Auf der Datenspur zum Kidnapper

MAINZ/WITTLICH. Wenn Kinder Opfer von Gewalt geworden sind, kommen immer wieder bohrende Fragen auf: Wie hätte man die Tat verhindern können, wie kann man Jungen und Mädchen schützen? In rheinland-pfälzischen Kommissariaten soll künftig intensiver gegen "Kinder-Ansprecher" als potenzielle Täter ermittelt werden.

 Der " nette Onkel" im Auto: Oft geht Fällen von Kindesmissbrauch das Ansprechen der Kinder voraus. Eine neue Datenbank soll entsprechende Verdächtige erfassen.Foto: Klaus Kimmling

Der " nette Onkel" im Auto: Oft geht Fällen von Kindesmissbrauch das Ansprechen der Kinder voraus. Eine neue Datenbank soll entsprechende Verdächtige erfassen.Foto: Klaus Kimmling

Sie geben sich als der nette Onkel, locken mit Süßigkeiten oder Spielzeug oder täuschen Kinder mit einer falschen Identität. Immer wieder stellt sich heraus, dass Sexualstraftäter Kinder schon angesprochen haben, bevor es tatsächlich zu einem Verbrechen kam. Auch einer der Mörder von Tom und Sonja in Eschweiler näherte sich schon vorher Kindern auf Spielplätzen. Diese "Kinder-Ansprecher" sollen auf Antrag der zuständigen Kommissariate in Rheinland-Pfalz durch eine neue internet-basierte Datenbank erfasst werden, um ein Verbrechen frühzeitig zu verhindern. Wenn ein Kind vermisst gemeldet wird, soll anhand dieser Daten eine schnellere Fahndung möglich sein. Idee zur Datenbank stammt aus Wittlich

Die Idee zu der Datenbank stammt von Gerd Schneider, Leiter des Kommissariats "Gewalt gegen Frauen und Kinder, Sexualdelikte" in Wittlich: "Mir war aufgefallen, dass die polizeilichen Erkenntnisse nicht richtig zusammenlaufen." Wenn der Polizei eine Person gemeldet wird, die ein Kind angesprochen hat, wird der Sachverhalt gewöhnlich im Tagesbericht der Inspektion dokumentiert. "Früher wurden die Hinweise nicht in jedem Fall an die Kripo weitergeleitet. Wenn die Ermittlungen im Sande verlaufen, wird der Vorfall schnell vergessen", sagt Schneider. In dem neuen Datenerfassungssystem sollen deshalb alle Hinweise auf verdächtige Personen gesammelt werden. Das bedeutet allerdings, dass die Polizei ihre Ermittlungsmethoden ändern muss. Bisher darf die Polizei nur Fakten in Datenbanken einspeisen, also genaue Indizien wie ein vollständiges Autokennzeichen. Wenn "Kinder-Ansprecher" gemeldet werden, liegen aber häufig nur ungenaue Hinweise und Personenbeschreibungen vor. "Wir werden den ein oder anderen unschuldigen Bürger in unsere Datenbank bekommen, aber nicht mit Namen. Sobald das Puzzle ein Bild ergibt, wird die Person überprüft. Wenn sich herausstellt, dass der Sachverhalt harmlos ist, werden seine Daten gelöscht", sagt Schneider. Die Polizei werde damit reine Gefahrenabwehr betreiben, betont er, keineswegs eine Strafverfolgung. Dennoch sahen Datenschützer Probleme: "Wenn Erwachsene Kinder ansprechen, kann das einen ganz harmlosen Hintergrund haben. Es ist zunächst unklar, ob hinter dem Verhalten eine rechtswidrige Tat stehen kann oder nicht. Der Verdachtsbereich ist recht weit nach vorne gelegt", sagt Klaus Globig, stellvertretender Datenschutzbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz. "Wir haben intensiv über die Datenbank diskutiert", berichtet Globig. Schließlich sei einer Einführung zugestimmt worden. Bedingung müsse aber sein, dass sehr vorsichtig mit den Daten umgegangen werde und der Zugriff durch die Polizei nur auf einen engen Personenkreis beschränkt bleibe. Nicht alle Experten überzeugt

Mit größerer Skepsis sieht Manfred Paulus die Datenbank. Der Erste Kriminalhauptkomissar bei der Polizei Ulm hat zusammen mit dem Polizeipsychologen Adolf Gallwitz Bücher zum Thema Kindesmissbrauch und Kindermord geschrieben. Er billigt der Datenbank nur "begrenzte Möglichkeiten" zu. "Wenn Kinder mit bösen Absichten angesprochen werden, erfahren wir in den meisten Fällen nicht davon. In den übrigen Fällen sind es nette Gesten von Erwachsenen, die nichts mit Kriminalität zu tun haben." Seiner Erfahrung nach, fallen die wirklichen Täter weniger auf, weil sie sehr geschickt auf die Kinder zugingen. "Stattdessen ist ein Umdenken in der Gesellschaft notwendig. In Deutschland herrscht immer noch eine Kultur des Wegschauens." Belästigung und Missbrauch von Kindern werden noch zu sehr tot geschwiegen. "Diese Kriminalität wird tabuisiert, besonders wenn sie im Familien- und Bekanntenkreis geschieht", meint Paulus. "Natürlich ist diese Präventionsarbeit wichtig", hält Gerd Schneider dem entgegen, "die Frage ist aber trotzdem, ob wir im modernen Computerzeitalter alle Möglichkeiten nutzen, um Straftaten zu verhindern." Seiner Ansicht nach hat sich die Installation der Datenbank bereits viel zu lange herausgezögert. Sein Vorschlag war bereits 1998 unter den Leitern der zuständigen Kommissariate diskutiert worden, erst Anfang dieses Jahres lag eine offizielle Installations-Anweisung vor. Zwischenzeitlich stellte das Landeskriminalamt den Vorschlag auch anderen Landeskriminalämtern vor. Das BKA lehnte eine Einführung der Datenbank jedoch ab. "Weil eine Datei zur Gefahrenabwehr, in der keine tatsächlichen Straftaten dokumentiert sind, nicht auf Bundesebene errichtet werden kann", begründet Eric Schaefer, Sprecher des Innenministeriums. Rheinland-Pfalz will die Datenbank deshalb im Alleingang errichten. Laut Schaefer wird sich dies aber auch dieses Jahr weiter verzögern, weil das Landeskriminalamt derzeit noch seine gesamte Datenstruktur umstellt. "Ich bin nicht optimistisch, dass die technische Umsetzung noch dieses Jahr erfolgt", sagt Schneider.

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