"Auf den Baustellen herrscht Krieg"

Fünf niederländische Drahtzieher eines bundesweiten Millionengeschäfts mit illegalen Arbeitskräften fanden milde niederländische Richter und kamen mit Bewährungsstrafen und Auflagen davon.

 Er hat die Schwarzarbeit wohl geahnt: Ein hinter dem damaligen Mainzer Verkehrsminister Bauckhage stehender Demonstrant hält bei der Eröffnung des A 60-Teilstücks 2002 ein Schild in die Höhe. TV-Foto: Friedemann Vetter/Archiv

Er hat die Schwarzarbeit wohl geahnt: Ein hinter dem damaligen Mainzer Verkehrsminister Bauckhage stehender Demonstrant hält bei der Eröffnung des A 60-Teilstücks 2002 ein Schild in die Höhe. TV-Foto: Friedemann Vetter/Archiv

Trier. Zolloberinspektor Thomas Reuter ist Asterix-Fan. Deshalb trägt das Ermittlungsverfahren gegen den organisierten Menschenhandel, das Reuter fünf Jahre lang von Trier aus geführt hat, den offiziellen Namen "Verleihnix". So heißt auch der cholerische Fischhändler im Dorf von Asterix. Wenn sich das Gespräch um die Qualität seiner Fische dreht, folgt meistens eine Schlägerei."Verleihnix" basierte auf drei Vorwürfen: Vorenthalten von Arbeitsentgelt, Steuerhinterziehung, Betrug der Sozialversicherungsträger. Dahinter verbergen sich Tragödien. Niederländische Drahtzieher haben "im Stil organisierter Kriminalität" und "mit Mafia-Methoden", so der Zoll, von der Verzweiflung der Menschen profitiert, die dringend eine Arbeit suchten und bereit waren, für eine Handvoll Euro alles zu machen, was gefordert wurde.Sechs Monate auf Bewährung, 240 Stunden Sozialarbeit - eine Strafe, die für derartige Vergehen lächerlich gering zu sein scheint. "Oft können sich Beschuldigte durch viele Hintertüren rauswinden und die rechtlichen Risiken auf Subunternehmer abwälzen", erklärt Zollamtsrat Theo Backendorf, Leiter des 32 Mitarbeiter starken Fachbereiches "Prüfungen und Ermittlungen" der Finanzkontrolle Schwarzarbeit. "Reine Angst hindert viele daran auszusagen. Auf den Baustellen herrscht Krieg."Seriöses Gebilde vorgaukeln

178 deutsche Unternehmen setzten die von niederländischen Briefkastenfirmen vermittelten billigen Arbeitskräfte ein. Wussten diese Unternehmer nichts von den kriminellen Hintergründen dieses Geschäfts? "Oft versuchen die Drahtzieher, ihren deutschen Kunden ein seriöses Firmengebilde vorzugaukeln", erklärt Reuter. "Dennoch ist den meisten Entleihern natürlich klar, dass die Vorgehensweise illegal ist." Backendorf ergänzt: "Vor mir saßen schon ertappte Unternehmer, die mich fragten, was sie denn sonst machen sollten. Wenn sie die billigen Kräfte nicht selbst einsetzen, tut es die Konkurrenz und kann den ehrlichen Unternehmer dann im Rennen um lukrative Aufträge locker unterbieten." Gegen 77 Baufirmen wurden Bußgeldbescheide in einer Gesamthöhe von 270 000 Euro sowie Haftungs- und Steuerbescheide in Höhe von 1,2 Millionen Euro verhängt. Manche wurden insolvent.Die illegalen Arbeitnehmer wurden von den niederländischen Hintermännern per Fax oder Schreiben angeboten. Den Entleih-Firmen, wie im Fall der A 60 ein großer französischer Baukonzern, wurde von den Menschenhändlern pro Arbeitskraft ein Stundenlohn von "21 Euro plus Mehrwertsteuer" berechnet. Ein seriöser Arbeitgeber zahlt inklusive Sozialabgaben mehr als das Doppelte. Die illegalen Arbeiter kassierten von dem Geld nur einen Bruchteil, für manche gab es lediglich fünf Euro pro Stunde.Die Arbeiter werden oft bar auf die Hand bezahlt. Das erledigt ein Handlanger, der die Baustellen mit einem Geldkoffer abfährt. Einen solchen "Runner", so der Fachjargon der Ermittler, erwischten die Ermittler des Zolls vor fünf Jahren und nahmen ihn auf der A 60-Baustelle in der Nähe von Wittlich fest. Seine Aussagen ermöglichten den Einstieg in "Verleihnix".Fünf Millionen Euro setzte das niederländische Quintett mit dem bundesweiten Menschenhandel um. Der Schaden, der dem Staat, den Sozialversicherungsträgern und der Bau-Berufsgenossenschaft entstanden ist, liegt bei weiteren 4,5 Millionen Euro. Meinung Dieses Urteil ist ein Witz Vor 22 Jahren erschütterte Günther Wallraffs Buch "Ganz unten" die Wohlstandsgesellschaft Deutschland. Wallraff hatte sich als Türke Ali getarnt und zwei Jahre lang schwerste Arbeiten für geringe Stundenlöhne ausgeführt, war von ausländerfeindlichen deutschen Kollegen schikaniert worden und aufgrund ignorierter oder fehlender Sicherheitsvorkehrungen mehrfach in Lebensgefahr geraten. Wallraff erlebte und schilderte in "Ganz unten" den Kampf eines typischen ausländischen Leiharbeiters um ein paar Euro pro Stunde. Was damals funktioniert hat, läuft offenbar auch heute noch auf zahllosen Baustellen in Deutschland ab. Deshalb ist das Urteil der niederländischen Richter ein Witz. Sie behandeln die kriminellen Drahtzieher eines Menschenhändler-Rings wie ehrenhafte Unternehmer, die nur ein wenig unordentlich in ihrer Personalführung sind. Ein totales juristisches Armutszeugnis. j.pistorius@volksfreund.de

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