Auferstanden aus Ruinen

Vor zwei Jahrzehnten, nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Imperiums, war Karl Marx tot. Im Zeichen von Globalisierung und Turbo-Kapitalismus feiert der Trierer Philosoph ein ungeahntes Comeback. Bei einer Diskussionsrunde der Friedrich-Ebert-Stiftung im Forum am Kornmarkt platzte der Saal buchstäblich aus allen Nähten.

 Diskutierten in Trier über Marx (von links): Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel, der Publizist Johano Strasser und die Linken-Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht. TV-Foto: Dieter Lintz

Diskutierten in Trier über Marx (von links): Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel, der Publizist Johano Strasser und die Linken-Europaabgeordnete Sahra Wagenknecht. TV-Foto: Dieter Lintz

Trier. (DiL) Dass kein ausgewiesener Anti-Marxist eingeladen worden war, hatte im Vorfeld für politisches Gegrummel in konservativen Kreisen gesorgt. In der von SWR-Redakteur Rochus Groß geleiteten Debatte erwies sich freilich die Befürchtung, es könne zu undifferenzierter Heldenverehrung kommen, als gänzlich überflüssig. Das Marxologische Quartett auf der Bühne setzte sich durchaus kritisch mit dem Gegenstand der Diskussion auseinander, war sich allerdings in der Einschätzung einig, dass es sich bei dem Trierer Anwaltssohn um einen bedeutenden Welt-Erklärer mit einem außerordentlichen Lebenswerk handele.Der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel profilierte sich als lebendes Beispiel für die ausgeprägte marxistische Debattierlust. "Man muss Marx wieder lesen", legte er seinen Kollegen ans Herz, "die in ihren Studiengängen heute nur noch Systemzwerge für Wirtschaftsprüfungsgesellschaften produzieren." Immerhin habe der Wirtschafts-Analytiker schon vor 150 Jahren die verhängnisvolle "Abkoppelung der Finanz-Sphäre von der Produktionswirtschaft" vorausgesagt - und damit jene aktuelle Entwicklung, die Hickel als "internationalen Terror der Finanzmärkte" bezeichnete. Marx habe sich an zentralen Punkten aber auch geirrt: Er habe "die Wandlungsfähigkeit und die Flexibilität des Kapitalismus unterschätzt" und die Vernichtung der Umwelt als Problem nicht erkannt.Damit stieß Hickel auf Widerspruch bei der Linken-Europaabgeordneten Sahra Wagenknecht, die sich offenkundig nur mühsam mit der Vorstellung anfreunden konnte, Marx seien auch Fehler unterlaufen. Marx habe die Umwelt-Problematik in dieser Phase der Industrialisierung noch nicht erkennen können. Und der Kapitalismus habe flexible Zugeständnisse wie den Sozialstaat "nicht freiwillig gewährt, sie mussten ihm abgekämpft werden".Marx ist nicht verantwotlich für die Diktaturen

Dagegen erhob Klaus Ziemer, deutscher Politik-Professor an der Universität Warschau, einen listigen Einwand. "War der Kapitalismus nicht einfach intelligent genug, sich den Notwendigkeiten anzupassen?", fragte er zurück. Das sich auf Marx berufende realsozialistische System war es offensichtlich nicht. Ziemer, einst Professor in Trier und der marxistischen Neigungen unverdächtig, nahm Marx dennoch vor der Vereinnahmung durch Lenin und Honecker in Schutz: Der Autor des kommunistischen Manifests sei für die diktatorischen Exzesse im früheren "Ostblock" nicht verantwortlich zu machen. Das sah Johano Strasser, Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission und des Pen-Clubs ähnlich: "Marx war in seinem ganzen Wesen ein Radikaldemokrat." Vor allem seine frühen Schriften zeigten einen "elementaren Anreger und Ideengeber, auch für die politische Bewegung der Sozialdemokratie".Strasser brachte aber auch die grundsätzlichste Marx-Kritik in die Runde ein. Fundament des marxistischen Menschenbildes sei die Annahme, das Individuum werde, wenn alle gesellschaftlichen Deformationen beseitigt seien, per se vernünftig und im Sinne der Allgemeinheit handeln. "Der Mensch ist aber ein exzentrisches Wesen", rief der personifizierte Exzentriker aus, und er habe auch "ein Recht darauf, unvernünftig zu handeln". Da ging es mit Strasser und Ziemer an ein Kernproblem der marxistischen Philosophie - aber bevor die Debatte sich in wissenschaftlicher Tiefe festbeißen konnte, sahnte Polit-Profi Wagenknecht mit ein paar Plattitüden noch den einen oder anderen sicheren Beifallssturm ab. Leider kam die Runde am Ende nicht mehr so recht zu der Frage, ob Marxens ökonomisch-philosophische Erkenntnisse noch eine Geschäftsgrundlage für das heutige Politik-Geschäft liefern könnten. Immerhin saß da Rot-Rot auf dem Podium, und auch im Saal waren sozialdemokratische und altlinke Würdenträger reichlich vertreten. Ökonom Hickel hatte den potenziellen gemeinsamen Nenner immerhin bereits in die Redeschlacht geworfen: dass die zunehmende Degradierung des Menschen und seiner Arbeitskraft auf ein Markt-Objekt nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann.

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