Authentisch, staatstragend und angriffslustig

Wer Malu Dreyer auf ihren Wahlkampftouren begleitet, erlebt zwei Gesichter der Politikerin. Auf der einen Seite die staatstragende Ministerpräsidentin, auf der anderen Seite die auch angriffslustige Wahlkämpferin.

Ganz trennen lassen sich diese unterschiedlichen Rollen in diesen Tagen jedoch nicht. Wenn etwa die 55-Jährige morgens im schwarzen, silberbestickten Kleid im noblen Rokoko-Saal der Trierer Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion drei ehrenamtlich engagierten Frauen aus Trier die Ehrennadel des Landes verleiht, dann sagt die Ministerpräsidentin natürlich, wie wichtig das Ehrenamt für die Gesellschaft und wie wichtig Zusammenhalt und Einsatz für andere Menschen seien. Der soziale Zusammenhalt, auch und gerade in der Flüchtlingskrise, das ist auch ein zentrales Wahlkampfthema der Sozialdemokratin, die zum ersten Mal als Spitzenkandidatin ihrer Partei antritt.
Dreyer, die seit 2004 mit ihrem Ehemann, dem ehemaligen Oberbürgermeister Klaus Jensen, in Trier lebt, hat an diesem Morgen ein Heimspiel. Mit vielen, die zur Verleihung der Ehrennadel gekommen sind, ist sie per Du. Einige nennen sie freundschaftlich nur Malu - die Abkürzung für Marie-Luise. Hier in Trier tritt sie auch als Direktkandidatin für die SPD an.
Trotz ihrer Erkrankung - seit 1994 leidet Malu Dreyer an Multipler Sklerose und ist bei längeren Wegstrecken auf den Rollstuhl angewiesen - lächelt sie fast immer fröhlich. So sei sie eben. Sie könne gar nicht anders, sei immer sie selbst, betont sie immer wieder. Nach ihrer Wahl zur Nachfolgerin von Kurt Beck als Ministerpräsidentin im Januar 2013 sind viele, die die in Neustadt an der Weinstraße geborene Dreyer bis dahin nicht kannten, von ihrer Herzlichkeit, ihrer Fröhlichkeit überrascht. Sie kann aber nicht nur herzlich, sondern auch hart. Das hat sie im November 2014 bewiesen, als sie ihr Kabinett umbildete. Quasi als Befreiungsschlag, um sich von der Beck'schen Politik und dem Nürburgring-Desaster zu lösen. Das Erbe nach 18 Jahren Beck war nicht leicht, das Image der Landesregierung und der SPD wegen des Nürburgrings ramponiert.
An diesem Freitag zeigt sie jedoch ihre herzliche Seite, die der Landesmutter, als die sie später bei ihrer Wahlkampftour selbst von Vertretern der islamischen Gemeinschaft in Wittlich begrüßt wird: "Unsere Landesmutter". Gut gelaunt steigt sie nun aus ihrem Wahlkampfbus, auf dem an den Seiten ihr Name steht. Spatenstich für einen generationenübergreifenden, genossenschaftlich organisierten Wohnpark in Trier-Tarforst.
Der demografische Wandel der Gesellschaft, generationenübergreifendes Wohnen und sozialer Wohnungsbau seien ihr Herzensangelegenheiten, sagt sie vor den freudestrahlenden Mitgliedern der Genossenschaft. Sie selbst wohnt mit ihrem Mann in einem solchen Projekt, in dem Behinderte und Nichtbehinderte zusammenleben, dem Trierer Schammatdorf. Und generationenübergreifendes Zusammenleben und Demografie waren bereits früher ihre Themen, als die bekennende Katholikin 2002 von Beck als Sozialministerin in sein Kabinett berufen wurde.
Dabei war der Weg in die Politik für Dreyer, die als Jugendliche in die SPD eintrat, nicht vorgegeben. Die aus einem konservativen Elternhaus (Mutter Erzieherin, Vater Schulleiter und CDU-Mitglied) stammende Dreyer studierte erst katholische Theologie, danach Jura, wurde Richterin und später Staatsanwältin in Bad Kreuznach. Dort war sie von 1995 an zwei Jahre lang Bürgermeisterin, bevor sie Sozialdezernentin in der Landeshauptstadt und dann Ministerin wurde.
Dass sie einmal ihren Ziehvater Kurt Beck beerben würde, das hatten sie selbst und die politischen Beobachter zunächst nicht auf der Rechnung. Sie sei ein optimistischer Mensch, jemand, für den das Glas immer halb voll sei, erklärt die Politikerin, warum sie sich die Aufgabe zugetraut hat. Im Hinblick auf den Ausgang der Wahl sei sie ganz entspannt, betont sie immer wieder. Eine Aussage, die zu glauben schwerfällt angesichts von über 40 Wahlkampfauftritten im ganzen Land, jeden Tag mindestens zwei Veranstaltungen - plus den Terminen als Ministerpräsidentin. Doch jetzt, in den letzten Tagen vor der Wahl, wirkt die 55-Jährige tatsächlich ruhig und gelassen, unaufgeregt aber kämpferisch.
Wie abends in Daun. Nicht nur optisch hat sich die 55-Jährige da gewandelt. Statt des schwarzen Kleides trägt sie bei ihrem Auftritt vor rund 300 Anhängern im Forum einen roten Hosenanzug, als sie durch einen Seiteneingang auf die Bühne kommt. Und sie spricht - anders als bei den offiziellen Terminen als Ministerpräsidentin während des Tages - lauter. Sie schreit nicht, wirkt nicht aggressiv - aber angriffslustig. Anders als viele es erwartet haben, stellt Dreyer nicht das Flüchtlingsthema in den Mittelpunkt, sondern die Themen, für die sie an dem Tag bereits als Ministerpräsidentin unterwegs gewesen ist: soziale Gerechtigkeit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie wolle Ministerpräsidentin bleiben, ruft sie ihren Anhängern zu.
Dass es am 13. März nicht klappen könne, das blende sie aus, sagt sie. Falls doch, dann ist für sie aber auch klar: Für eine andere politische Aufgabe als die der Ministerpräsidentin stehe sie nicht zur Verfügung.
Bernd Wientjes

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