille, dem exakten grauen Bürstenschnitt und dem ebenso exakt getrimmten Schnauzbart; das offensichtlich akkurat gebügelte blaue Hemd ist ein wenig zerknittert. Anstrengende Tage liegen hinter ihm, denn zusammen mit seinem Freund Theo Mettler hat er stundenlang über ein Dutzend alte Menschen in Welschbillig befragt - und das war erst der Anfang. Malcolm E. Taylor ist auf der Suche nach dem roten Faden für die "Rote Zone". Der rote Faden, das sollen die Schicksale der Menschen sein, die ihr Zuhause im zweiten Weltkrieg oft Hals über Kopf verlassen und aus der grenznahen Roten Zone in die verschiedensten Städte Deutschlands flüchten mussten. Manche nur bis Mayen, manche bisRostock, manche für Wochen, manche für ein Jahr. "Die Rote Zone verlief von Aachen bis Basel. Die Nazis verstanden darunter einen zehn bis 20 Kilometer breiten Streifen, aus dem in den Kriegsjahren 1939 und 1940 tausende Menschen evakuiert wurden, aus Angst vor Angriffen von Westen, hauptsächlich aus Frankreich", berichtet Malcolm E. Taylor. Auch Menschen, die in den Grenzgebieten zu Belgien und Luxemburg lebten, mussten ihr Heim verlassen, dafür sorgte die Grenzpolizei. Das US-Airforce-Mitglied Malcolm E. Taylor war zwischen 1970 und 1977 in Bitburg stationiert, danach in Zweibrücken in der Pfalz. Dort war er in einem kleinen Dorf zusammen mit seinen Angehörigen bei einer Familie untergebracht. Von der Roten Zone erfuhr Taylor von seinem Vermieter. Der gab ihm ein Buch aus dem Jahr 1942. Titel: "Freigemachtes Grenzland." In dem laut Taylor stark mit Propaganda durchsetzten Buch wurde die Arbeit der Grenzpolizei beschrieben, die dafür zuständig war, zum einen die Menschen aus der Roten Zone zu evakuieren, zum anderen die Wohnsiedlungen im Grenzbereich vor Übergriffen zu schützen. "Evakuiert wurden vor allem Frauen, kleine Kinder und alte Menschen", weiß Taylor aus dem Buch. Jugendliche, die alt genug für den Arbeitsdienst waren, mussten beim Bau des Westwalls helfen, und manchmal blieben alte Männer oder Knechte zurück, um Haus und Hof zu schützen. "Das Buch hat mir gezeigt: Da gibt es eine interessante Geschichte. Und es hinterließ bei mir mehr Fragen als Antworten. Wie lebten die Menschen in den fremden Städten? Was war, als sie zurückkamen? Waren wirklich noch Felder vermint? All das will ich herausfinden", sagt Taylor. "Das Buch ist mit Vorsicht zu genießen, schließlich wurde es von der nationalsozialistischen Grenzpolizei verfasst", warnt Taylors Freund Theo Mettler. Der 59-Jährige aus Welschbillig war mit dem Amerikaner in den 70er Jahren gemeinsam in Bitburg stationiert und lernte ihn bei internationalen Austauschtreffen kennen. Seinen Freund unterstützt er heute tatkräftig bei dem Projekt. Er hat den Fragebogen für die Interviews übersetzt und "der deutschen Mentalität angepasst", wie er sagt. Und er kam mit zu den Interviews. "Die Leute hier in Welschbillig waren alle gerne bereit, teilzunehmen. Viele waren allerdings damals noch sehr klein und sahen die Evakuierung an die Ostsee als Abenteuer. Die meisten mussten ja nur wenige Wochen weg", sagt Mettler.Interviews in ganz Südwest-Deutschland

In anderen Gebieten, wie beispielsweise in Saarbrücken, sollen die Leute länger von zu Hause weggeblieben sein. "Und das muss ich ebenfalls wissen: Wer blieb wie lange von zu Hause weg? Ein Geschichtsprofessor an der Universität von New Mexico, mit dem ich zusammenarbeite, sagte, es gebe nur eins: Ich müsse mit allen Leuten reden", sagt Taylor lächelnd und nimmt einen Schluck Kaffee. Und das tut der 72-Jährige jetzt. Ein Auto hat er mit Theos Hilfe gemietet, und am nächsten Tag startet er für vier Wochen in die Pfalz, in die Nähe von Zweibrücken, wo er damals das Buch gelesen hat. Bleiben wird er wieder bei Freunden, und wieder wird er Interviews mit vielen Menschen machen - ungeachtet der Sprachbarriere. Außerdem will er Stadt- und Schularchive durchwühlen, will mit Vertretern des Roten Kreuzes und der Bahn reden: "Die waren damals ja auch involviert." Im September kommt er noch einmal zu seinem Freund Theo zurück, danach geht es in die Staaten, wo er ein erstes Resümee zieht. "Die Arbeit kann Jahre dauern, vor allem, wenn sich die Geschichten der Menschen stark unterscheiden", sagt Taylor. "Ich hätte gern früher angefangen, doch erst jetzt habe ich Zeit und Geld dazu, schließlich finanziere ich das alles selbst", fügt er hinzu. Und, leiser: "Ich hoffe, mir bleibt noch genügend Zeit."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort