Auschwitz-Überlebende und überzeugte Feministin

Paris · Die französische Politikerin Simone Veil ist tot. In Erinnerung bleibt ihr Engagement für das Recht auf Abtreibung.

 Simone Veil im Gespräch mit dem französischen Schauspieler Alain Delon. Die Politikerin wird in Frankreich von vielen verehrt. Foto: dpa

Simone Veil im Gespräch mit dem französischen Schauspieler Alain Delon. Die Politikerin wird in Frankreich von vielen verehrt. Foto: dpa

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Paris "Ich glaube, dass ich an den Holocaust denken werde, wenn ich sterbe", sagte Simone Veil im Jahr 2009 voraus. Ihr Leben lang behielt die Frau mit dem dunklen Haarknoten und den leuchtend blauen Augen die Nummer 78 651 auf dem Arm, die ihr mit 16 Jahren in Auschwitz tätowiert wurde. Simone Jacob überlebte das Grauen zusammen mit ihren Schwestern - der Rest ihrer jüdischen Familie kam ums Leben.

"Einige sind durch die unbeschreibliche Katastrophe für immer niedergeschlagen. Die anderen schöpfen daraus eine unglaubliche Energie - Simone Veil gehörte dazu", würdigte der Anwalt und Historiker Serge Klarsfeld in der Zeitung Le Monde die Politikerin, die am Freitag im Alter von 89 Jahren starb.

Mit Schwung ging die 18-Jährige nach dem Krieg ihr Leben an: Studium an der renommierten Politik-Hochschule Sciences Po, Hochzeit mit dem Studienkollegen Antoine Veil, Mutter von drei Söhnen. 1950 zog die Familie nach Wiesbaden, wo Veil im Konsulat arbeitete. Der Umzug war der Beginn eines Engagements für die deutsch-französische Aussöhnung, das ein Leben lang dauern sollte. Unvergessen ist ihr Auftritt vor dem Bundestag 2004 zum Holocaust-Gedenktag. Nach ihrer Rückkehr aus Deutschland musste die junge Mutter ihren ersten Kampf als Feministin gegen den eigenen Ehemann bestehen: Der wollte nämlich nicht, dass seine Frau arbeitet. Doch Simone Veil wurde Juristin, Generalsekretärin der Anwaltskammer und 1974 dann Gesundheitsministerin. Der konservative Premierminister Jacques Chirac war auf die eigenwillige Frau aufmerksam geworden. "Ich war Juristin. Die Gesundheit war nicht die wichtigste Sache in meinem Leben, aber ich habe akzeptiert", erinnerte sie sich hinterher. Es folgte ein Kampf für das Recht auf Abtreibung, der in der Geschichte der französischen Nationalversammlung legendär geblieben ist. Mit dunkelblauem Kleid und Perlenkette warb Simone Veil 25 Stunden lang vor den fast durchweg männlichen Abgeordneten für das Gesetz, das noch heute nach ihr benannt ist.

"Wir können nicht mehr die Augen verschließen vor 300 000 illegalen Abtreibungen, die jedes Jahr die Frauen dieses Landes verstümmeln", mahnte sie gegen den massiven Widerstand religiöser Fundamentalisten und Antisemiten aus den eigenen Reihen der Konservativen. Ausgerechnet ihr, der Überlebenden, warf ein Abgeordneter vor, die ungeborenen Kinder in die Krematorien zu bringen wie die Nazis. Doch die Entschlossenheit, mit der sie gegen alle Widerstände für die Sache der Frauen kämpfte, machte Veil in jener Zeit zur beliebtesten Französin. Ein Titel, den sie ihr Leben lang behielt. "Ich bin nicht militant, aber ich fühle mich als Feministin, sehr solidarisch mit allen Frauen. Ich fühle mich sicherer mit Frauen. Vielleicht liegt das an der Deportation? Im Lager war ihre Hilfe ohne Eigeninteresse, großzügig, anders als die der Männer", schrieb sie zu ihrem Engagement, dem sich 1979 ein zweites anschloss: das für Europa.

Präsident Valéry Giscard d'Estaing setzte sie als Präsidentin des erstmals direkt gewählten Europaparlaments durch. "Eine frühere Deportierte als Präsidentin des neuen Parlaments in Straßburg erschien ihm als gutes Zeichen für die Zukunft", erinnerte sie sich in ihren Memoiren. Auf die nationale Bühne kehrte Veil 1993 für zwei Jahre als Sozialministerin zurück. Doch seit dem Tod ihres Mannes vor vier Jahren lebte die Ikone der Franzosen, die 2008 in die prestigeträchtige Académie Française aufgenommen wurde, zurückgezogen. Zuletzt wurde sie 2013 bei einer Demonstration gegen die Homo-Ehe in der Öffentlichkeit gesehen. "Der Geist einer Nation speist sich aus seinen beispielhaften Lebensläufen", schrieb Präsident Emmanuel Macron zum Gedenken an die frühere Ministerin. "Das Leben von Simone Veil war eines davon."

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